Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Krim
Gerechtigkeit für den ermordeten Bruder

Die meisten Krimtataren waren gegen eine Angliederung der Krim an Russland. Den Krimtataren Reschat Ametow hat seine Zugehörigkeit vermutlich das Leben gekostet. Er wurde ermordet aufgefunden. Seine Familie sucht nach den Tätern. Von der Polizei können sie keine Hilfe erwarten.

Von Florian Kellermann | 22.04.2014
    Russische Soldaten vor der ukrainischen Marinebasis in Simferopol.
    Russische Soldaten vor der ukrainischen Marinebasis in Simferopol: Reschats Familie verdächtigt pro-russische Kräfte des Mordes an ihm. (AFP / Filippo Monteforte)
    Refat Ametow blickt stur geradeaus. Der junge Mann will sich unbedingt konzentrieren. Und vor allem: Er darf jetzt keine Gefühle zulassen.
    "Ich habe meinen Bruder schon gesucht, als er gerade verschwunden war. Die Polizei wollte mir damals nicht helfen. Ich bin auf Spuren gestoßen, aber ich habe ihn nicht gefunden. Jetzt, da er tot ist, habe ich wenigstens ein Video. Es zeigt wie er von Unbekannten abgeführt wurde. Aber was geschah dann?"
    Refats Bruder, Reschat, wurde zwölf Tage nach seiner Entführung aufgefunden, auf einem Feld in der Nähe der Stadt Belogorsk. Der 39-jährige Krimtatare war nackt, seine Füße gefesselt, ein Auge durchstochen - offenbar war er vor seiner Ermordung gefoltert worden. Das geschah, als pro-russische Kräfte auf der Krim gerade die Regierung übernommen hatten - und die Krimtataren sich mehrheitlich gegen die geplante Angliederung an Russland stemmten.
    Ein Video als einzige Spur
    Refat sitzt mit seiner Schwester Ajsche und ihrem Mann am Küchentisch. Das Haus in der Vorstadt von Simferopol hat der ermordete Reschat geplant, er hatte einen Abschluss an einer Bauakademie. Gerade hatte er für seine Familie - eine Frau und drei Kinder - den Bau eines zweiten Hauses begonnen.
    Auch Ajsche quält seit Wochen dieselbe Frage: Wer waren die Täter?
    "Er war ein völlig gutmütiger und harmloser Mensch, er hat keiner Partei angehört und niemandem etwas Böses getan. Wie grausam, wie bestialisch muss man sein, um ihm so etwas anzutun."
    Refat schaltet den Computer ein. Ein Video, zufällig aufgenommen von einem lokalen Fernsehsender, zeigt Reschat vor dem Ministerrat in Simferopol. Schwarze Lederjacke, dunkle Hose - stundenlang steht er immer am gleichen Fleck. Das war sein ganz persönlicher Protest gegen die Besetzung des Gebäudes wenige Tage zuvor, gegen die pro-russische Regierung. Eigentlich eine hilflose, amateurhafte Geste, Reschats politisches Engagement erschöpfte sich bis dahin darin, dass er Mitglied im Rat seines Dorfes war.
    Um ihn herum bewegten sich an jenem Tag Anhänger des neuen Regierungschefs Aksjonow, die den Ministerrat bewachten, wie sie sagten, auch Männer in Tarnanzügen und mit Kalaschnikow waren in der Nähe.
    Dann plötzlich tauchen drei Männer auf - und führen Reschat ab. Ihre Gestalten sind nur undeutlich zu erkennen.
    Am nächsten Tag auf dem Leninplatz, vor dem Ministerrat: Refat setzt die Spurensuche fort.
    "Auf dem Video sieht man, dass hier an dieser Stelle ein Mann mit einer anderen, kleinen Kamera stand. Er ist losgerannt, als Reschat festgenommen wurde, er muss das von viel näher gefilmt haben. Ihn müsste man finden."
    Diesen und viele weitere Hinweise, die Refat nach tagelanger Analyse aus dem Video gewann, hat er der Polizei weitergegeben - bisher ohne jedes Ergebnis.
    Russische Beamte sind letzte Hoffnung
    Doch darf sie das Verbrechen überhaupt aufklären? Diese Frage stellen sich Reschats Familie und viele Krimtataren. Schließlich ist es sehr wahrscheinlich, dass die Täter im pro-russischen Lager zu suchen sind.
    Ein Fernsehinterview von Ministerpräsident Sergej Aksjonow vor zwei Wochen ließ die Hoffnung auf Aufklärung noch weiter schwinden.
    "Ach, das war doch nur ein Verkehrsunfall", winkte Aksjonow bei der Erwähnung von Reschat ab. Eine absurde Lüge - und möglicherweise ein deutliches Warnsignal an die Polizei.
    Trotzdem sind nun ausgerechnet Beamte aus Russland Refats letzte Hoffnung. Sie haben auf der Krim eine neue Ermittlungsbehörde gegründet, die von der Krimregierung unabhängig ist. Vielleicht mache Russland ja sein Versprechen wahr und behandele alle Bürger gleich, meint Refat.
    "Wer auch immer die Mörder waren, selbst wenn sie vom russischen Geheimdienst waren: Sie haben Putins großes Fest, die Angliederung der Krim an Russland, in einen dunklen Schatten gestellt. Sie haben ihm die Feier verdorben. Der russische Präsident müsste deshalb doch selbst wollen, dass sie gefasst werden."