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Krimis schreiben
Ein guter Mord will gelernt sein

Schreiben will gelernt sein, auch das von Kriminalromanen. Schüler aus verschiedenen Schulen in Wiesbaden haben beim Sommer-Schreib-Camp des Frankfurter Fördervereins des Schreibens drei Tage die Gelegenheit, zu erfahren, was man braucht, um eine spannende Geschichte zu erzählen. Tipps bekommen die Schüler von erfahrenen Autoren.

Von Afanasia Zwick | 06.08.2015
    Eine Person tippt auf der Tastatur eines Laptop Computers.
    Krimis schreiben kann man lernen. (imago / Jochen Tack)
    17 Schüler spitzen die Ohren: Vor ihnen ist ein Tatort nachgestellt- mit lebensgroßen Puppen, Kunstblut und einem scheinbar echten Holzscheit, der dem Täter als Mordwerkzeug diente: "Im November 2001 sind zwei Jungs durch den Park und haben unter Ästen in zwei Schlafsäcken Leichen gefunden." Im Kriminalmuseum Frankfurt, der ersten Station des Sommer-Schreib-Camps, erzählt eine Polizistin von Tötungsdelikten und erklärt, wie man Täter überführt: "Mittlerweile gibt es bei manchen Taten, dass man auch die Ohrabdrücke nimmt, weil viele Leute an der Tür lauschen, bevor die was machen."
    Stoff, aus dem Geschichten entstehen können. Salih Simsek, ein 15-jähriger Gymnasiast aus Wiesbaden, weiß schon, was er bei seinem nächsten Krimi im Vergleich zu seinem letzten anders machen wird: "Viel realistischer. Ich hab das so gemacht: Schuss, Tod, fertig. Jetzt kann ich schon mehr sagen: Der Schuss ging dahin, dann geschah dies."
    Von den echten Verbrecher-Geschichten ist auch Miriam Oertgen inspiriert. Sie ist die einzige Camp-Teilnehmerin, die auf die Realschule geht. Wie die meisten anderen hier, will auch sie Schriftstellerin werden: "Was ich relativ gut kann, ist Personenentwicklung. Vor allem, ich kann mir Charakterzüge gut ausdenken. Aber nicht so das Aussehen von Personen, das kann ich einfach überhaupt nicht beschreiben." Auf dem Weg vom Museum zur Goethe-Universität - dort, wo die 14- bis 16-Jährigen gleich zu Stift und Papier greifen sollen - sprudeln neue Ideen nur so aus ihnen heraus.
    Um beim Camp mitmachen zu dürfen, mussten sich die Wiesbadener Schüler zunächst in einem Schreibwettbewerb behaupten. Die Voraussetzung: In 45 Minuten eine spannende Geschichte schreiben. Von über 1.000 eingereichten Texten suchte Raoul Kroehl die 50 besten aus. Kroehl ist Mitbegründer des Frankfurter Fördervereins des Schreibens und hat das Schreib-Camp dieses Jahr zum ersten Mal als Preis für die Talentiertesten des Wettbewerbs organisiert. Dass von den 50 Prämierten weniger als die Hälfte gekommen ist, sieht er gelassen. Doch, dass trotz der vielen Bewerbungen über alle Schulformen hindurch fast nur Gymnasiasten teilnehmen, bedauert er: "Wir wollen auch Schüler-Schreib-Scouts ausbilden. Wo wir dann an Schulen gehen, mit Materialien, mit Aufgaben, mit eventuell auch einem Dozenten, der sich hinsetzt mit ihnen und die Texte bespricht. Dass wir einfach sagen: Es bleibt in der Schule und dann kann eine Hauptschule, eine Realschule genauso mitmachen wie ein Gymnasium."
    Salih sitzt inzwischen in einem Seminarraum und notiert sich Bausteine, die eine gute Geschichte braucht: "Wie nennen wir diese Figur? Wie heißt der Gegenspieler vom Protagonist?"
    Die Schüler hängen an Alexander Pfeiffer’s Lippen. "Antagonist." Der hessische Krimi-Autor analysiert mit ihnen die Krimis des Wettbewerbs und sagt: Jede gute Geschichte hat mindestens zwei Figuren. Zwischen ihnen muss ein Konflikt herrschen: "Warum wird Lena zur Mörderin in der Geschichte? - Eine unerfüllte Sehnsucht: Sie will den Mann, den sie nicht haben kann. Sie will den Mann ihrer besten Freundin." Ein unerfüllter Wunsch: Das Fundament jeder Geschichte, erklärt Pfeiffer. Wichtig: Der Protagonist hört nicht auf, nach der Erfüllung zu streben. Das erzeuge Mitgefühl beim Leser. Und: "Wir müssen irgendwie Spannung erzeugen. Wie machen wir das?"
    Indem man dem Leser etwas in Aussicht stellt, etwas, mit dem der Wunsch erfüllt werden könnte. Wenn zum Beispiel im ersten Abschnitt ein Gegenstand erwähnt wird, weiß der Leser, dass dieser Gegenstand irgendwann noch zum Einsatz kommt - so wie Tschechow sagte: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert“ - Miriam hält den Stift schon in der Hand. Jetzt muss sie nur noch wissen, wie es ihr gelingt, ihre Figuren gut zu beschreiben: "Über das, was sie tun. Über die Art und Weise, wie sie sich geben, auch ganz wichtig: Dialoge. Wie spricht jemand? Wie verhält er sich? Und dann muss ich nicht so viel erklären und beschreiben, sondern ich muss die Figuren agieren lassen. Ich muss sie zeigen in ihrem natürlichen Habitat, sozusagen."
    Salih’s erster Satz steht: "An einem kalten Novembertag hackte er unermüdlich einen Holzscheit nach dem anderen." Salih hebt den Kopf und sagt, er freue sich schon auf den zweiten Tag im Schreib-Camp.