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Krim-Krise
"Russland agiert als Großmacht"

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder, rechnet in der Krim-Krise mit neuen Sanktionen gegen Russland, wie er im DLF sagte. Bei allen Entscheidungen müsse man sich aber bewusst sein, dass Russland als Großmacht agiere.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Mario Dobovisek | 15.03.2014
    Der Kreml an den Ufern der Moskwa in Moskau.
    Mißfelder rechnet mit neuen Sanktionen gegen Russland nach dem Referendum. (dpa picture alliance / Matthias Toedt)
    Mario Dobovisek: Sabine Adler berichtete, und mitgehört hat Philipp Mißfelder, er ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag und Vorsitzender der Jungen Union. Guten Morgen, Herr Mißfelder!
    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Die Krim sei für Russland wichtiger als die Falklandinseln für Großbritannien. Und um die wurde immerhin Krieg geführt. Wie ernst müssen wir Äußerungen wie diese von Sergei Lawrow nehmen?
    Mißfelder: Ich glaube, das muss man sehr ernst nehmen, weil in der Außenpolitik gilt der Grundsatz, wie ihn ja Henry Kissinger schon beschrieben hat – und der hat sich ja jüngst auch zu Wort gemeldet –, dass man versuchen muss, sich in die Perspektive des Gegenübers zu versetzen. Und ich glaube, dazu gehört auch, dass man sehen muss, dass Russland wie eine Großmacht agiert, während wir ja als Deutsche als eine, ja, Mittelmacht ja in Europa nur agieren. Und das ist ja auch richtig so, das ist ja auch unser Anspruch. Wir sind ja auch nicht größenwahnsinnig geworden. Aber Russland bewegt sich eben im Denken auch in einer Zeit, die uns häufig fremd ist. Und dann passen solche Äußerungen auch da hinein.
    Dobovisek: Hat Deutschland, hat die Europäische Union, haben die USA Russland und die Krim-Krise in den vergangenen Wochen deutlich unterschätzt?
    Mißfelder: Ich glaube, man hätte schon vor acht Wochen wissen können, dass für den russischen Präsidenten klar ist, dass er die Krim nicht aufgeben wird. Und dass bei dem wahrscheinlichen oder auch unwahrscheinlichen Fall – je nachdem, wie man zu dieser Kalkulation steht –, dass die Ukraine zerfällt und dass wir ... also das ist halt nicht richtig, also dass die Ukraine in einer Situation sich befindet, wo sie sich eher von Russland abwendet, also die Russen das Gefühl haben, die Ukraine zu verlieren – dieser Prozess ist nach Janokowitschs Flucht eingetreten –, dass dann auch über die Krim geostrategisch aus russischer Sicht ganz anders noch gedacht wird als unter Janukowitsch, der ja irgendwie so als russischer Statthalter, ist zwar auch nicht in Moskau beliebt immer gewesen, aber als russischer Statthalter galt.
    Dobovisek: Wäre es dann vielleicht, ja, klüger gewesen, die Krim-Abspaltung zu akzeptieren, aber auf eine autonome Krim hinzuwirken?
    Mißfelder: Das ist natürlich vor dem Hintergrund, dass wir hier als Europäer ja das internationale Recht jederzeit aufrecht erhalten wollen und uns ja sehr stark auch für das Völkerrecht, für die Weiterentwicklung des Völkerrechts einsetzen, wäre das ein realpolitischer Schritt, den, ich glaube, wir als Europäer kaum vornehmen könnten. Ich glaube, dass wir da auch in einer anderen Situation sind als Amerika. Wenn man ganz genau hinhört: Der amerikanische Außenminister spricht ja immer von illegitim, und das Wort, das Pochen aufs internationale Recht, das war zwar in Ihrem Vorspann drin, aber das Pochen auf das internationale Recht ist ja nun nicht die meiste Aufgabe der USA, denn Großmächte agieren häufig ganz anders. Aber ich glaube, dass wir als Mittelmächte in Europa, als kleinere Länder zu Recht sagen: Das internationale Recht muss eingehalten werden. Deshalb fällt es mir sehr, sehr schwer, dass man schon in Verhandlungen reingeht mit dem Anspruch, das von vornherein zu ignorieren, weil ganz klar ist: Dieser territoriale Anspruch ist illegal und hat natürlich nicht die Legitimation beispielsweise wie andere Referenden, um die es geht.
    Dobovisek: Nun beruft sich Russlands Außenminister ja auch auf die Unabhängigkeit des Kosovo und sagt, wenn das eine Ausnahme im Völkerrecht war, dann sollte die Krim auch eine sein. Wie können Sie ihm da widersprechen?
    Mißfelder: Ja, der Kosovo hat ja aus unserer Sicht, also aus unserem moralischen Verständnis auch heraus einen anderen Vorlauf, aber wie gesagt, aus russischer Sicht ist das ein analoger Vorgang. Das muss man auch so sehen, dass die Russen das als Argument so bringen. Also trotzdem sage ich, dass wir als Deutsche natürlich nicht diejenigen sein können, die das Völkerrecht mit Füßen treten und es aufgeben. Dass die Amerikaner in Teilen als Hüter des Völkerrechts dann auftreten – ich glaube, das weiß jeder, dass das sehr pragmatisch in Amerika gehandhabt wird, beispielsweise, wenn es um den internationalen Strafgerichtshof geht.
    Dobovisek: Was müsste geschehen, damit die dritte Stufe der Sanktionen, die für Montag geplant ist, ausbleiben kann?
    Mißfelder: Das ist aus meiner Sicht der Weg, der am unwahrscheinlichsten ist, dass das Referendum entweder abgesagt wird oder Russland sagt, wir erkennen das Referendum nicht an. Das ist auch schon hier in Ihrer Sendung gewesen, dass dort die Fronten sehr verhärtet sind, dass Lawrow gestern in London dazu ganz klar gesagt hat, welche Erwartungshaltung er hat, welche Reaktion Russland zeigen wird. Ich glaube, wir werden am Montag über diese Sanktionsmaßnahmen dann reden. Und dann werden sie auch in Kraft gesetzt werden. Es ist nur die Frage, inwiefern Sanktionen dazu führen, dass ein Partner noch weiter in die Ecke getrieben wird und dass eine Partei in dem Sinne ja vielleicht dann noch andere Reaktionen macht. Und deshalb müssen wir uns genau überlegen, was man an Maßnahmen ergreift.
    Dobovisek: Welche Maßnahmen, welche Sanktionen sind aus Ihrer Sicht sinnvoll ab Montag?
    Mißfelder: Ich glaube, dass man schon darüber reden muss, dass man auch gezielt Visa-Restriktionen einführt. Es ist ja auch die Frage von Vermögenseinfrierung, die Frage auf dem Tisch. Es ist nur so, dass natürlich auch – das muss ich jetzt der Ehrlichkeit halber dazusagen, also dass wir uns auch nicht jetzt zu stark fühlen in der Inbrunst der moralischen Überlegenheit des Westens, die wir propagieren in den letzten Wochen. Es ist natürlich so: Die Russen werden ja auch recht pragmatisch dann reagieren, das glaube ich zumindest, und sagen, gut, dann werden wir auch westliche Vermögen, die in Russland sind, einfrieren. Da kann man sagen, ja, so viele sind das nicht, weil wir diese Oligarchen nicht haben und weil wir auch diese ... Wenige von uns außer dienstlich eben nach Russland fahren und die Oligarchen regelmäßig zwischen Europa und Russland hin- und herpendeln. Aber natürlich gibt es auch deutsche Firmen, die Vermögenswerte im Land haben. Und ich befürchte, dass dann aus russischer Sicht auch Gegenreaktionen zu erwarten sind.
    Dobovisek: Einreisebeschränkungen also für einen Teil der russischen Elite – gegen wen denn zum Beispiel?
    Mißfelder: Das liegt nicht in meiner Hand, das zu beschreiben. Ich kann nur sagen: Ich glaube, die Russen werden immer genauso reagieren auf der gleichen Ebene wie von unserer Seite Sanktionen verhängt werden.
    Dobovisek: Welche Wirtschaftssanktionen wären denn sinnvoll?
    Mißfelder: Das ist ja der große Diskussionspunkt in der EU und in der internationalen Gemeinschaft. Viele haben den Eindruck, dass Sanktionen gegen den Gas- und Ölsektor Russland treffen würden. Ich befürchte, dass, wenn man diese Sanktionen durchführen würde, wir uns vor allem in erster Linie selber treffen würden. Und zwar schaden würden. Ich glaube, langfristig würde es tatsächlich so sein, dass es eventuell funktionieren kann, auch das russische Budget mit zu treffen – andererseits ist es natürlich so, dass die Chinesen, die ja eher sich zurückhalten in der Frage, werden glaube ich nicht damit zurückhalten, wenn es darum geht, russische Rohstoffe zu kaufen, vielleicht zu einem geringeren Preis als die Europäer, aber nichts desto trotz können sie, glaube ich, auch andere Abnehmer finden. Und vor dem Hintergrund ist das mit den Rohstoffen so eine Sache. Und so einfach ist das nicht, dass man glaubt, über Nacht könnte man damit das russische Budget niederprügeln.
    Dobovisek: Stichwort Energie, ich zitiere mal einen Werbespruch auf einer Internetseite: "Erdgasspeicher – unser Beitrag zur Versorgungssicherheit", das ist nicht etwa die Internetseite eines deutschen Versorgers, sondern von Gazprom in Deutschland, also eben jenem russischen Unternehmen, das uns mit Gas beliefert und vor Unterbrechungen in der Versorgung warnt. Im Dezember noch wurden Verträge unterzeichnet, Stück für Stück gehen jetzt 20 Prozent aller deutschen Gasspeicher in russische Hand über. Wie passt das zusammen, Teufel und Belzebub?
    Über Philipp Mißfelder
    Geboren 1979 in Gelsenkirchen, Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker studierte ab 2003 Geschichte in Berlin. Er ist seit 1993 Mitglied der Jungen Union und seit 1995 Mitglied der CDU. Seit 2005 ist Mißfelder Abgeordneter im Deutschen Bundestag und dort seit 2009 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2002 ist er außerdem Vorsitzender der Jungen Union.
    Mißfelder: Finde ich eigentlich nicht, weil ich glaube und ich hoffe auch, dass der Tag wieder kommt, wo wir mehr, noch wieder mehr auf Kooperation und ein integratives Verhältnis setzen im Gegenüber als auf diese Konfrontation, die wir jetzt erleben. Das ist alles Kaltes-Kriegs-Denken, aber jetzt gehe ich wirklich in die Zeit des Kalten Krieges zurück, ich habe das nicht erlebt, ich war damals noch nicht geboren, aber ich habe darüber viel gelesen und darüber gehört. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, einer Industrieregion. Und wenn man sich die Geschichte der Unternehmen in meiner Region anschaut, dann sieht man, dass selbst in Zeiten des Kalten Krieges, der ärgsten Konfrontation, es keine Lieferengpässe gibt. Wenn man sich die Geschichte von Thyssen anschaut, von Krupp anschaut, von anderen Unternehmen – es gab immer Kooperation, selbst zu politisch sehr angespannten Situationen. Und ich glaube auch, dass dieser Hebel aus russischer Sicht jetzt dann nicht genutzt wird. Ich glaube, dass es dann eher so wäre, wenn wir den Gas- und den Ölsektor in Beschlag nehmen durch Sanktion, dass dann eine russische Reaktion käme. Aber wie gesagt, das ist ja auch nur ein theoretischer Punkt, denn die technischen Anlagen sind ja auf deutschem Gebiet, also insofern werden wir dann ... könnte man das anders auch handhaben. Aber wie gesagt, das ist alles ... Das wären wieder neue Eskalationsstufen, die politisch so einen Schaden anrichten würden – das wünsche ich mir nicht und ich glaube, das sollte man auch abwenden.
    Dobovisek: Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Morgen soll auf der Krim ein Referendum über deren Abspaltung von der Ukraine abgehalten werden. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Mißfelder: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.