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Krim-Krise
"Russland braucht den Westen"

Sanktionen gegen Russland wirkten nicht von heute auf morgen, trotzdem könne man Russland damit unter Druck setzen, sagte die Osteuropa-Sprecherin der Grünen, Marieluise Beck, im DLF. Sie befürchtet jedoch, dass der russische Präsident Putin "schon jetzt in einer anderen Welt ist" und nur noch Stärke beweisen wolle.

Marieluise Beck im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.03.2014
    Wladimir Putin bei seiner Pressekonferenz in Moskau.
    Beck: Putin will vor allem im eigenen Land Stärke beweisen (picture alliance / dpa / Alexey Nikolsky)
    Friedbert Meurer: Die EU sieht und bezeichnet das Referendum auf der Krim morgen als einen Bruch des Völkerrechts. Heute gibt es auch Informationen der Organisation Human Rights Watch, die von gezielter Einschüchterung spricht. Die russische Seite dagegen hält das Referendum für legal. Die Regierung in Kiew sei eine Putschregierung, außerdem unterwandert von Rechtsradikalen, deswegen wollten die Menschen auf der Krim doch den Anschluss an Moskau und Russland. Tatsächlich ist auch in Kiew die nationalistische Bewegung Swoboda Teil der neuen ukrainischen Regierung. Swoboda gilt als rechtsextrem, rechtspopulistisch und antisemitisch, sie stellt aber immerhin in der neuen Regierung den stellvertretenden Ministerpräsidenten und auch den Verteidigungsminister.
    Marieluise Beck ist Sprecherin für Osteuropa-Politik der Grünen im Bundestag, mehrfach in der Ukraine gewesen. Guten Tag, Frau Beck!
    Marieluise Beck: Guten Tag, Herr Meurer!
    Meurer: Darf die Europäische Union eigentlich gutheißen, dass Swoboda Teil der neuen ukrainischen Regierung ist?
    Beck: Nein, wir sind keine Freunde rechtsnationalistischer Parteien und Politik, und insofern gilt es, sehr genau auf die Entwicklung von Swoboda zu schauen. Swoboda hat in der Tat noch im Jahre 2003 eine faschistische Rhetorik gehabt, allerdings fordert diese Partei jetzt den Beitritt in die Europäische Union. Das passt eigentlich eher nicht zu rechtsradikalen Stimmen und Forderungen. Und in dieser Regierung sind neben Vertretern von Swoboda auch in hohen Funktionen drei jüdische Vertreter, sowohl [unverständlich] als stellvertretender Premierminister, Wladimir Nemirowsky als Gouverneur von Odessa, ein Gouverneur von [unverständlich] und von [unverständlich], und die jüdischen Organisationen, die ich jetzt immer wieder gefragt habe, wie ist das mit Swoboda, die sagen, dass es in der Vergangenheit tatsächlich antisemitische Rhetorik gab, aber jetzt auf dem Maidan das keine Rolle gespielt hat und dass sie sich als Teil des Maidan empfinden.
    Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen)
    Beck hofft auf weiteren Dialog mit Russland (JOHN MACDOUGALL / AFP)
    Meurer: Da es diesen Antisemitismusvorwurf gegen Swoboda gibt – die drei Namen, die Sie jetzt genannt haben, die bei Swoboda mitmachen, sind das Marionetten oder nicht?
    Beck: Nein, Entschuldigung. Nein, nein, nein. Das sind drei Vertreter in der Regierung, die nun mit Swoboda-Kollegen in einer Regierung sitzen, jüdische Ukrainer.
    Meurer: Und diese drei jüdischen Ukrainer, die halten Sie für glaubwürdig?
    Beck: Es steht mir nicht an, jüdische Ukrainer für nicht glaubwürdig zu halten. Auch das ukrainische Parlament übrigens hat eine sehr hohe Zahl von jüdischen Abgeordneten, anders als bei uns in Deutschland, und die jüdischen Organisationen der Euro-Asian Committee [Congress a.d. Red.] , die etwa 300 jüdische Gemeinden in der Ukraine vertreten, die sagen: Wir haben keine Sorge vor dem Antisemitismus, er ist in der Ukraine nicht stark gewesen in den letzten Jahren, weniger stark als in Deutschland. Und sie haben gesagt: Wir hatten Angst vor den Janukowitsch-Leuten, denn wir wissen – und das konnte man übrigens auch im Internet sehen –, dass auf den Facebook-Seiten der Berkut, der Sicherheitskräfte, mit nazistischen Symbolen gearbeitet worden ist. Dieser Euro-Asian Committee [Congress a.d. Red.] sagt, es ist russische Propaganda, die in den Westen geschickt wird, um diese Übergangsregierung und die Maidan-Bewegung zu diskreditieren und sie zu destabilisieren.
    Meurer: Immerhin, Frau Beck, hat der Jüdische Weltkongress noch im Dezember die Partei Swoboda für neonazistisch erklärt. Wie passt das zu Ihrer Einschätzung?
    Beck: Also ich habe, wie gesagt, sehr genau nachgeforscht. Man kann alles finden, sowohl der American Jewish Committee [Congress a.d. Red.], der vom 5. bis 8. März sich mit einer großen Zahl ukrainisch-jüdischer Vertreter getroffen hat, kommt zu dem Schluss, dass der Antisemitismus als Propagandainstrument aus Moskau gesehen wird. Ich habe eben den Vorsitzenden der Euro-Asian Jewish Community [Congress a.d. Red.], Herrn Zisels, zitiert, den ich zwei Mal getroffen habe, und immer wieder haben Rabbis mit auf dem Maidan gebetet und haben erklärt: Wir sind Teil des Maidan, wir sind Teil dieser Bewegung gegen das Willkür-Regime von Janukowitsch, das an Moskaus Seite gestanden hat und steht.
    Meurer: Ihre Argumente sind, glaube ich, deutlich geworden, Frau Beck. Aber was sagen Sie jetzt, ob Swoboda in der Regierung bleiben soll, ob die EU Swoboda als Ansprechpartner akzeptieren soll?
    Beck: Ich würde mir wünschen, dass bei der nächsten Wahl Swoboda aus dieser Regierung verschwindet. Es deutet Vieles darauf hin. Sie hat in Umfragen jetzt etwa vier bis fünf Prozent, was wiederum darauf hindeutet, dass in der ukrainischen Bevölkerung bisher rechtsnationalistische Tendenzen nicht gewünscht sind. Man sollte sehen, dass Russland allerdings überhaupt keine Hemmungen hat, Le Pen, Liga Nord, den Flämischen Block und die FPÖ auf die Krim einzuladen, um Wahlbeobachtung bei diesem seltsamen Referendum zu sein. Insofern würde ich davon ausgehen, dass wir das uns genau anschauen sollen, Rechtsextremisten sind nicht unsere Partner, aber bisher kann man sagen, dass diese ukrainische Regierung mit ihrem Wunsch, in die EU zu gehen, kein rechtsextremistisches Profil hat.
    Meurer: Am Montag will die Europäische Union Sanktionen beschließen. Sind Sie damit einverstanden? Ist das ausreichend, eine Personenliste zu definieren, auf der Personen wie zum Beispiel der russische Verteidigungsminister stehen, die mit Einreiseverbot und Kontosperre belegt werden?
    Beck: Es ist ja richtig, dass wir versuchen, den Dialog zu Russland nicht abreißen zu lassen, die Tür offenzulassen und immer wieder die Botschaft auszusenden: Russland gehört zu uns, gehört auch zu Europa. Und Sie haben eben von den Friedensdemonstrationen berichtet aus Moskau, das sehen ja auch viele russische Bürger so. Ich befürchte, dass Putin im Augenblick schon in einer anderen Welt ist, dass er gar nicht mehr in den Westen will, sondern dass er eine Politik der Stärke demonstriert, um nach innen als der starke Mann und der Wiedererrichter des russischen Imperiums zu gelten.
    Meurer: Dann wäre die Frage, ob Sanktionen daran irgendetwas ändern können.
    Beck: Es wird natürlich, wenn Sanktionen ernsthaft das ökonomische Fortkommen Russlands beeinträchtigen – und Russland braucht den Westen für seine innere Modernisierung –, dann wird das schon Druck ausüben. Aber das wird Zeit brauchen, das wird nichts sein, was von heute auf morgen wirkt.
    Meurer: Marieluise Beck, die Osteuropa-Expertin von Bündnis 90/Grüne, zum Konflikt um die Krim, und was die Europäische Union in dieser Situation tun soll. Frau Beck, schönen Dank und auf Wiederhören!
    Beck: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das Gespräch mit Marieluise k können mindestens noch drei Monate in unserem Audio-on-demand Bereich nachhören.