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Kriminalität
Zahl der U-Häftlinge stark gestiegen

Weniger Straftaten, weniger Tatverdächtige, weniger Haftstrafen: Kriminalität und Verbrechen scheinen in Deutschland auf dem Rückmarsch, das zeigte auch im April erst die neuen Tiefstände in der Kriminalstatistik. Dennoch ist die Zahl der Untersuchungsgefangenen in Deutschland seit 2014 gestiegen.

Von Christoph Heinzle | 24.04.2019
Ein Häftling geht in Berlin in der Justizvollzugsanstalt Moabit einen Gang entlang.
Die Zahl der Gefangenen, die länger als sechs Monate in Untersuchungshaft sind, ist seit 2014 um 25 Prozent gestiegen (dpa picture alliance/ Marc Tirl)
Essensausgabe in der Hamburger Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis. Hier sind die 100 Jahre Geschichte spürbar. Es riecht nach Mensch, Reinigungsmitteln und verbrauchter Luft. Das Gefängnis ist voll. Manche haben nicht mal eine Einzelzelle, erzählt Anstaltsleiter Henning Clasen. "Wir merken schon, dass wir hier alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen. Einzelne Hafträume, die es von der Raumgröße her zulassen und wo es einen abgetrennten Nassbereich gibt, belegen wir auch doppelt und ansonsten merkt man es daran, dass wir einfach gut belegt sind."

Das spüren die Gefangenen auch außerhalb der Zelle, für Jobs in U-Haft gibt es Wartelisten, ebenso für die Freizeit- und Sportgruppen. Besuche von Angehörigen müssen oftmals auf den Mindestanspruch von zwei Stunden pro Monat begrenzt werden.
Vielfältige Gründe für Anstieg
In einer Umfrage des NDR unter allen 16 Justizministerien der Länder werden mehrere mögliche Faktoren für den deutlichen Anstieg bei den Untersuchungsgefangenen genannt: die verstärkte Bekämpfung einzelner Straftaten, lange Verfahren und die zugenommene Zahl ausländischer Tatverdächtiger.
Nach einer Sonderauswertung der Strafverfolgungsstatistik für den NDR gab es 2017 26 Prozent mehr Ausländer in Untersuchungshaft als 2014.
Hamburgs Gerichtssprecher Kai Wantzen bestätigt diesen Trend: "Wir beobachten insgesamt eine deutliche Zunahme ausländischer Tatverdächtiger, die hier in Hamburg oder generell hier in Deutschland ohne jede soziale Anbindung leben und keine Bindung haben, sodass es auf der Hand liegt, dass wenn man sie wieder auf freiem Fuß ließe, sie verschwinden würden und für das weitere Verfahren nicht mehr zur Verfügung stehen würden."
Länder setzen Schwerpunkte für die Polizei
Das es mehr ausländische Tatverdächtige gibt, dürfte auch daran liegen, dass bestimmte Straftaten in einigen Ländern verstärkt verfolgt werden. So sind Wohnungseinbrüche, oft durch osteuropäische Banden und Drogenhandel oft durch afrikanische Kleindealer, Schwerpunkte für die Polizei in Hamburg, sagt Justizsenator Till Steffen.
"Und wenn man dann tatsächlich erfolgreich ist, dann liegen in vielen Fällen noch Haftgründe vor, weil es sehr mobile Täter sind, bei denen Fluchtgefahr besteht", so Steffen.
U-Haft ist keine vorgezogene Haftstrafe, sondern sie soll Ermittlungen und Prozess sichern. Häufigster Haftgrund ist Fluchtgefahr, außerdem Verdunklungsgefahr oder Wiederholungsgefahr. Die U-Haft muss zwar in einem Verhältnis zu erwarteten Strafe stehen, doch der Ermessensspielraum der Richter ist nach Beobachtung der Greifswalder Strafrechtlerin Christine Morgenstern groß.
Strafverfahren werden immer komplexer
Ein weiterer Faktor für den Anstieg bei den Häftlingszahlen, sind Ermittlungs- und Strafverfahren, die komplexer und langwieriger geworden seien. Tatverdächtige sitzen nicht selten bis zu einem rechtskräftigen Urteil in U-Haft. Die Zahl der Gefangenen, die länger als sechs Monate in Untersuchungshaft sind, ist seit 2014 um 25 Prozent gestiegen.

Auffällig sind die großen regionalen Unterschiede bei der Zahl der Untersuchungsgefangenen. Den mit Abstand größten Anstieg gab es in Bremen und Hamburg, wo sich die Zahl der Häftlinge fast verdoppelt hat. Mit Blick auf die derzeitige Praxis der U-Haft sieht kein Bundesland Änderungsbedarf, wie die NDR-Umfrage unter den Justizministerien zeigt.
Beschäftigen könne sich mit dem Thema ja die Wissenschaft, wird vereinzelt vorgeschlagen.