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Krimi
Der Tote im Kopf

Was, wenn die Toten mit einem Sprechen? In Franz Doblers neuem Roman bekommt ein Polizist einen jungen Dealer, den er erschossen hat, nicht aus dem Kopf. So außergewöhnlich sei das nicht, erklärt Dobler - der permanente Sprachfluss im Kopf binde immer wieder Menschen ein. Deshalb ist sein Buch auch mehr als ein Krimi.

Franz Dobler im Gespräch mit Sandra Hoffmann | 24.10.2014
    Ein Güterzug fährt an Häusern in Assmanshausen (Rüdesheim) vorbei
    Mit dem Zug quer durch Deutschland: Polizist Fallner in Franz Doblers neuem Roman hat dabei eine schwierige Begleitung. (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    Sandra Hoffmann: Franz Dobler, der Protagonist Ihres neuen Romans ist ein vom Dienst suspendierter Polizist mit Trauma und Netzkarte für die Deutsche Bahn: Ihm folgen wir auf seinen Wegen durch Deutschland, aber auch durch sein Trauma und auch ein bisschen durch seine Vergangenheit mit Nazivater. Was hat Sie an dieser Figur interessiert?
    Franz Dobler: Was hat mich interessiert, ich weiß im Moment gar nicht, wie es losgegangen ist, aber natürlich dieser Bruch, dass er auch Polizeibeamter war, mit so einer gewissen Überzeugung, vielleicht nicht wie jemand, dem sonst nichts Anderes einfällt, und der selber gar nicht damit gerechnet hat, nachdem er im Dienst diesen jungen Dealer erschossen hat, dass er ein Problem kriegen würde. Das heißt, dieses Problem, der Typ, den er erschossen hat, dass er bei ihm bleibt, nicht nur in Träumen, sondern auch in Tagträumen, eigentlich permanent, dass er das nicht erwartet hat, und sozusagen verblüfft ist, und auf irgend eine Art damit umgehen muss: Was passiert da jetzt? Das ist so dieses Überraschungsmoment, mit dem er sich einfach abkämpft. Und rauszufinden versucht, was wäre die Methode, und dann auf die Idee kommt, mit diesem Zugfahren.
    Sandra Hoffmann: Zufahren als Methode der Befreiung vom Trauma?
    Franz Dobler: Genau das, und einmal kommt ja auch vor: Heilung durch Bewegung. Was ihn am Zugfahren interessiert ist ja auch dieses Doppelte, zu sitzen und gleichzeitig sich zu bewegen, oder größer gesehen, von einer Stadt in die andere, ohne einen Plan zu haben, wo könnte man bleiben, sondern vollkommen aus dem Moment heraus entscheiden kann, da will ich jetzt bleiben, er fährt dann eben die meiste Zeit weiter und lebt dann im Grunde eben in Zügen.
    Sandra Hoffmann: Man lernt ihn kennen in solchen Short-Cuts, er trifft Personen, die gar nicht wieder auftauchen, wie zum Beispiel dieses Mädchen am Bahnhof, mit dem er da sitzt, aber auch diese möglicherweise Nutte, mit der er eigentlich ungewollt eine Nacht verbringt. Man interessiert sich aber doch auch für diese Menschen, die tauchen nicht mehr auf, und man fragt sich, was hat Ihnen an dieser Short-Cut-Methode gefallen?
    Franz Dobler: Das entspricht eben dem, wie er das sieht, wie er da raus kommen könnte, und diese permanente Bewegung, dass Leute auch nur kurz eben auftauchen, außer einige, so die Hauptpersonen, die, wenn sie nicht auftauchen, dann aber dennoch präsent sind, sein Kollege zum Beispiel, der in dieser Nacht dabei war, in der er diesen Dealer erschossen hat, oder auch seine Frau und ein paar andere, aber die meisten sind tatsächlich nur, ja mehr oder weniger lang dabei, und bei manchen glaube ich, schwingt auch so eine gewisse Unsicherheit mit, wie groß die Rolle ist die die da spielen, ob das, was er da wahrnimmt, überhaupt richtig ist.
    Sandra Hoffmann: Eine ganz wichtige Rolle spielt die Therapeutin, sie ist eigentlich eine Sprachfigur, und wird hauptsächlich erzählt, durch das, was sie sagt. Ist das ein wenig die Idee: Erkenntnis geschieht vor allem durch Sprache oder durch Wörter?
    Franz Dobler: Hm, nein, den Gedanken hatte ich so nicht, aber vielleicht unbewusst genau das gemacht dann. Bei der Person ist es so: Es ist zwar auch das Ergebnis von Recherche, aber es ist doch ziemlich verfremdet. Also da ging es nicht darum, wie Therapeuten arbeiten oder sprechen, sondern in gewisser Weise ist die auch verfremdet, die Dialoge sind in dem Sinn nicht realistisch. Ja, das stimmt schon, sie ist eine Sprachfigur.
    "Cop" oder "Bulle"?
    Sandra Hoffmann: Was ich noch ganz interessant fand, also Sie sagen jetzt ja, "der Polizist", im Roman heißt der Polizist aber Cop und die Polizistenfrau ist auch ein Cop und die Therapeutin, von der wir gerade sprachen, ist "der Doc". Was mögen Sie so an diesem amerikanischen Sprechgestus?
    Franz Dobler: Es ist eher Umgangssprache.
    Sandra Hoffmann: In Deutschland?
    Franz Dobler: Ja, oder bei mir.
    Sandra Hoffmann: In Augsburg?
    Franz Dobler: Ja. Keine Ahnung. Mir fällt auf, dass ich Bulle selber kaum verwende, irgendwas gefällt mir da gar nicht dran.
    Sandra Hoffmann: Der Bulle kommt im Roman gar nicht vor. Der Roman heißt "Ein Bulle im Zug", sprechen tun sie aber von "der Cop", oder Fallner, oder der Kollege ist der Cop, die Frau ist der Cop.
    Franz Dobler: Genau, ich würde eher sagen, das sind Cops, aber im Titel war das viel zu Amerikanisch. Innerhalb dieser Umgangssprache, im Text, wird es eher zu etwas Normalem.
    Sandra Hoffmann: Fallner erscheint in allen heiklen Situationen dieser Junge, also dieser junge Dealer, den er erschossen hat, aus Notwehr wahrscheinlich, und er beginnt sich mit diesem Phantom zu unterhalten. Glauben Sie, dass wir besser mit unserem Gewissen zurechtkommen, wenn wir es abspalten? Oder mit dem sogenannten Über-Ich?
    Franz Dobler: Meine Erfahrung ist zumindest, dass es gar nicht so außergewöhnlich ist, was da abläuft, sondern, dass wir das alle tun, sozusagen ein permanenter Sprachfluss im Kopf, der immer wieder Leute so einspielt, dafür ist es vollkommen unwichtig, ob jemand lebt oder tot ist. Das weiß ich zum Beispiel aus meiner Erfahrung, mit meiner längst toten Mutter hab ich jetzt keine stundenlangen Gespräche, aber komischerweise, in bestimmten Situationen taucht die meinem Kopf auf, und sagt dann vielleicht was, oder ich sag was. Es ist nicht diese Art Diskussion, wie ich das in dem Buch benutzt habe, aber insofern finde ich es nicht außergewöhnlich. Aber ich glaube, es ist auch was, was viele Leute kennen, was auch angenehm ist. Als könnte tatsächlich irgendwas dadurch erledigt werden.
    Ein "Ironischer Kriminalroman"
    Sandra Hoffmann: Der Roman kommt ja durchaus, und sicher auch ganz bewusst, an manchen Stellen splatterig daher, auch mit Elementen aus diesen Heftchenserienkrimis, und vor allem dann mit diesem Showdown bei der Therapeutin, aber auch beim Showdown mit der Exfreundin und dem Kollegen von Fallner, man muss da ziemlich schmunzeln, über Ihre Bilder vor allem. Darf man Ihren Roman auch als Farce lesen?
    Franz Dobler: Man darf natürlich alles. Wir können das ja nicht kontrollieren. Ob es jetzt Farce ist, weiß ich jetzt nicht genau. Ich glaube nicht, dass man es bezeichnen kann als - ich weiß nicht, ob es das Genre gibt - so eine Art "Ironischer Kriminalroman", aber ich glaube, das ist es nicht, aber es gibt eine Form von Komik, die da auftaucht.
    Sandra Hoffmann: Überhaupt Kriminalroman, wir sitzen ja gerade in einer Buchhandlung in München, Buchhandlung Glatteis, wo sie heute Abend lesen, und das ist eine Krimibuchhandlung. Und ich hab mich beim Lesen natürlich gefragt, les ich gerade wirklich einen Krimi?
    Franz Dobler: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben es ja nicht vorne drauf geschrieben, Kriminalroman, haben es aber überlegt, warum haben wir es gelassen? Ich finde auch nicht, dass er da so ganz astrein reinpasst in dieses Genre, andererseits, deswegen interessiert mich dieses Genre schon, einige von meinen Lieblingsautoren sind in diesem Genre drin. Es ist eigentlich alles möglich, und man muss sich an irgendwelche Regeln, die es da gibt, eben auch nicht halten. Deswegen ist es ein Kriminalroman. Es gibt nicht so wahnsinnig viele Tote und Blut und so weiter, es gibt auch keine seitenlangen Gerichtsberichte oder von Pathologen. Das nicht.
    Sandra Hoffmann: Aber es gibt ein Verbrechen, es gibt einen, der vom Verbrechen geschädigt wird und das Verbrechen ist nicht das vordergründige Verbrechen eigentlich, nämlich dass jemand aus Notwehr einen Jungen erschießt, sondern eigentlich ein ganz anderes, dem Fallner auf die Spur kommen möchte, und auch auf die Spur kommt, das erzählen wir jetzt aber nicht. Aber darf ich es so sagen?
    Franz Dobler: Ja genau. Das, was durchgeht, ist von verschiedenen Seiten aus beleuchtet, die Frage, der Kern, was ist in dieser Nacht passiert, als er den erschossen hat, sich aber so wenig erinnern kann, dass ihm die wesentlichen Teile fehlen. Das kommt ab und zu wieder, taucht verändert auf und wird nicht wirklich klarer, sondern es werden nur mehr Möglichkeiten. Seine Frage ist, was ist da passiert, hab ich das getan, was der behauptet. Nur das Ergebnis ist klar: Er hat jemanden erschossen bei einem Einsatz, und die Frage muss geklärt werden. Hat er das nach dem Gesetz getan oder hat er ein Verbrechen begangen?
    Franz Dobler: Ein Bulle im Zug.
    Tropen-Verlag/Klett-Cotta, 347 Seiten, 21,95 Euro
    ISBN-13: 978-3608501254