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Krise in der Kraftwerkssparte
Zwangsurlaub bei Siemens

Bei Siemens droht sich die Krise im Bereich Kraftwerke zu verschärfen. Der Konzern schickt deshalb Tausende Mitarbeiter in den Zwangsurlaub. Arbeitsrechtlich ist diese Maßnahme umstritten

Von Paul Vorreiter | 22.05.2018
    Ein Siemens-Mitarbeiter montiert eine Gasturbine
    Die Kraftwerksparte von Siemens hat schon länger mit einem Rückgang der Nachfrage zu kämpfen (Siemens AG / dpa)
    Das Geschäft in der Siemens-Kraftwerkssparte läuft nicht gut: Oder wie der Konzern selbst es formuliert, es gebe einen "anhaltenden, beispiellosen Markteinbruch im Bereich der Stromerzeugung". Laut Siemens wird die Nachfrage weltweit auf rund 100 Kraftwerke im Jahr einbrechen. Die Hersteller könnten allerdings das Vierfache davon produzieren.
    Die Kraftwerksparte von Siemens hat schon länger mit einem Rückgang der Nachfrage zu kämpfen. So bestellen die Energieerzeuger vor allem in Europa kaum noch Gasturbinen, hier würde zunehmend auf grünen Strom gesetzt - etwa Windenergie. Geld verdient Siemens vor allem noch mit dem Service. Um die Kosten, die mit dieser Entwicklung zusammenhängen, zu verringern, sind seit heute weltweit Tausende Siemens-Mitarbeiter, darunter auch in Berlin, in den Betriebsurlaub geschickt worden. Fertigung, Verwaltungsarbeiten, Vertrieb und Projektmanagement sollen ruhen.
    Ist Betriebsurlaub rechtens?
    Konkret sollen die Arbeitnehmer vor allem ihre Arbeitszeitkonten abbauen oder Urlaubstage nehmen. Aber darf der Arbeitgeber überhaupt zu einem solchen Mittel greifen? Es kommt darauf an, sagt Alexander Birkhahn, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Koblenz:
    "Im Fall von Siemens vermute ich, dass es da eine Betriebsvereinbarung gibt. Das heißt, der Arbeitgeber hat schon die Möglichkeit mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung zu treffen, wann Urlaub zu gewähren ist."
    Formaljuristisch müsse der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine dringenden betrieblichen Gründe dafür nennen, warum zu einer solchen Maßnahme gegriffen werde. In der Praxis sei es aber so, dass der Betriebsrat seine Zustimmung davon abhängig mache. Bei der Dauer des zu nehmenden Urlaubes gebe es zudem Grenzen:
    "Es geht zum Beispiel nicht, dass der gesamte Jahresurlaub in Form eines Betriebsurlaubs gewährt wird. Das Bundesarbeitsgericht hat mal in einer Entscheidung 60 Prozent als zulässig erachtet, also 60 Prozent des Jahresurlaubs als Betriebsurlaub zu gewähren; das hieße im Umkehrschluss, 40 Prozent muss der Arbeitnehmer noch disponieren dürfen."
    Sollten die Urlaubstage bereits genehmigt und in Anspruch genommen worden sein, seien die Arbeitnehmer in einer komfortablen Position, sagt Birkhahn: "Dann hat der Arbeitgeber Pech gehabt und muss überobligatorisch Urlaub gewähren."
    Zuschläge bleiben erhalten
    Mitarbeiter, die mit Sonderzuschlägen in Nachtschichten kalkulieren, müssten auch nicht mit einem Verlust bei den Zuschlägen rechnen:
    "Die müssen nicht darauf verzichten, Urlaubsentgelt ist das durchschnittliche Entgelt der letzten 13 Wochen inklusive Zuschläge, zum Beispiel auch Nachtzuschläge."
    Der Betriebsurlaub bei Siemens ist nur eine von mehreren Maßnahmen, um die Kosten in der Kraftwerkssparte zu senken. Es würden auch Ausgaben, für Messebeteiligungen, für Reisekosten und andere Investitionen gekürzt. Der Münchner Konzern beschäftigt in der Division "Power and Gas" etwa 30.000 Mitarbeiter, exklusive der Beschäftigten im Service.
    Insgesamt will Siemens weltweit knapp 7.000 Stellen in der Kraftwerksbranche und bei der Antriebstechnik streichen, etwa die Hälfte davon in Deutschland; die ostdeutschen Standorte Görlitz und Erfurt sind im Gespräch, der Leipziger Standort könnte verkauft werden. Von Seiten der Arbeitnehmer wird spekuliert, ob die Maßnahme zum Betriebsurlaub in Wahrheit nicht die Streichung der Stellen vorbereiten soll, in dem auf diese Weise auf die angespannte Lage bei Siemens hingewiesen würde.