Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Kriminalgeschichte
Das abenteuerliche Leben des Paul Kammerer

Der Wiener Biologe Paul Kammerer war ein schräger Vogel. Weder in seiner Wissenschaft noch im Privatleben wählte er den einfachen Weg. Immer wieder eckte er an, wurde angefeindet und schließlich der Fälschung bezichtigt. Als er sich 1926 umbrachte, sahen darin viele das Eingeständnis seiner Verfehlungen, und er geriet zunächst in Vergessenheit.

Rezension von Michael Lange | 23.10.2016
    Paul Kammerer im Jahr 1924, zwei Jahre vor seinem Tod
    Paul Kammerer im Jahr 1924, zwei Jahre vor seinem Tod. (imago stock&people)
    Der österreichische Wissenschaftspublizist Klaus Taschwer rollt den Kriminalfall Paul Kammerer 90 Jahre nach dessen Tod wieder auf. Er enthüllt Verstrickungen zwischen Politik und Wissenschaft und beschreibt die antisemitische Grundhaltung der Jahre um 1920.
    Als Pazifist, Freimaurer, Sozialist und wie es damals hieß "Halbjude" hatte Kammerer viele Feinde in der national gesinnten Professorenschaft Wiens. Mehrfach wurde ihm übel mitgespielt, und sein Wunsch, Professor an der Universität zu werden, blieb unerfüllt.
    Immer wieder verliebte sich Paul Kammerer unsterblich und verfiel dann als verschmähter Liebhaber in tiefe Depressionen. Ein Beispiel ist seine Beziehung zu der von ihm verehrten Alma Mahler. Sie beschrieb Kammerer als komischen Kauz, der sie wie ein Jüngling anhimmelte.
    In der jungen Wissenschaft der Genetik war Kammerer ein Außenseiter
    Was die wissenschaftliche Bedeutung der Versuchsergebnisse Paul Kammerers angeht, bleibt vieles offen. Seine Experimente mit Kröten zeigten angeblich die Vererbung erworbener Eigenschaften.
    In der noch jungen Wissenschaft der Genetik war Kammerer ein Außenseiter. Seine Ergebnisse warfen Fragen auf, lieferten aber keine Antworten. Viele seiner Aussagen über die Vererbung blieben schwammig. Da er keinen großen Wert auf die sorgfältige Dokumentation seiner Experimente legte, wird sich die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert seiner Ergebnisse womöglich nie beantworten lassen.
    Ob Paul Kammerer ein wissenschaftlicher Visionär war, ein Pionier der Epigenetik, lässt sich heute nicht mehr herausfinden. Auch Klaus Taschwer bleibt eine wissenschaftliche Einordnung schuldig, liefert aber stattdessen ein vielschichtiges Charakterbild, ein lebendiges Zeitgemälde und eine spannende Kriminalgeschichte.
    Buchinfo:
    Klaus Taschwer: "Der Fall Paul Kammerer - Das abenteuerliche Leben des umstrittensten Biologen seiner Zeit"
    Hanser, 352 Seiten, 24,00 Euro, ISBN: 978-3446448780