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Krim-Krise
"Wir sind auf Russland angewiesen"

Die Europäische Union will Russland mit leichten Sanktionen zum Einlenken bewegen. Für die deutsche Wirtschaft seien Strafmaßnahmen keine Option, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben im Deutschlandfunk. Die Wirtschaft werde die Politik der EU aber unterstützen.

Martin Wansleben im Gespräch mit Dirk Müller | 07.03.2014
    Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)
    Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) (dpa picture alliance / Tim Brakemeier)
    Dirk Müller: Die USA verhängen Sanktionen, die Europäer tun sich etwas schwerer damit, nennen dies aber auch Sanktionen. Dazu zählt, die Gespräche über leichtere Visa-Bedingungen sofort abzubrechen. Wirtschaftlich steht da offenbar sehr viel auf dem Spiel, Milliarden-Investitionen auch der deutschen Wirtschaft, der deutschen Firmen, die in Russland liegen, die in Russland angelegt sind, Milliarden auch der deutschen Banken. Hinzu kommt der Rohstoff Gas. Rund 30 Prozent aller Gaslieferungen laufen über russische Leitungen. Unser Thema jetzt mit Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Morgen!
    Martin Wansleben: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Wansleben, ist Geld wichtiger als Recht und Moral?
    Wansleben: Ich glaube, gegenseitige Abhängigkeit ist eine große Chance, dass man versucht, immer wieder erneut aufeinander zuzugehen. Aber die Diskussion, die Sie jetzt versuchen anzustoßen, lieber Geld als Moral, ich glaube, das ist jetzt nicht das Thema. Auch die deutschen Firmen haben längst erkannt, dass es jetzt zu ernst ist, um zu leichtfertig über dieses Thema zu diskutieren.
    "Die materiellen Abhängigkeiten sind da"
    Müller: Verstehe ich nicht ganz. Warum schlägt hier Recht und Moral nicht die finanziellen Betrachtungen?
    Wansleben: Na ja, gut. Ich meine, die materiellen Abhängigkeiten sind da. Aber, sagen wir mal, spätestens seitdem Herr Gabriel gestern doch mit der deutschen Wirtschafts-Community in Moskau gesprochen hat, ist auch jedem klar, dass die politische Dimension einfach vorhanden ist. Wir hatten vor genau 14 Tagen eine deutsch-russische Wirtschaftskonferenz hier in Berlin und da haben wir gesagt, Wirtschaft ist dafür da, sagen wir mal, das Normale zu gestalten, Politik macht die Politik, und jetzt ist ganz klar, dass die Politik natürlich die normative Kraft ist.
    Müller: Seien Sie, Herr Wansleben, wie immer im Deutschlandfunk ganz offen zu uns. Können wir uns keine Sanktionen leisten?
    Wansleben: Ich finde, wir sollten uns keine leisten, weil das eigentlich für uns keine Option ist. Auf der anderen Seite musste jetzt – das muss man einfach akzeptieren – die EU in den Sanktionsmechanismus eintreten. Das heißt, wir können jetzt auch nicht beliebig wackeln. Wenn jetzt bestimmte Dinge passieren – Sie nannten die Stufen ja eben in der Anmoderation -, geht das los. Ich finde es klug, dass die ersten Stufen der Sanktionen zunächst mal die internationalen Eliten in Russland treffen, also das Thema Visa, und im Übrigen finde ich auch bemerkenswert, dass ja ein Teil der Sanktionen schon längst gegriffen hat. Der Rubel ist völlig verfallen, die Börse ist eingebrochen und wer jemals in Russland gehofft hat, dass die Olympiade das Image Russlands verbessern könnte, der hat jetzt auch Pech gehabt, denn das Image ist von jetzt auf gleich weg.
    Längerfristige Investitionen auf Eis legen
    Müller: Jetzt sprechen viele, Herr Wansleben, ja bei diesen Sanktionen, worüber wir gerade sprechen – wir haben das seit gestern ja erst auf dem Tableau, wie beispielsweise jetzt die Einschränkung der Visa-Erleichterung, beziehungsweise es geht ja nur um die Gespräche darüber, Visa-Erleichterungen in Zukunft zu erreichen -, das sind Sanktiönchen, sagen jedenfalls die Kritiker. Sind wir da zu feige, entschieden gegen Putin vorzugehen?
    Wansleben: Na ja, es ist schon richtig, sagen wir mal, deeskalierend zu agieren, denn wir kommunizieren oder die Politik kommuniziert ja jetzt nicht nur mit Herrn Putin und seinem unmittelbaren inneren Kreis, sondern auch mit Russland insgesamt. Ich glaube, es ist schon klug zu sagen, wir sind in der Lage zu agieren, reichen aber am Ende die Hand für eine vernünftige Verständigung. Denn eins ist doch klar politisch: Europa im Krach mit Russland – das haben wir ja nun hinter uns, dass das auf Dauer nicht funktioniert. Das heißt, wir sind schon alle – und zwar viel stärker politisch als wirtschaftlich – darauf angewiesen, mit Russland ein gutes Verhältnis zu haben und dass es übrigens auch in Russland eine gute Entwicklung gibt, denn die Sanktionen oder jetzt erneut die Infragestellung oder das Verletzen von Vertrauensgrundlagen trifft ja auch Russland im Kern, denn Russland ist darauf angewiesen, dass auch deutsche Firmen, europäische Firmen in Russland investieren, und wenn ich die Botschaften richtig verstehe, die ich aus Moskau auch heute Morgen noch bekommen habe, dann ist eines ganz klar: Das Normalgeschäft läuft jetzt noch, aber so manche längerfristige Investition wird jetzt erst mal auf Eis gelegt.
    Müller: Reden wir über dieses Geschäft, wenn Sie es noch mal ansprechen. Mit 180 Milliarden, haben wir gelesen, sind die EU-Banken dort engagiert. 6000 deutsche Firmen machen Geschäfte in Russland, circa 300.000 Arbeitsplätze werden damit in Zusammenhang gebracht, deutsche Arbeitsplätze oder Arbeitsplätze in Deutschland ...
    Wansleben: Und damit natürlich eigentlich viel mehr, denn 400 oder 300.000 Arbeitsplätze unmittelbar sind natürlich mittelbar viel mehr, gar keine Frage.
    Müller: Handelsvolumen 76 Milliarden Euro, das war im vergangenen Jahr so.
    Wansleben: Ja.
    Müller: Wir haben jetzt die Krise. Sind Sie aber losgelöst von dieser Krise, vor der Krise davon ausgegangen, dass sich diese Beziehungen trotz eines Wladimir Putin weiter intensivieren, weiter vertiefen?
    Wansleben: Es gibt schon eine breite Schicht in Russland, eine breite Schicht auch in die Politik hinein, die ein großes Interesse daran hat, dass es eine engere Verflechtung gibt zwischen Russland und Europa. Auf unserer Tagung vor 14 Tagen wurde ganz deutlich auch von russischer Seite gesagt, dieser Traum, den im Übrigen ja Herr Putin selbst formuliert hat, eine Freihandelszone von Wladiwostok bis nach Lissabon, das ist für viele schon irgendwo ein Ziel, was die erreichen wollen. Ich glaube, wir sollten jetzt aufpassen, Herrn Putin nicht mit den Russen gleichzusetzen. Mir scheint, da gibt es auch Unterschiede.
    Müller: Sie haben eben von Kommunikation, von Gesprächen gesprochen. Hatten Sie Gelegenheit, mit der Bundesregierung, mit dem Wirtschaftsminister zu sprechen?
    Wansleben: Ich habe jetzt mittelbar die Erfahrung bekommen, was da gewesen ist in Moskau - ich habe eben mit Moskau telefoniert – und wie auch die Worte von Herrn Gabriel auf die deutsche Community gewirkt haben. Eines ist ganz klar: Die Ernsthaftigkeit der Situation hat Herr Gabriel sehr deutlich den deutschen Firmenvertretern dort mitgeteilt. Die waren auch ganz schön erschrocken, weil die Krise im Moment im Normalgeschäft noch nicht so stark durchschlägt, außer dass der Rubel doch sehr stark verfallen ist und jetzt allmählich doch deutlich wird, dass die Kaufkraft in Russland erheblich sinkt.
    Müller: Wir konnten gestern im Internet, Herr Wansleben, vereinzelt lesen, dass es zum Teil jedenfalls in Einzelfällen massiven Druck gegeben hat auf deutsche Unternehmen, einerseits in der Ukraine, einerseits in Russland. Haben Sie auch etwas davon gehört, können Sie das bestätigen?
    Wansleben: Ich kann das nicht bestätigen. Bei Großinvestitionen kann ich mir das aber vorstellen. Nun ist es ja auch so, wenn Sie die Ukraine nehmen, das ist ja leider bislang ein Land mit bad Governance, wo Korruption und Rechtsstaatlichkeit einfach nicht in dem Maße vorhanden ist, wie wir das kennen. Da sind eigentlich Ansprachen, wenn ich das mal so formulieren darf, Ansprachen an einzelne Firmen bislang durchaus an der Tagesordnung gewesen.
    Müller: Gerade Sie, Martin Wansleben, Sie sind ja auch immer in diesem politischen Kontext zuhause. Wir reden mit Ihnen häufig auch über die politischen Rahmenbedingungen. Deswegen reden wir jetzt ja wieder miteinander. Ich hatte das eben etwas versucht mit Geld und Recht und Moral. Da sind Sie nicht drauf eingegangen, das ist nachvollziehbar von allen. Aber wie ist das für Sie, auf der anderen Seite diese Wirtschaftsinteressen in den Vordergrund zu stellen – das ist Ihr Job – und andererseits zu sehen, dass man ja irgendetwas machen muss, um Wladimir Putin davon zu überzeugen, dass er zurücktritt in diesem Punkt beziehungsweise dass er Zugeständnisse macht.
    Setzen auf eine diplomatische Lösung
    Wansleben: In Ihrer Frage und in meiner Antwort wird einfach die Ambivalenz deutlich. Wir sind wirtschaftlich darauf angewiesen und eng verflochten. Wir sehen das wirtschaftlich und im Übrigen auch politisch als große Chance. Aber auf der anderen Seite muss klar sein, dass, wenn es zu globalpolitischen Konflikten kommt, die Politik ganz klar vorne ist. Das heißt also, Wirtschaft hält gegen vordergründige Sanktionen, das ist ganz klar, aber wir werden am Ende eine Politik unterstützen, wie sie jetzt die EU eingeleitet hat. Wir finden es weise, zu sagen, wir sind entschlossen, aber wir lassen nicht nach in der Kommunikation, im Übrigen nicht nur mit der unmittelbaren Machtzentrale in Russland, sondern insgesamt auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Deswegen setzen wir nach wie vor darauf, dass es zu einer diplomatischen Lösung kommt. Das wäre auch dringend geboten, denn wir sehen schon, dass jetzt Vertrauen, sagen wir mal, in Frage gestellt wird, und wenn das jetzt noch länger dauert und solche Dinge – Sie nannten es ja auch in der Anmoderation -, dass ausländische Investitionen in Russland enteignet werden, wenn so was passiert, dann ist natürlich Vertrauen auch längerfristig gestört.
    Müller: Martin Wansleben bei uns im Gespräch, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Danke für das Gespräch.
    Wansleben: Danke Ihnen!
    Müller: Ihnen einen schönen Tag.
    Wansleben: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.