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Kriegsberichterstattung in der Medienkrise
"Vielleicht wäre der Syrienkrieg anders verlaufen"

Die Politiker beurteilten auch deshalb Entwicklungen in Syrien falsch, weil immer weniger Journalisten dorthin gesendet werden, sagte der freie Journalist Kurt Pelda im Deutschlandfunk. Er berichtet über Grenzsituationen - und was die wichtigsten Eigenschaften eines Kriegsreporters sind.

Kurt Pelda im Gespräch mit Brigitte Baetz | 27.12.2014
    Der Journalist Kurt Pelda
    Der Journalist Kurt Pelda (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Sprecher: Syrien. Vor den Kampfjets gibt es kein Entrinnen. Mitten in Wohngebiete schlagen die Bomben ein. Syrien – ein Land vor dem Abgrund. Eigentlich wollte Anwar, der 28-jährige Lehrer, nur eine Familie gründen. Doch dann kam der Krieg.
    Brigitte Baetz: Und Anwar, der Syrer, wird sich angesichts des Grauens den Islamisten anschließen. Autor dieser Langzeitdokumentation im Auftrag des WDR war Kurt Pelda. Der gebürtige Basler ist Kriegsreporter und das seit mehr als 20 Jahren. Kurt Pelda geht dahin, wo andere schon längst abgezogen sind. Und er tut das größtenteils auf eigenes Risiko, denn er ist Freiberufler. Warum er diesen Weg gewählt hat, obwohl er bei der "Neuen Züricher Zeitung" eine Festanstellung hatte, das erzählt er heute in unserer Sendung.
    Kurt Pelda: Wie alle Medien hat sich auch die "NZZ" stark verändert, Kostendruck, mehr Zentralisierung, mehr Bürokratisierung. Und als man mir dann aus der Zentrale anfing, Vorschriften zu machen mit den Sicherheitsvorkehrungen und Risikoanalyse, habe ich dann dankend abgelehnt, weil das ist mein Kerngeschäft und es ist mein Leben und meine Gesundheit, die ich da aufs Spiel setze. Und da mag ich nicht, wenn andere Leute versuchen, diese Risikoanalyse aus 10.000 Kilometern Entfernung zu machen. Das war der Hauptgrund, warum ich da weg bin.
    Baetz: Brauchen Sie denn dann als Kriegsreporter andere Fähigkeiten, als wenn Sie Reporter im friedlichen Westeuropa sind?
    Pelda: Um ein guter Kriegsreporter zu sein, vor allem einer, der dann auch lebend wieder zurückkommt – das ist ja das wichtigste –, da braucht es schon noch ein paar Eigenschaften, die jetzt für einen Journalisten und einen Journalisten hier in Europa nicht so wichtig sind.
    Baetz: Beispielsweise?
    Bauchgefühl und feine Antennen sind wichtig
    Pelda: Ja, ein gutes Bauchgefühl, feine Antennen. Man muss zum Beispiel ganz schnell entscheiden. Wenn man irgendwo unterwegs ist, man hat eine Autopanne, es ist ein risikoreiches Gebiet, man könnte entführt werden. Und dann hält einer an und sagt, guck mal, ich kann euch mitnehmen zur nächsten Tankstelle. Und dann holen wir da Hilfe und dann reparieren wir euer Auto – und diese Frage, steigt man jetzt in dieses Auto ein oder nicht, kann über alles entscheiden. Der Mann kann versuchen, einen zu entführen oder einen zu verkaufen, es kann aber genauso sein, dass, wenn man fünf Minuten länger an der Stelle bleibt, dass ein anderes Auto vorbeikommt mit fünf Al-Kaida-Kämpfern, die einen auch entführen. Und da muss man ganz schnell und sehr gut entscheiden. Und man kann sich da nicht nur auf seinen Verstand verlassen, sondern auch irgendwie auf die Erfahrung und natürlich auch auf das Bauchgefühl.
    Baetz: Ist dann Angst auch ein wichtiges Gefühl, das man haben muss?
    Pelda: Ja, ich denke schon. Also wer da keine Angst hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Also Angst ist zwar nicht immer der beste Ratgeber, aber sie kann einem Kräfte verleihen. Ich würde sagen, ich kann unter diesen Stresssituationen, in solchen Angstsituationen noch vernünftig reagieren, und ich glaube, das ist auch eine wichtige Eigenschaft für Leute, die in solchen Gebieten arbeiten. Also man darf nicht gelähmt sein, wenn man Angst hat. Es sollte eher ein Motor sein, die richtige Sache zu tun und sie schneller zu tun.
    Baetz: Sie waren ja jetzt allein 13 Mal in Syrien seit Ausbruch der Revolution – warum gerade Syrien?
    Pelda: Ja, ich habe schon früh gesehen, dass das ein Konflikt wird, der uns sehr, sehr lange beschäftigen wird. Mittlerweile haben wir also, wenn wir den Irak dazu nehmen, haben wir 14 Millionen Flüchtlinge und intern Vertriebene, die Amerikaner greifen ein, Al Kaida ist da, eine neue Terrorgruppe, die eigentlich nichts mit Al Kaida zu tun hat, ist da. Die drohen uns Westlern, die enthaupten Journalisten, Entwicklungshelfer. Ich meine, diese Entwicklung, die konnte man schon in Teilen zumindest voraussehen. Ich habe nicht vorausgesehen, dass es irgendwann mal so eine Gruppe gibt wie den IS jetzt. Ich hatte eigentlich eher erwartet, dass das Vakuum, das der Westen mit seiner Untätigkeit in Syrien geschaffen hat, dass das durch Al Kaida, durch die klassische Al Kaida ausgefüllt würde. Aber dass die Islamisten und die Extremisten dort Zulauf haben würden, wenn der Westen die Syrer, die ursprünglich Demokratie und Freiheit forderten, im Stich lässt, das war mir ganz schnell klar, schon im Sommer 2012.
    Baetz: Was mich verwundert hat – und ich verfolge durchaus auch diese Entwicklung in der arabischen Welt –, das war, dass auf einmal der Islamische Staat für mich aus dem Nichts da war. Sie haben ja auch gesagt, Sie hatten die auch nicht unbedingt auf dem Schirm. Aber wurde da auch zu wenig oder vielleicht auch falsch berichtet, sodass auf einmal so eine große Gruppe für die Weltöffentlichkeit zumindest aus dem Nichts entstehen konnte?
    Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien.
    Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien. (afp / Karam Al-Masri)
    Pelda: Ja, ich glaube, das ist genau das Problem. Wir haben zwar unglaubliche Möglichkeiten, uns zu informieren über Twitter, über Social Media, aber wir nutzen das nicht genügend oder vielleicht nicht genügend gut. Und ich glaube auch, wenn man halt nicht diese Erfahrung hat von vor Ort, wenn man nicht da war, wenn man nicht ein Gespür hat für die Menschen, für die Entwicklungen da, dann kann man diese Signale, die man im Internet vielleicht sieht, nicht richtig interpretieren. Ich glaube, das ist hier geschehen. Ich habe schon ganz früh über die Vorläuferorganisationen des IS berichtet, über den Islamischen Staat im Irak und in Scham, Scham ist ja die Levante oder Großsyrien. Und das ist damals auf wenig Interesse gestoßen. Ich habe solche Leute auch getroffen zu einer Zeit, als die noch mit den gemäßigten Rebellen zusammen gegen Assad kämpften. Und da entführten die noch nicht Journalisten und man konnte die treffen und man konnte ein bisschen sehen, was sind das für Menschen, was tun die da? Und mir war sehr schnell klar, und ich habe das meinen syrischen Freunden und auch Anwar, über den ich diesen Film gemacht habe, immer wieder gesagt: Guckt mal, diese Leute sind jetzt nett zu euch, die helfen euch, die bringen euch Geld und Waffen, aber sie werden die Macht übernehmen und ihr werdet unter ihnen leiden. Und so war es dann auch. Anwar wurde von ISIS entführt, gefoltert, zum Tod verurteilt und hat nur ... mit sehr viel Glück konnte er flüchten und lebt heute noch. Und ist natürlich heute ein entschiedener Gegner aller Extremisten und ausländischer Dschihadisten.
    Baetz: Haben Sie den Eindruck, dass durch die sogenannte Medienkrise, die ja, sagen wir mal, eine Krise des journalistischen Geschäftsmodells für die Zeitung ist, es immer schwieriger wird, dass Sie den Redaktionen vermitteln können, welche Entwicklungen da ablaufen?
    Tendenz bei den Medien, sich zurückzuziehen
    Pelda: Bei manchen Medien ist das sicher der Fall. Bei anderen, die mich kennen, ist es vielleicht leichter, weil die doch ernst nehmen, wenn ich sage, aber guck mal, da müssen wir ein Auge drauf werfen, da ist etwas, da tut sich was, das wird uns noch beschäftigen. Ich glaube, auch im Journalismus und auch in der Zeit von Social Media, wo man sich nicht mehr kennt und über 10.000 Kilometer miteinander chattet, spielen halt so die persönlichen Beziehungen und das Vertrauen, das sich da aufbaut, eine große Rolle. Aber ich sehe natürlich eine Tendenz bei den Medien, und zwar nicht nur bei den öffentlich-rechtlichen, eine Tendenz dazu, sich zurückzuziehen, nur die Dinge aus dem Internet quasi zu übernehmen, vielleicht ein bisschen zu kommentieren, aber die Berichterstattung von Ort und Stelle immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen. Also die großen öffentlich-rechtlichen Anstalten schicken ja kaum noch Journalisten nach Syrien. Das ist ihnen zu gefährlich. Das ist verständlich, ja, aber man versucht jetzt auch, freie Journalisten davon abzuhalten beziehungsweise man sagt, guck mal, wir können nichts mehr von dir kaufen, weil wir nicht wollen, dass du dein Leben riskierst – also eine sehr paternalistische Art des Journalismus, weil ich entscheide ja eigentlich selbst und ich mache die Risikoanalyse selbst und ich gehe, auch wenn mir jetzt eine öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehanstalt nichts mehr abkauft, ich gehe trotzdem nach Syrien, weil ich das aus Überzeugung tue. Aber es ist natürlich die Gefahr, dass wir dann noch weniger Berichte von Ort und Stelle haben und noch größere politische Fehlentscheidungen treffen.
    Baetz: Sie machen ja Ihre Risikoanalyse selber, haben Sie gesagt, aber Sie tragen auch das ökonomische Risiko. Wie sieht das denn konkret aus? Sie arbeiten ja auch mit Dolmetschern, nehme ich mal an, Sie brauchen auch Fahrer, Sie brauchen Fixer. Wie kann man sich die Arbeit von Kurt Pelda in Syrien konkret vorstellen?
    Pelda: Das kommt ein bisschen darauf an, wo ich unterwegs bin. Also jetzt in den kurdischen Gebieten muss man nicht unbedingt mit Bodyguards rumreisen, diese Gebiete sind relativ sicher. Und da, wo man in Frontnähe ist oder da, wo es gefährlich ist, fragt man einfach eine Einheit der kurdischen Guerilla da, und die geben einem dann ein paar Leute mit. Aber in den klassischen arabischen Rebellengebieten von Syrien, also zum Beispiel Aleppo und Umgebung, da braucht man Bodyguards. Und wenn ich das alles zusammenrechne, dann kostet das jeden Tag 600, 700 Euro. Das ist ein Haufen Geld für einen freien Journalisten. Und da ist eben auch das Problem mit dieser Haltung, ja, wir wollen nichts mehr von freien Journalisten kaufen, weil wenn die Freien nichts mehr verdienen oder noch weniger verdienen, als sie jetzt schon verdienen, dann geht das sofort auf Kosten der Sicherheit, weil dann hat man nicht mehr das Geld, um sich diese Sicherheit zu kaufen. Und ich zum Beispiel, ich habe mich jetzt entschieden, nicht nach Aleppo zu reisen, obwohl meine Freunde da fragen, ob ich nicht mal wieder komme und mir diese Zerstörungen ansehe, die ganz, ganz schrecklich sind. Aber ich bin überzeugt, dass das im Moment sogar mit Leibwächtern einfach zu riskant ist. Und vielleicht ist das in zwei Monaten nicht mehr so, aber jetzt sagt mir meine Analyse: Nein, ich gehe da nicht hin. Wenn ich nach Syrien gehe, dann gehe ich in die kurdischen Gebiete, da fühle ich mich sicherer.
    Baetz: Wie finden Sie überhaupt die Menschen, denen Sie vertrauen können? Es gibt da ja dann richtige Entführungsindustrie. Also Sie sind ja als Journalist dort wirklich auch viel Geld wert.
    Pelda: Ja, das ist richtig. Man kann natürlich nicht irgendwelche Leute als Leibwächter nehmen. Ich mache das eigentlich immer so, dass es Verwandte sind meiner Freunde oder ganz, ganz enge Freunde meiner Freunde. Und das Problem dabei ist eigentlich immer, zu wissen, ob einer von diesen Leibwächtern, den man zwar kennt und dem man vertraut, aber das Risiko ist da, dass vielleicht einer der Verwandten, der engen Verwandten dieses Leibwächters entführt wurde und die Terroristen diesen Mann jetzt unter Druck setzen und sagen, guck' mal, liefere uns du den Pelda, und wir lassen deinen Cousin frei. Das ist eigentlich hier das größte Restrisiko. Und da machen zum Beispiel meine Freunde, auch jetzt zum Beispiel dieser Anwar, der macht auch für sich eine Risikoanalyse, der überlegt sich genau, wen er da mitnimmt und er erkundigt sich natürlich beziehungsweise er wüsste, wenn irgendwelche Verwandten von Leibwächtern entführt wurden. Und mit solchen Leibwächtern würden wir dann nicht reisen.
    Baetz: Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Ermordung von James Foley zum Beispiel – er ist ja nicht der Einzige, der ermordet wurde – gehört haben?
    Große innerliche Wut über die Hinrichtung des Kollegen Foley
    Pelda: Ja, mit großer Wut, also innerlicher Wut. Wir werden immer wieder von allen Kriegsparteien als Spione abgestempelt. Ich meine, ich muss mir das immer wieder anhören, von Rebellen, aber auch von Assad-Leuten und natürlich die IS-Leute, die twittern das auch, ich sei von der CIA bezahlt und, und, und. Ich kenne das schon, als ich früher in Afghanistan war, da wurde in der DDR auch behauptet, ich würde für den BND arbeiten und solche Dinge. Aber in Wirklichkeit sind die meisten von uns ja wirklich Reporter. Es gibt ein paar schwarze Schafe, die unseren Berufsstand in Verruf bringen, die tatsächlich unter der Tarnung, unter dem Deckmantel des Journalisten spionieren, das gibt es. Und das sind natürlich ganz schlimme Fälle, weil die bringen mich in Misskredit und meine Kollegen ebenfalls. Aber dass man so jemanden dann als Kriegsziel nimmt, und der James Foley, ich glaube, der war wirklich harmlos, der hatte nichts mit Geheimdiensten zu tun, das war ein Vollblutjournalist, und dass man den nicht nur zwei Jahre gefangen hält, foltert, x-mal zum Schein hinrichtet, sondern am Schluss auf diese schreckliche, auf diese brutale Weise hinrichtet und das alles nur, um quasi einen Propagandaerfolg zu feiern und dem Westen Angst einzujagen – das ist schon sehr, sehr bitter.
    Der von der IS-Miliz getötete Journalist James Foley
    Der von der IS-Miliz getötete Journalist James Foley (dpa / picture-alliance / Nicole Tung)
    Baetz: Haben Sie schon mal überlegt, wie es wäre, wenn Sie entführt würden und wie reagiert eigentlich Ihre Familie auf solche Nachrichten?
    Pelda: Ja, natürlich habe ich mir das schon überlegt. Ich habe mir auch so ein bisschen zurechtgelegt, wie ich dann reagieren würde. Aber ich meine, das ist sehr hypothetisch, das kann man nicht vom Schreibtisch aus tun. Ich lege den Fokus und alle Anstrengungen darauf, nicht entführt zu werden. Na ja, und meine Familie, also meine Kinder, die sind noch ein bisschen klein, um all diese Dinge zu verstehen. Ich versuche, ihnen wirklich ein Vertrauen zu vermitteln, dass ihr Papa schon das Richtige tut und jetzt nicht zu viele Risiken auf sich nimmt. Also ich gehe eben jetzt nicht nach Aleppo, obwohl es mich brennend interessieren würde und auch ganz wichtig wäre, weil da ganz wichtige Dinge passieren und über die sind wir nicht informiert. Aber ich kann nicht mein Leben auf eine dumme Art und Weise so aufs Spiel setzen, weil ich eben Kinder habe.
    Baetz: Wie empfinden Sie das eigentlich oder wie empfinden auch die Menschen in Syrien das zum Beispiel, wenn die Enthauptung eines einzelnen westlichen Journalisten so viel Empörung auslöst, aber das tägliche Morden eigentlich schon gar nicht mehr wahrgenommen wird?
    Pelda: Viele meiner Freunde waren da auch entsetzt, dass diese Brutalität nicht haltmacht vor unschuldigen Ausländern, die nach Syrien kommen und letztlich Syrern helfen wollen. Ich meine, das war ganz klar Foleys Mission. Und ich würde auch sagen, ich möchte auch gerne den Syrern helfen. Aber Sie haben natürlich recht: Die Leute sehen, dass wir mit zwei verschiedenen Ellen messen, dass uns jetzt das Schicksal der Kurden auch mehr ans Herz geht, obwohl das eine kleine Minderheit ist. Und die große Mehrheit, die der Sunniten, eben die Leute, die jetzt zum Beispiel noch in Aleppo leben und das sind doch einige 100.000, die da wirklich mit dem Tod bedroht werden, die kommen in unseren Medien gar nicht mehr vor. Und das ist letztlich eben auch eine Folge dieses falschen Journalismus, dass man die Journalisten eben nicht mehr in diese Gebiete schickt oder sogar, fast schon pervers, sie davon abhält, da hinzugehen, wenn es doch Freiwillige gibt, die das tun wollen. Wir sind einfach verzerrt und zum Teil falsch informiert über das, was in diesen Ländern abgeht.
    Baetz: Wenn man gerade in solchen Extremsituationen, wie Sie sie oft erleben, sich befindet, wie unabhängig kann man da eigentlich bleiben als Journalist? Ist man dann wirklich nur noch Beobachter oder drängt es einen dann nicht ab und zu, da auch dazu zu sagen: Ich bin eigentlich mehr als ein Beobachter?
    Pelda: Na ja, man hat ein Berufsethos und gewisse Dinge kann man nicht tun. Man kann sich nicht zum Propagandainstrument machen lassen von dieser Seite oder von der anderen Seite. Aber man kann auch nicht neutral bleiben, wenn Menschen reihenweise geköpft werden, wenn ein Regime Sprengstofffässer über Wohngebieten abwirft und man diese Zerstörung sieht. Ich meine, in Aleppo sieht das mittlerweile wirklich so ein bisschen aus wie in den deutschen Städten im Frühling 1945. Also der Vergleich, der hinkt nicht. Und da – natürlich ergreift man Partei. Natürlich bin ich nicht für diesen Diktator. Dieser Diktator hat Giftgas eingesetzt gegen seine eigene Bevölkerung. Aber diese ganzen Oppositionsgruppen, die haben eben auch Fehler gemacht, die haben auch schreckliche Kriegsverbrechen begangen. Ich würde sagen, verglichen mit Assads Kriegsverbrechen sind sie immer noch Peanuts, auch die Verbrechen, die der IS begeht, sind zwar medial sehr gut ausgeschlachtet und sind äußerst brutal, aber rein zahlenmäßig sind sie eben wenig, verglichen mit dem, was Assads Schergen angerichtet haben. Man darf als Journalist gegenüber all diesen Verbrechen auf allen Seiten nicht einfach gleichgültig sein, man darf sie nicht verschweigen. Ich war einer der ersten Journalisten, die darauf hingewiesen haben, dass in Syrien jetzt geköpft wird. Das waren meines Erachtens die Tschetschenen, die diesen Brauch quasi nach Syrien brachten. Und ich habe auch davor gewarnt, dass Rebellen, wenn die gewisse Regionen von Syrien erobern würden, wo es Schiiten gibt oder Alawiten, also eben Nicht-Sunniten, dass es dort zu Massakern kommen würde. Und das ist dann auch geschehen. Und da darf man nicht still sein. Aber das heißt noch lange nicht, dass man in diesem Krieg einfach neutral ist und sagt, ja, beide Seiten sind gleich schlimm und beide Seiten haben gleich unrecht.
    Baetz: Ich weiß nicht, ob Sie es verfolgt haben, es gab in Deutschland eine Debatte über den Kollegen Martin Lejeune, der aus dem Gazastreifen berichtet hat, als dort die Bomben gefallen sind, die von Israelis geworfen wurden, weil er sich gleichzeitig auch bei Friedensdemonstrationen in Deutschland zu Wort gemeldet hat et cetera. Wie beurteilen Sie so etwas?
    Als Journalist nicht auf Demos reden
    Pelda: Also ich werde ja oft von kurdischen Gruppen hier in der Schweiz, aber auch anderswo angefragt, ob ich bei Demonstrationen sprechen möchte. Und das möchte ich nicht, weil ich möchte nicht irgendwie als politisch einseitig wahrgenommen werden. Ich bin nicht ein Politiker, ich bin nicht ein Entwicklungshelfer, ich bin ein Journalist. Und meine Aufgabe ist es, zu berichten. Das kann durchaus mit einer Meinung sein, aber diese Meinung transportiere ich in Berichten, in meinen Artikeln und Fernsehdokus, nicht bei einer Rede auf einer Demo. Wenn ich zu einem Referat eingeladen werde, dann kann ich durchaus da vom Leder ziehen und meine Meinung auch öffentlich oder in einem beschränkten Rahmen öffentlich kundtun, aber an einer Demonstration, finde ich, darf ich das nicht tun als Journalist.
    Baetz: Wenn Sie aber regelmäßig ja wieder in die Schweiz zurückgehen, nach Hause kommen, nachdem Sie doch relativ harte Dinge erlebt haben, gesehen haben, wie reagieren Ihre Mitmenschen, beziehungsweise haben Sie den Eindruck, dass die begreifen, wo Sie gewesen sind?
    Pelda: Ja, das ist ein großes Problem. Ich erwarte auch von meinen Mitmenschen nicht, dass sie das verstehen können. Ich erhoffe natürlich ein gewisses Verständnis, vielleicht auch, wenn ich dann ein bisschen seltsam bin, vielleicht ein bisschen abwesend, vielleicht ein bisschen depressiv. Die Menschen, die mir sehr nahe sind, ich glaube, die kennen das. Aber ich darf nicht erwarten, dass die das verstehen. Und das Schöne an der heutigen Zeit ist eben, dass man sich über Social Media auch mit anderen Kriegsreportern austauschen kann. Man kann sehr gut verstehen, was im anderen vorgeht, wenn er eben von so einer Reise zurückkehrt. Und das ist nun ein großer Fortschritt gegenüber früher, als ich einfach ... Ich mache das ja schon lange, in der Zeit, als man noch sehr viel Geld ausgab für Ferngespräche am Telefon: Damals hatte ich diese Möglichkeit nicht, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Es gibt jetzt zum Beispiel auch Kurden hier aus der Schweiz, die jetzt in Kobani sei es kämpfen, sei es einfach helfen. Und ich kriege von denen manchmal einfach einen Anruf, weil die sich mit ihrer Familie hier in der Schweiz nicht über diese Dinge austauschen können.
    Baetz: Das heißt, es gibt wirklich Fortschritt, und ein Fortschritt ist, glaube ich, auch, dass viele Kollegen inzwischen auch sich trauen, psychotherapeutische Hilfe im Zweifel in Anspruch zu nehmen. Haben Sie das auch schon überlegt?
    Pelda: Ich habe das auch schon gemacht und ich habe da keine Berührungsängste. Ich glaube, es ist ganz wichtig, mal auch unabhängig vom Beruf des Kriegsreporters sich mal mit einem Profi über seine Seele zu unterhalten. Also mir ist noch nie was wirklich, wirklich Schlimmes selbst passiert, also ich war zwar schon in Gefahr, aber es war jetzt nicht so, dass ich kurz vor der Entführung gestanden hätte oder dass ich jetzt wirklich das Gefühl habe, jetzt wäre ich um ein Haar umgekommen. Wobei, das letzte stimmt nicht ganz, es gab schon solche Momente, Granateinschläge, Bombeneinschläge, die sehr, sehr nahe waren. Aber ich glaube, dass es eine gute Sache ist, wenn man eben diese Berührungsangst nicht hat und professionelle Hilfe rechtzeitig in Anspruch nimmt und nicht wartet, bis sich das in die Psyche reinfrisst. Und ich merke das dann ja auch: Ich habe dann psychosomatische Beschwerden, ich presse die Zähne aufeinander in der Nacht, ich wache dann auf mit Kopfschmerzen, ich habe Albträume und solche Dinge. Aber ich muss sagen: Meistens hilft eben die Zeit, das zu heilen und da helfen mir natürlich meine Kinder, meine Mitmenschen, die Leute, die mir halt am nächsten sind, die helfen mir auch, diese Dinge wieder zu vergessen oder so ein bisschen in den Hintergrund rücken zu lassen, dass sie nicht immer so präsent sind, weil dann kann man nicht mehr leben, dann dreht man durch.
    Baetz: Dann aber trotzdem noch mal gefragt: Sie verdienen ja wahrscheinlich nicht besonders viel Geld damit, Sie gehen ein hohes menschliches, persönliches Risiko ein – was würden Sie sagen, was treibt Sie an, warum tun Sie diese Arbeit?
    Pelda: Dass ich sie jetzt noch tue, obwohl ich schon bald 50 bin, hängt auch mit der Entwicklung in den Medien zusammen. Ich beobachte das wirklich mit Sorge. Ich glaube, die Tendenz geht in die falsche Richtung, und zwar nicht nur in der Berichterstattung über kriegerische Ereignisse, sondern die Tendenz geht eben weg vom Recherchieren, vom An-Ort-und-Stelle-Sein, es geht weg vom Augenschein. Man nimmt die Propagandavideos des IS, macht daraus irgendwas, kommentiert das, und ob das irgendetwas mit der Realität zu tun hat, diese Frage stellt man sich gar nicht. Und ich möchte da dagegen halten. Das ist vielleicht altmodisch, aber ich glaube, es ist ganz extrem wichtig: Um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu kommen, muss man eben da hingehen, man muss ein Netzwerk haben, man muss Leute haben, die einem die Dinge erklären, man muss auch Leute mit verschiedenen Ansichten haben. Es muss Kontroversen geben, die dann am Schluss in einer Synthese in einem Artikel oder in einem Fernsehbericht irgendwie zusammenkommen. Wenn man das nicht hat, dann fehlen einem die wichtigsten Zutaten für eine realitätsnahe, relevante Berichterstattung. Und dann machen unsere Politiker eben auch Fehler, weil sie nicht über die richtigen Informationen verfügen. Und ich glaube, wären die Medien anders gestrickt, wäre diese Krise, ja, die wir jetzt schon seit über zehn Jahren beobachten, wäre die erst später gekommen, dann wäre vielleicht auch der Syrienkrieg anders verlaufen, dann hätte man vielleicht schon früher etwas unternommen, es gäbe heute keinen IS und dann hätten unsere Politiker vielleicht auch andere Entscheidungen gefällt.
    Baetz: Meinte der Basler Kriegsreporter Kurt Pelda. Seine Schweizer Kollegen wählten ihn zum Journalisten des Jahres. Und das war unsere letzte Markt-und-Medien-Ausgabe 2014, am Mikrofon verabschiedet sich Brigitte Baetz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.