Freitag, 29. März 2024

Archiv

Krim-Krise
SPD-Außenpolitiker: "Wir können diese Krise nicht militärisch lösen"

Die Massierung russischer Truppen an der ukrainischen Grenzen sei keine gute Nachricht, sagte Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im DLF. Die NATO sei aber die falsche Organisation, um auf die Bedrohung der Ukraine zu reagieren.

Niels Annen im Gespräch mit Peter Kapern | 25.03.2014
    Peter Kapern: Schauen wir doch zunächst noch mal auf die Beschlüsse von Den Haag. Die G-8 gehören also der Geschichte an. Russland hat am Tisch der größten Industrienationen keinen Platz mehr nach der Annexion der Krim. Ist das ein kraftvolles Signal oder eher ein Dokument der Hilflosigkeit?
    Niels Annen: Nein. Ich glaube, die Botschaft, die die Staatschefs dort verabschiedet haben, ist richtig. Die Verletzung einer Landesgrenze, die ja nicht nur von der internationalen Gemeinschaft, sondern von Russland selber anerkannt und dokumentiert worden ist, das kann man nicht einfach hinnehmen. Insofern unterstütze ich die politische Botschaft. Allerdings muss man natürlich auch sagen: Wann, wenn nicht jetzt, sollte man miteinander reden. Möglicherweise ist das G-8-Treffen, das ja auch eine symbolische Bedeutung hat, viel mit Prestige zu tun hat, nicht der richtige Ort, aber wichtig ist, dass wir im Gespräch bleiben.
    Kapern: Warum denn dann die G-8 aufkündigen, wenn denn das Gespräch, das gemeinsame, so wichtig ist?
    Annen: Nun, ich glaube wie gesagt, dass es eine Veranstaltung ist, die sehr viel mit Prestige zu tun hat, die dem Gastgeber natürlich auch symbolisieren und darstellen soll, dass es dort sich um einen anerkannten internationalen Gesprächspartner handelt, der sich ja auch selber vor der Weltbühne präsentieren kann. Ob das im Moment angemessen ist, darüber kann man sicherlich streiten. Ich habe Verständnis für die Absage. Ich glaube aber auch, dass man die Erklärung der G-7 ganz lesen muss. Und dort findet man ja dann im Kleingedruckten auch, dass es kleine Fortschritte, zumindest Anlass für vorsichtigen Optimismus gegeben hat. Wir haben die Zustimmung der russischen Seite zu der OSZE-Mission und es hat zum ersten Mal seit einigen Tagen das erste Mal ein Gespräch gegeben zwischen dem russischen und dem ukrainischen Außenminister. Man sollte das nicht überbewerten, aber ich hoffe, dass das positive Signale bringt.
    "Wir werden die Krim auch weiterhin natürlich zur Ukraine zählen"
    Kapern: Aber diese OSZE-Mission findet ausschließlich in der Ukraine statt beziehungsweise in dem, was heute noch Ukraine ist, nämlich auf der Krim nicht. Worin besteht da jetzt genau der Fortschritt?
    Annen: Nun, ob es wirklich ein Fortschritt ist, dafür ist es, glaube ich, noch zu früh. Aber wir haben zum ersten Mal die Verständigung mit der russischen Seite auf eine gemeinsame Initiative. Und es ist ganz wichtig, dass wir jetzt den Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier umsetzen und diese unabhängigen Beobachter im ganzen Land, vor allem aber im Süden und Osten der Ukraine, einsetzen, damit nicht dasselbe passiert, was wir auf der Krim erlebt haben, wo es keine unabhängige Berichterstattung gibt.
    Kapern: Entschuldigen Sie, wenn ich da kurz zwischenfrage.
    Annen: Bitte schön!
    Kapern: Zählen Sie die Krim schon nicht mehr zur Ukraine?
    Annen: Doch! Wir werden die Krim auch weiterhin natürlich zur Ukraine zählen. Aber ich glaube, jeder weiß, dass dort im Moment die militärische Kontrolle von der Russischen Föderation ausgeübt wird. Und dass es vermutlich kurzfristig keine realistische Erwartung ist, dass sich die Russen dort zurückziehen werden. Aber es geht ja gerade jetzt darum, dass wir ein Ausweiten der Krise auf den südlichen und östlichen Teil der Ukraine verhindern. Und ich glaube, die große Verunsicherung und die große Unklarheit, die herrscht, die geht um die Frage, was sind eigentlich die nächsten Ziele von Wladimir Putin. Eine internationale Präsenz – ich wiederhole das -, die auch unabhängig berichten kann, die von einer Organisation gestellt wird, der Russland selber angehört, das ist zumindest unsere Hoffnung, wird die Hemmschwelle erhöhen, dort weiter zu destabilisieren. Und vor allem der Regierung und der Bevölkerung in der Ukraine auch das Gefühl geben und die Botschaft vermitteln, dass die internationale Gemeinschaft an ihrer Seite steht.
    Über Niels Annen:
    Geboren 1973 in Hamburg. Der SPD-Politiker studierte unter anderem Spanisch und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und schloss mit einem Master an einer amerikanischen Universität ab. 1989 trat Annen in die SPD ein; noch während seines Studiums wurde er 2005 als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt und ist dort seit 2014 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
    Kapern: Welche Bedeutung messen Sie der Massierung russischer Truppen an der ukrainischen Grenze bei?
    Annen: Nun, das sind keine guten Nachrichten und wir haben ja gesehen, dass der Kreml nicht nur militärische Gewalt angedroht hat, sondern dass er sie auch eingesetzt hat. Und deswegen ist es jetzt an der russischen Seite, nicht nur eine, ich sage mal, offizielle Verlautbarung zu verbreiten – das hat Wladimir Putin auch vor der Krim-Krise getan -, sondern durch sein Handeln zu unterstreichen, dass jetzt eine Phase der Entspannung und der Kooperation eintritt. Dafür sollten diese Truppenmassierungen zurückgezogen werden und sollte sich Russland konstruktiv auf die Vorschläge einlassen, die unterbreitet worden sind. Und deswegen hoffe ich sehr darauf, dass wir auf der einen Seite mit der Absage des Sotschi-Gipfels eine politische Botschaft gesandt haben, dass aber auch verstanden wird, dass die Tür für Gespräche, die Bereitschaft für eine politische Verständigung weiterhin vorhanden ist.
    Kapern: Die Bundesverteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, hat nun gesagt, die NATO müsse jetzt Präsenz zeigen. Und zwar im Interesse der Bündnispartner an den Außengrenzen. Wie sehen Sie das?
    Annen: Wenn ich das richtig gelesen habe, hat das Bundesverteidigungsministerium ja klar gestellt, dass keine verstärkte Truppenpräsenz geplant ist. Wir patrouillieren gemeinsam mit unseren Bündnispartnern regelmäßig an den Grenzen der NATO, das ist eine Routinemaßnahme. Ich glaube, dass die Ministerin das gemeint hat. Ich bin skeptisch, ganz unabhängig jetzt von ihren Äußerungen, ob die NATO das richtige Instrument ist, um diese Krise beizulegen. Ich glaube, wir sollten uns auf die Europäische Union, aber auch auf Organisationen konzentrieren, denen Russland selber angehört, denn wir können ja diese Krise – das wird kein vernünftiger Mensch in Erwägung ziehen -, wir können diese Krise nicht militärisch lösen. Und die NATO ist ein Grundpfeiler unserer Sicherheitsarchitektur, aber sie löst natürlich auf der russischen Seite auch Befürchtungen aus und es besteht auch die Gefahr, dass dort der Eindruck erweckt wird, dass die Einkreisungsängste, die ja Russland ganz offensichtlich beschäftigen, dort tatsächlich vorangetrieben werden von unserer Seite. Also, die NATO bleibt ein Grundpfeiler der europäischen Sicherheit, aber ich glaube, für diese Krise ist sie nicht die geeignete Organisation.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.