Donnerstag, 28. März 2024

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Krim-Krise
"Kalter Krieg mit anderen Mitteln"

Der frühere luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker hat der russischen Führung vorgeworfen, auf der ukrainischen Halbinsel Krim gegen geltendes Völkerrecht zu verstoßen. "Wir brauchen jetzt Gespräche, damit nicht geschossen wird", sagte Juncker im Deutschlandfunk.

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.03.2014
    Jasper Barenberg: Am Anfang war von 2.000 Soldaten die Rede, die mit Transportmaschinen auf die Krim verlegt worden sind. Inzwischen geht die Führung in Kiew davon aus, dass Moskau seine Streitkräfte in der Autonomen Republik in den letzten Tagen um mehr als 6.000 Mann aufgestockt hat. Auf Bitten des neuen Gouverneurs dort. Und weil das Leben russischer Staatsbürger in Gefahr ist. So rechtfertigt Präsident Putin, was viele im Westen als Handstreich betrachten, was die Kanzlerin klipp und klar einen Bruch des Völkerrechts genannt hat. Riskiert Moskau einen Krieg auf der Krim? Das habe ich heute Morgen Jean-Claude Juncker gefragt, den früheren Ministerpräsident von Luxemburg.
    Jean-Claude Juncker: Ich bin ja nicht Sprecher der russischen Regierung oder von Herrn Putin. Ich bin besorgt, dass es zu einer sich maximal steigernden Eskalierung in der Krim kommt. Das, was die russische Führung auf der Krim unternommen hat, verstößt eindeutig gegen geltendes Völkerrecht, entspricht nicht dem Einhalten der Verpflichtungen, die die russische Führung in den 90er-Jahren in Sachen Ukraine und Krim eingegangen ist. Insofern müssen wir dafür sorgen, dass der russischen Seite sehr deutlich gemacht wird, dass man sich so nicht benehmen kann. Dies ist Kalter Krieg mit anderen Mitteln. Und dem muss man Einhalt gebieten.
    Barenberg: Wie kann dem Einhalt geboten werden?
    Juncker: Ich bin der Auffassung, dass es wichtig und richtig ist, dass sich führende Persönlichkeiten der europäischen Regierungen eingemischt haben. Das hat die Kanzlerin den ganzen Tag über gestern getan. Wir müssen deutlich machen, dass die Europäische Union einer der möglichen Ordnungsfaktoren in dieser Region Europas ist und deshalb muss die Europäische Union sich als friedensstiftende Kontinentalmacht einbringen. Und weil wir ja wissen müssen, dass es zu einer Konfliktbereinigung ohne das aktive Mitmachen Moskaus nicht kommen kann, halte ich es für sehr vernünftig, dass man die Gesprächskanäle nach Moskau offenhält. Und dass man versucht, um die Idee einer Kontaktgruppe herum die Dinge so in den Griff zu bekommen, dass dieser Eskalierung, dieser unvernünftigen, in dieses Jahrhundert nicht passenden Eskalierung, Einhalt geboten wird.
    Barenberg: Also auf der einen Seite den Gesprächsfaden nach Moskau nicht abreißen lassen, auf der anderen Seite Grenzen aufzeigen – ist das sozusagen die doppelte Strategie, die jetzt nötig ist?
    Juncker: Das ist eine Strategie in zwei Teilen oder auch eine Strategie mit zwei Seiten. Es muss deutlich gemacht werden, was geht und was nicht geht, und das wurde deutlich gemacht in den letzten Stunden von europäischer Seite her und auch von der NATO-Seite her, dass dieses nicht geht, was jetzt im Vollzug zu sein scheint und von russischer Seite geplant wird. Und es muss natürlich auch erklärt werden, auch in den westlichen öffentlichen Meinungen erklärt werden, dass wir mit Moskau im Gespräch bleiben müssen. Wenn die Dinge eskalieren, muss jemand kühlen Kopf behalten. Die Europäische Union als Ordnungsfaktor auf dem Kontinent muss einen kühlen Kopf behalten.
    Barenberg: Was hat die Europäische Union denn in der Hand an Mitteln, um dieses Ziel zu erreichen, einer Deeskalation?
    Juncker: Ich bin der Auffassung, dass, wann immer jemand sich der Unvernunft in die Arme wirft, und das hat Moskau eindeutigerweise ja getan, der Moment kommen wird, wo man sich nach einem Gespräch mit Vernünftigen sucht. Und solange die Europäische Union vernünftig bleibt und einen kühlen Kopf behält und ein Ansprechpartner für alle ist, die mit jemandem sprechen möchten, der einen kühlen Kopf behalten hat, dann wird sich Moskau auch auf die Europäische Union zu bewegen, wenn diese deutlich macht, dass sie gesprächsoffen ist. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir wirklich die Gesprächskanäle und den Gesprächsfaden nach Moskau offenhalten und in der Hand halten müssen.
    Barenberg: Sie haben in den letzten Tagen gesagt und gerade auch noch mal wiederholt, dass es ohne Russland eine Lösung dieser Krise und auch eine Befriedung der gesamten Region nicht geben wird. Wie kann aber, nachdem wir jetzt zur Kenntnis nehmen müssen, wie hart und schnell und rücksichtslos Russland vorgeht, wie kann eine Lösung mit Russland denn aussehen?
    Juncker: Es wurde ja von Angela Merkel die Idee in Vorschlag gebracht, eine Kontaktgruppe auf die Beine zu stellen. Das ist genau das Gesprächsforum, das wir brauchen. Wer miteinander im Gespräch bleibt, kann die Reaktionen und Reflexe besser einschätzen. Und deshalb ist Gespräch besser als kontinentale Sprachlosigkeit. Wir müssen auch versuchen, über den Weg der OSZE, oder, wenn es denn sein muss, über den Weg des Weltsicherheitsrates diese Kontaktgruppe auf die Beine zu stellen – eine Beobachtergruppe, Entschuldigung, in die Ukraine zu entsenden. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, um die Gespräche mit den Russen wieder aufzunehmen, die Gott sei Dank ja auch auf verschiedenen Ebenen schon laufen. Ich glaube nicht, dass es Sinn machte, jetzt konkret darüber zu reden, welche Schritte denn konkret von der Europäischen Union in die Wege geleitet werden sollen. Dies wäre genau das Gegenteil von Gesprächen. Man soll im Gespräch Möglichkeiten ausloten, die es gilt, zur Anwendung zu bringen. Und nicht außerhalb der Gesprächskanäle, die man braucht.
    Barenberg: Wie sollte diese Kontaktgruppe zusammengesetzt sein? Wer sollte ihr angehören?
    Juncker: Dies wird Sache der beteiligten Parteien sein. Ich glaube nicht, dass es heute Morgen um diese Zeit schon angebracht wäre, über die Zusammensetzung dieser Gruppe Auskunft zu geben.
    Barenberg: Europäische Außenminister haben sich ja in den vergangenen Wochen in den Machtkampf in Kiew eingeschaltet. Sie haben versucht, zu vermitteln, sie haben eine Übergangsvereinbarung mit verhandelt. Ist jetzt die Verantwortung, die Europa trägt für die Zukunft der Ukraine, umso größer?
    Juncker: Ich glaube schon, dass die Verantwortung der Europäischen Union in Sachen Ukraine und in der Ukraine groß ist. Sie ist größer geworden, nachdem sich die Europäische Union bereiterklärt hat in den vergangenen Wochen, Vermittlungsaufgaben zu übernehmen. Wir müssen wissen, dass die Ukraine ein europäisches Land ist. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Russland denkt, es wäre so lange ein Imperium, wie die Ukraine sich zu seinem direkten Einflussgebiet zählen lässt. Und dass Russland denkt, auf das Stadium eines einfachen Staates zurückzufallen, wenn es die Ukraine nicht mehr zu seinem Einflussgebiet zählen kann – all dies muss man zur Kenntnis nehmen. Europa ist ein komplizierter Kontinent. Und diejenigen, die dachten, die Frage nach Krieg und Frieden würde sich auf dem europäischen Kontinent nie mehr stellen, die werden dieser Tage eines Besseren belehrt. Krieg passt allerdings nicht in dieses Jahrhundert und hat in unserem Jahrhundert nichts zu suchen, ansonsten werden wieder die alten Dämonen durch europäische Landschaften geistern.
    Barenberg: Hat Europa Fehler gemacht in der Vergangenheit, weil jedenfalls in Moskau der Eindruck entstanden ist, in Kiew müsste man sich entscheiden für Europa und damit gegen den Kreml, gegen enge Verbindungen zu Russland.
    Über Jean-Claude Juncker
    Geboren 1954 in Redingen, Luxemburg. Der luxemburgische Politiker studierte bis 1979 Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg und wurde anschließend als Anwalt zugelassen. Jean-Claude Juncker gehört der Christlich-Sozialen Volkspartei seines Landes an und war von 1995 bis 2013 Premierminister von Luxemburg. Er trat und tritt häufig in Fragen rund um die Europäische Union in Erscheinung.
    Juncker: Ich war stets der Meinung, dass wir hier weder die Russen verprellen sollten, noch die Ukraine im Regen stehen lassen sollten. Wir müssen jetzt dafür sorgen, unabhängig von möglichen Fehlern, die in den vergangenen Monaten passiert sind, dass die Ukraine wirtschaftlich nicht zusammenbricht, dass sie zahlungsfähig bleibt. Sie müssen die Kräfte der internationalen Gemeinschaft so bündeln, dass die Ukraine nicht ins endgültige Abseits gerät.
    Barenberg: Die sieben führenden Industrienationen setzen jetzt geschlossen die Vorbereitung des G8-Treffens, das im russischen Sotschi ja für Juni geplant ist, aus. Ist das ein richtiger Schritt? Wir haben ja darüber gesprochen, dass es jetzt auch darum geht, Präsident Putin aufzuzeigen.
    Juncker: Ich bin der Meinung, dass man Präsident Putin Grenzen aufzeigen muss. Ich bin aber auch der Meinung, dass man sich so benehmen sollte, dass niemand einen Gesichtsverlust erleidet. Insofern: Gespräche sind angesagt, nicht vorgetragene Drohungen.
    Barenberg: Sie halten das für einen Fehler?
    Juncker: Nein, ich halte das nicht für einen Fehler, aber ich sage, dass man auf diesem Punkt nicht so insistieren sollte, dass er mit dazu führt, dass Sprachlosigkeit entsteht. Wir brauchen jetzt Gespräche, damit nicht geschossen wird.
    Barenberg: Jean Claude Juncker, der frühere Ministerpräsident von Luxemburg hier live im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Juncker!
    Juncker: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.