Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Krise in Venezuela
Ein ungleicher Kampf um die Macht

Venezuela hat die größten Erdölreserven weltweit, doch es fehlt an allem: Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Strom. Der Kampf um die Macht blockiert das Land. Im schlimmsten Fall droht ein Bürgerkrieg - noch könnte die Situation aber durch Verhandlungen gelöst werden.

Von Burkhard Birke | 01.04.2019
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht zu seinen Unterstützern
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht zu seinen Anhängern. Vor der Kulisse ständiger Black Outs und einer sich täglich verschlechternden Versorgungslage tobt ein sehr ungleicher Kampf um die Macht in Venezuela. (AFP/ Federico Parra)
"Es gibt nichts zu essen, kein Wasser, keinen Strom, kein Gas. Menschen sterben in den Krankenhäusern, weil es an allem fehlt. Ich war schwanger und hab das Kind verloren, weil es keine Medizin gab. Die Menschen sind unterernährt."
11,5 Kilo hat der Durchschnittsvenezolaner in den letzten beiden Jahren abgenommen. Zwei Drittel aller Familien können sich pro Tag höchstens noch eine oder zwei Mahlzeiten leisten. Die Inflation könnte nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds dieses Jahr zehn Millionen Prozent erreichen. Ausgerottet geglaubte Krankheiten wie Malaria tauchen wieder auf. Die Lebenserwartung ist um dreieinhalb Jahre gesunken, die Kindersterblichkeit gestiegen.
"Es gibt nichts zu essen, wenn Du etwas findest, ist es zu teuer. Man kann nicht mehr rausgehen, um Spaß zu haben, weil Du ausgeraubt oder umgebracht werden kannst. So kann man doch nicht leben!"
Überleben dank Auslandsüberweisungen
Eine Schlange vor einem Supermarkt - Lebensmittel sind Mangelware und bei galoppierender Inflation vor allem fast unerschwinglich
Eine Schlange vor einem Supermarkt - Lebensmittel sind Mangelware und bei galoppierender Inflation vor allem fast unerschwinglich (deutschlandradio/Burkhard Birke)
Vor allem junge Menschen sehen keine Zukunft mehr: dreieinhalb Millionen Venezolaner, mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung, haben bereits ihre Heimat verlassen. Dank ihrer Überweisungen aus dem Ausland können viele Menschen überhaupt noch überleben. Ein Monatsmindestlohn reicht nämlich gerade einmal für vier Rollen Klopapier oder zwei Kartons Eier. Die subventionierten Lebensmittel, die sogenannten 'Bolsas Clap' bekommen nur noch Regierungsangestellte regelmäßig alle 14 Tage. Alle anderen Bedürftigen warten oft zwei, drei Monate. Das Meiste muss importiert werden. Das Land produziert nur noch ein Fünftel seiner Lebensmittel selbst.
Die ohnehin dramatische Versorgungslage bei Nahrungsmitteln und Medikamenten hat sich drastisch verschlechtert - auch infolge der Sanktionen. Die Ölproduktion, die zu mehr als 90 Prozent den Staatshaushalt speist, ist binnen weniger Jahre von 3,5 Millionen Fass pro Tag auf gut eine Million gefallen. Dennoch, Benzin wird nach wie vor mit circa 20 Milliarden Dollar pro Jahr subventioniert und quasi verschenkt: Mit 20 Cent könnte man eine Million Liter Superbenzin kaufen - wenn die Zapfsäule funktioniert. Denn seit Wochen machen massive Stromausfälle dem Land zu schaffen.
China liefert Medikamente und Hilfsgüter
Zigtausende protestierten am Wochenende wieder gegen eine immer dramatischere Lage und gegen Maduro: Aufgrund mangelnder Elektrizität ist vor allem die Wasserversorgung zusammengebrochen: Seit mehr als zehn Tagen gibt es selbst in weiten Teilen von Caracas kein Wasser. Die Menschen versorgen sich teils in der Kloake des Guaireflusses.

China hat mittlerweile Medikamente und Hilfsgüter geliefert. Das Internationale Rote Kreuz soll demnächst aktiv werden. Vor der Kulisse ständiger Black Outs und einer sich täglich verschlechternden Versorgungslage tobt ein sehr ungleicher Kampf um die Macht in Venezuela.
Warten auf ein bisschen frisches Wasser in Venezuela
Warten auf ein bisschen frisches Wasser - das Lebensnotwendige ist Mangelware in Venezuela (deutschlandradio/Burkhard Birke)
Der selbsterklärte Präsident Guaidó vs. Maduro
Auf der einen Seite steht der selbsterklärte Präsident Juan Guaidó – auf der anderen Nicolas Maduro, und ihm noch treu zur Seite das Militär. Der amtierende Präsident Maduro sieht sich als den einzig legitimen an. Vergangenen Mai ist er für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Die Wahl war von der Opposition jedoch boykottiert worden.
Der Präsident der venezolanischen Nationalversammlung, Guaidó und Staatschef Maduro
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident, Guaidó und Staatschef Maduro (Deutschlandfunk - Collage)
Nicolas Maduro ließ die verfassungsgebende Versammlung aus taktischen Gründen vorzeitig an die Urne rufen. Die Opposition erkennt die verfassungsgebende Versammlung allerdings nicht an. Zahlreiche Parteien und Oppositionspolitiker waren überdies von der Wahl ausgeschlossen worden.
Mit der im Sommer 2017 gewählten Constituyente, wie die verfassungsgebende Versammlung auf spanisch genannt wird, hat Nicolas Maduro alle anderen demokratischen Institutionen im Land ausgehebelt: in erster Linie das von der Opposition kontrollierte Parlament, die Asamblea Nacional. Die Opposition hatte damals die Wahl der Constituyente als illegitim boykottiert.
Ein 35-jähriger unbekannter Wirtschaftsingenieur
Turnusgemäß wählte das Parlament am 4. Januar einen neuen Präsident. Die 2009 gegründete Partei Voluntad Popular war an der Reihe. Ihre prominentesten Kräfte sind ins Ausland geflohen, beziehungsweise stehen wie Leopoldo López unter Hausarrest. Deshalb benannte die Partei den erst 35-Jährigen, bis dahin weitgehend unbekannten Wirtschaftsingenieur Juan Guaidó. Am 23. Januar erklärte sich Juan Guaidó zum Präsidenten.

"Ich schwöre, formal die Kompetenzen der Exekutive als geschäftsführender Präsident Venezuelas auszuüben."
Unter den Beifallsstürmen seiner Anhänger gab Guaidó die Marschrichtung vor:
"Um ein Ende des Machtmissbrauchs, eine Übergangsregierung und freie Wahlen herbeizuführen."
Man sieht Guaidó seitlich im Gegenlicht als schwarze Silhouette. Er hält ein Megafon und ruft etwas hinein.
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht am 9.3.2019 in der Hauptstadt Caracas zu seinen Anhängern. (dpa / AP / Fernando Llano)
"Die Präsidentschaftswahl entbehrte der Legitimität"
Guaidó berief sich dabei auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung. Danach kann der Parlamentspräsident das Präsidentenamt ausüben, wenn der Präsident stirbt, zurücktritt, handlungsunfähig oder vom Obersten Gerichtshof abgesetzt wird. Keiner dieser Gründe trifft auf Nicolas Maduro zu, der am 10. Januar seine zweite Amtszeit antrat, erläutert der Soziologe Trino Marquez von der Universidad Central.
"Deshalb haben Verfassungsrechtler eine Interpretation gewählt, die dem Geist des Artikels gerecht wird. Die Präsidentschaftswahl entbehrte der Legitimität, sie war illegal, weil in drastischer Weise gegen die Verfassung und das Wahlgesetz verstoßen worden war. Außerdem wurde die Wahl von einer Fülle demokratischer Staaten nicht anerkannt."
Die Rede ist von Usurpation, das heißt willkürliche Machtergreifung durch Nicolas Maduro. Diese Usurpation soll beendet, eine Übergangsregierung gebildet und es sollen freie Wahlen abgehalten werden.
Maduro verweigert Neuwahlen
Die Verfassung sieht dafür einen Zeitraum von 30 Tagen vor. Der ist längst verstrichen. Da Maduro jedoch nicht bereit ist, sein Amt abzugeben und über Neuwahlen zu sprechen, kämpft Guaidó als selbst ernannter Präsident weiter, versucht trotz ständig wiederkehrender, lang anhaltender Stromausfälle und akuter Versorgungsnöte das Volk zu mobilisieren.

"Die Unterstützung für Maduro lag im Februar bei 14 Prozent. Maduro war schon seit Längerem in der Meinungsgunst abgerutscht, die vergangenen beiden Jahre lag er bei 20 bis 21 Prozent Zustimmung. Das heißt, er hat in der jetzigen Phase sechs bis sieben Prozentpunkte verloren. Das Bemerkenswerte ist jedoch, dass Guaidó eine Zustimmung von mehr als 60 Prozent bekommt."
Sagt der Meinungsforscher Luis Vicente Leon von Datanalisis in Caracas. Die Frage ist: Kann Juan Guaidó die Dynamik aufrechterhalten? Wie Phoenix aus der Asche ist er aus den Trümmern einer am Boden liegenden, total frustrierten und zerstrittenen Opposition in Venezuela auferstanden und zum großen Hoffnungsträger avanciert:
"Einer der größten Erfolge Juan Guaidós ist, dass er die Opposition einen konnte und sie wieder zu einer Regierungsalternative gemacht hat - und das in nur wenigen Wochen. Es scheint fast wie ein Wunder."
Nach dem landesweiten Stromausfall: Menschen laufen durch die dunklen Straßen von Caracas.
Stromausfall in den Straßen von Caracas. (AP /ariana Cubillos / dpa-Bildfunk )
Systematische Verhinderung von humanitärer Hilfe
Eines, das womöglich nicht von Dauer ist – fürchtet der Soziologe und Philosoph Trino Márquez.
Erste Zweifel am Phänomen Juan Guaidó kamen, nachdem es ihm trotz tatkräftiger Unterstützung aus dem Ausland, insbesondere der USA, nicht gelang, humanitäre Hilfe per Lastwagen über die Grenze nach Venezuela zu bringen. Am 23. Februar wurde nach einem Konzert und mit großer internationaler Politpräsenz aus den USA, Kolumbien und Chile im kolumbianischen Cúcuta ein Versuch gestartet, LKW’s mit Hilfsgütern über die seit Jahren für Fahrzeuge geschlossenen Grenzbrücken zu schicken.
Nicolas Maduro vereitelte den Versuch, obwohl sein Volk Not leidet und es an Nahrung und Medikamenten akut mangelt. Ein desertierter Soldat der Guardia Nacional erinnert sich für den Deutschlandfunk an die Ereignisse:
"Am 22. Februar, dem Tag des Konzertes hielt ich mich in der Kommandozentrale der Nationalgarde in Ureña auf. Da hörte ich wie Freddy Bernal, der nationale Koordinator für die lokalen Versorgungs- und Produktionskomitees, einen seiner Mitarbeiter fragte, wie viele Freunde, Kameraden denn aus anderen Staaten kämen? Die Antwort war 2.000. Die haben also 2.000 Colectivos gebracht, um die humanitäre Hilfe und Demonstrationen zu verhindern."
"Wir haben ihnen die Staatsstreichshow vereitelt"
Motorradgangs, die Maduro auf Auftrag zu Diensten sind
Motorradgangs, die Maduro auf Auftrag zu Diensten sind (deutschlandradio/Burkhard Birke)
Maduro schickte also die Colectivos, so heißen die bewaffneten Motorradgangs und Spezialtruppen an die Grenze, um die Einreise des Konvois unter allen Umständen zu verhindern. Denn wäre es dem ebenfalls in Cúcuta anwesenden Guaidó gelungen, an der Spitze eines solchen Hilfskonvois einzureisen, hätte Nicolas Maduro den Kampf um die Macht wohl vorzeitig verloren.
Diese Runde ging also an den Bewohner des Palacio Miraflores in Caracas. Nicolas Maduro ließ im Nachgang die Grenzen schließen und brach die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland Kolumbien ab. Seither versäumt es Maduro bei keiner Gelegenheit, über seine Gegner herzuziehen und seinen Triumph auszukosten wie hier am sechsten Todestag von Amtsvorgänger Hugo Chávez.
"Sie haben versucht jemanden auf einem öffentlichen Platz zum Präsidenten zu küren. Heute ist es aber für alle sichtbar, das ist kein Präsident, nichts da! Dieser Herr ist ein Clown und eine Marionette, dieser Bürger ist ein Verbrecher. Wir haben ihnen die Staatsstreichshow vereitelt."
Tonnenweise Hilfsgüter in der kolumbianischen Grenzstadt
Abgebrannte Laster zeugen noch immer auf der Brücke Francisco de Paula Santander in Cúcuta von der Auseinandersetzung, während mittlerweile ein Streit darüber entbrannt ist, ob Maduros Leute die LKWs angesteckt haben oder ob ein irrgelaufener Molotowcocktail der Demonstranten gegen das Regime die Fahrzeuge in Brand gesetzt hat. Die Aktion vom 23. Februar hat Unverständnis und Kritik auf beiden Seiten der Grenze produziert. Felix Muñoz ist Katastrophenbeauftragter der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta.
"Man kann doch nicht ein anderes Land drängen und versuchen, die Hilfe egal wie ins Land zu bringen, wenn man sich nicht vorher darüber verständigt hat. Das schafft Unzufriedenheit und wir hier in Cúcuta müssen das ausbaden. Da muss man sich verständigen, mit viel Geschick operieren, das geht nicht mit Gewalt, sonst sehen Sie ja, was dabei herauskommt."

Seit jenem 23. Februar lagern nun tonnenweise Hilfsgüter in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta. Ginge es nach Felix Muñoz, den Katastrophenbeauftragten von Cúcuta sollte man die Hilfsgüter an die zigtausend Venezolaner verteilen, die alltäglich jetzt über die grüne Grenze kommen, immer mehr, um zu bleiben. Dem stehen aber bürokratische Hemmnisse im Weg: Angeblich müsste bei einer Verteilung auf kolumbianischem Boden erst einmal Zoll entrichtet werden, da die Güter ja für Venezuela bestimmt waren.
Lange Schlange vor Essensausgabe
In Cúcuta werden Flüchtlinge mit Essen versorgt. Aber es sind zu viele für die Grenzstadt. (Anne Herrberg)
Auch Deutschland erkannte Guaidó als Präsident an
Venezuelas Hoffnungsträger Juan Guaidó hat von Cúcuta aus eine Tournee durch Südamerika unternommen. Zwischenzeitlich haben die meisten Nachbarländer und weltweit insgesamt mehr als 50 Staaten Guaidó als Präsident anerkannt – auch Deutschland trotz der völkerrechtlich fragwürdigen Basis seiner Selbsternennung zum Präsidenten nach Artikel 233 der venezolanischen Verfassung.

Vertreter dieser Staaten waren es auch, die am 4. März am Flughafen von Caracas – Maiquetia - auf Guaidó warteten, um ihm sichere Einreise und Geleit zu gewähren. Denn nach offizieller Lesart hätte Guaidó nicht ausreisen dürfen, da gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung und Korruption lief. Die Heimkehr Juan Guaidós an diesem Tag glich einem Triumphzug. Die Aktion veranlasste die venezolanische Regierung einige Tage später, den deutschen Botschafter Daniel Kriener zur Persona non grata zu erklären, da er federführend beteiligt war. Juan Guiadó selbst hatte durchaus mit einer Festnahme gerechnet. Im Interview sagte er:
"Ich bin mir des Risikos eines jeden Venezolaners bewusst, der sich traut, den Mund aufzumachen. Gewerkschafter werden inhaftiert, es gibt mehr als 1.000 Gefangene, es gibt politische Morde. Ich war mir der Bedeutung bewusst, was meine Einreise bedeutet, aber es gibt internationale Unterstützung und die Unterstützung im Volk für eine gerechte Sache wie Demokratie und Freiheit. Und wie Sie sehen, mangelt es nicht nur an Nahrung und Medizin, sondern auch an Strom."
Der deutsche Botschafter in Venezuela Daniel Kriener (r.) steht bei einer Konferenz in der Nationalversammlung von Venezuela am 19.02.2019 neben dem venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaido.
Der deutsche Botschafter in Venezuela Daniel Kriener (r.) bei einer Konferenz in der Nationalversammlung von Venezuela neben dem venezolanischen Politiker und Interimspräsident Juan Guaido (imago / TASS / Valery Sharifulin)
Sechs Tage Black Out
Sechs Tage lang war Venezuela Anfang März von einem Black out betroffen, mit katastrophalen Folgen. Nichts ging mehr: Der öffentliche Nahverkehr, das Telefonnetz und Internet sowie das Zahlungssystem mit den bei einer Inflationsrate von jährlich 1,5 Millionen Prozent dringend benötigten Kartenlesegeräten brachen zusammen, Schulen und Büros blieben geschlossen. Selbst das Benzin konnte an den Tankstellen nicht mehr für Bruchteile eines Cents je Tankfüllung verschenkt werden wie sonst üblich, die Zapfsäulen brauchen Strom.

In vielen Krankenhäusern funktionierte die unterbrechungsfreie Stromversorgung durch Generatoren nicht, Patienten starben. Kühlgeräte in den Supermärkten funktionierten nicht und Lebensmittel fingen an, zu verfaulen. Trinkwasser und Wasser überhaupt wurden knapp – sogar in der Kloake des Guaire Flusses in Caracas suchten die Menschen nach dem kostbaren Nass. In Städten wie Maracaibo kam und kommt es immer wieder zu massiven Plünderungen.
Menschen stehen mit beleuchteten Smartphones auf einer Terasse und blicken auf die Stadt Caracas. 
Stromausfall in Venezuela (AFP / Matias Delacroix )
Imperialisten, Korruption und Sabotage
Die Regierung hatte die Schuldigen rasch ausgemacht: die Opposition mit Unterstützung der Imperialisten aus den USA. Nicolas Maduro:
"Sie führen einen Stromkrieg mithilfe der USA. Sie haben Leute beim Elektrizitätsunternehmen eingeschleust – so wie damals 2002 und 2003 beim Streik in der Ölindustrie."
Solche Vorwürfe wies und weist die Opposition indes weit von sich, denn noch immer fällt der Strom aus – erst vergangene Woche wieder für drei geschlagene Tage in Caracas. In entfernteren Gegenden des Landes ist die Lage noch schlimmer. Juan Guaidó:
"2009 gab es eine Stromkrise gab und deshalb sind 100 Milliarden Dollar investiert worden. 2013 wurde die Stromversorgung dem Militär unterstellt. Im Jahr 2017 hat das Parlament, dem ich vorstehe, versucht, die Verantwortlichen wegen Korruption zur Rechenschaft zu ziehen. Damals wurde das Klimaphänomen ‚El Niño‘ verantwortlich gemacht, dann das Unternehmen Eguana, und jetzt wird von Cyberangriff auf ein analoges System gesprochen - das ist doch ein Witz!"
Vermutlich sorgte ein Rodungsbrand an einer Umschaltstation in der Nähe des Kraftwerkes Guri für den Black out. Von Guri aus werden 70 bis 80 Prozent des Landes mit Strom versorgt. Dennoch ist Sabotage nicht grundsätzlich auszuschließen: Kurz vor einer Explosion in einer Trafostation in Caracas sind drei Personen beim Verlassen der Örtlichkeiten gefilmt worden.
Die Regierung kontrolliert die Presse
Der Kampf um die Macht in Venezuela ist längst auch zu einem über die Meinungs- und Deutungshoheit geworden, wobei die Regierung weitgehend die direkte oder indirekte Kontrolle über die meisten Radio- und Fernsehstationen- und die meisten Zeitungen besitzt. Lediglich soziale Netzwerke und das immer wieder zensierte Internet bieten alternative Informationsquellen – und die nutzt die Opposition.

Juan Guaidó ist freilich wie ein König ohne Reich: Nicolas Maduro und seine Regierung haben nach wie vor vollständige Kontrolle über sämtliche Institutionen und den Apparat der Exekutive sowie natürlich über die sogenannten Colectivos, die motorisierten Schlägerbanden für besondere Aufgaben. Die greifen immer wieder auch Journalisten und Abgeordnete der Asamblea Nacional, des Parlamentes an.
Neulich wurde der Bürochef von Guaidó, Roberto Marrero, in einer Nacht und Nebelaktion vom Geheimdienst Sebin verhaftet. Guaidó selbst wurde vergangenen Donnerstag vom Rechnungshof für 15 Jahre von der Ausübung jedweder politischer Ämter ausgeschlossen.
Maduro im roten Hemd und blauer Baseball-Mütze zeigt mit dem Finger nach vorne, links daneben seine blonde Frau mit Sonnenbrille, sie winkt. Dahinter unscharf rotgekleidete Anhänger Maduros.
Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro am 2.2.2019 bei einer Kundgebung seiner Anhänger in der Hauptstadt Caracas. Daneben seine Frau Cilia Flores. (AP / dpa / Ariana Cubillos)
Vorwurf der Unterstützung durch ausländische Regierungen
Guaidó habe gegen die Vorgaben des Parlamentes verstoßen, da er offensichtlich Unterstützung auch von ausländischen Regierungen und vor allem auf und für seine Reisen angenommen habe. Rechnungsprüfer Elvis Amoroso:
"Der Abgeordnete Juan Gerardo Antonio Guaidó Márquez hat öffentliche Ämter an sich gerissen und Aktionen mit ausländischen Regierungen durchgeführt, die dem venezolanischen Volk und dem öffentlichen Gut des Landes zum Nachteil gereichten und den sozialen Frieden, die demokratische Stabilität und die verfassungsmäßige Ordnung gestört haben."
Da die Maßnahme nicht von einem Gericht nach einem ordentlichen Prozess verhängt worden sei und nachdem die Asamblea die Immunität aufgehoben hatte, erkennt Juan Guaidó sie nicht an.
Guaidó mobilisiert weiter gegen die Regierung mit Protestmärschen im ganzen Land. Immer wieder fordert er auch das Militär auf, endlich die demokratische Ordnung - sprich: ihn - zu stützen. Denn solange die Waffengewalt bei der Regierung von Nicolas Maduro liegt, ist Guaidó weitgehend machtlos.
Die Generäle halten treu zu Maduro
Die 1.200, andere sagen 2.000 Generäle, halten treu zu Maduro. Ihnen wird vorgeworfen sich durch Korruption, illegalen Bergbau, Benzin- und Drogenschmuggel bereichert zu haben. Allen Amnestiebeteuerungen der Opposition zum Trotz befürchten sie, mit Maduro unterzugehen. 235.000 Soldaten zählen die offiziellen Streitkräfte. Hinzu kommen etwa 1,6 Millionen Milizen, Zivilisten, die Militärs waren oder Militärtraining absolviert haben.
José Gregorio Urbano war Fallschirmspringer zusammen mit Chávez jetzt ist er Milizionär:
"Ich habe Kameraden sowohl in der Miliz wie beim Militär. Wir haben auch die Gruppe 4. Februar mit 4.000 Soldaten gebildet, die bei Chávez waren, bereit ihren Kopf für die Verteidigung der Revolution hinzuhalten. Und wir werden - Gott sei Dank - kämpfen und siegen!"
Dazu sind aber immer weniger Soldaten bereit. Die Versorgungslage in der Truppe ist ebenso miserabel wie für das restliche Volk.
Rund 1.000 Soldaten sind bislang desertiert
Bislang sind allerdings erst rund 1.000 Soldaten desertiert - die meisten von ihnen - so wie dieser Nationalgardist - nach Kolumbien.
"Die Moral der Truppe und auch bei Offizieren, die ich kenne, ist am Boden. Sie wollen sich gegen das Regime auflehnen, aber sie haben Angst um ihre Familien, ihre Kinder. Jetzt schicken sie nicht mehr den Geheimdienst, sondern die Colectivos zu Dir nach Hause."
Diese bewaffneten Schlägerbanden scheinen zur wahren Stütze des Regimes zu werden. Das international immer isolierter erscheint. Längst ist Venezuela, das Land mit den größten Erdölvorkommen der Welt, zum Spielball der geopolitischen Interessen der Großmächte geworden: Die USA, die meisten lateinamerikanischen Staaten und Westeuropäer unterstützen Guaidó - Russland, China, Kuba, die Türkei und der Iran Maduro. Angeblich lässt sich Nicolas Maduro nur noch vom kubanischen Geheimdienst, nicht mehr von der Guardia Presidencial bewachen. Immer wieder wird über die Zahl der kubanischen Berater und Militärs im Land spekuliert. Es dürften mehrere tausend sein. Auch die Ankunft von 100 russischen Soldaten letzte Woche in Venezuela legt nahe, dass Maduros Vertrauen in die eigenen Leute sinkt. Zudem internationalisiert er damit den Konflikt.
Kubas Interesse, Maduro im Amt zu halten
Kuba hat ein vitales Interesse daran, Maduro im Amt zu halten: Die Insel hängt am Tropf des venezolanischen Öls. Trotz drastischer Fördereinbrüche liefert Venezuela angeblich immer noch bis zu 90.000 Fass Öl pro Tag an Kuba. Mit immer härteren Sanktionen verschärfen indes vor allem die USA die Krise im Land, wo sich die Fronten weiter verhärten.
Anti-Regierungs-Demonstranten errichten eine Straßensperre in Caracas. Venezuelanisch-bolivarische Nationalgardisten gehen gegen sie vor.
Krise in Venezuela: Maduro warnt vor Bürgerkrieg. (dpa-Bildfunk / AP / Juan Carlos Hernandez )
Vier Szenarien sind denkbar. Erstens: Maduro trocknet mithilfe der Kubaner und Russen die erstarkte Widerstandsbewegung um Juan Guaidó systematisch aus, durch Gewalt und bürokratische Tricks – schließlich kontrolliert er immer noch den Regierungsapparat, das Militär und er hat die Motorradgangs, die Colectivos auf seiner Seite.
Zweitens: Der zivile und militärische Ungehorsam in Anbetracht der immer katastrophaleren Versorgungs- und Wirtschaftslage nimmt Formen an, die sich der Kontrolle Maduros entziehen. Dann käme es wahrscheinlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, im schlimmsten Fall zu einem Bürgerkrieg, bei dem die weitgehend unbewaffnete Opposition klar benachteiligt wäre.
US-Militärintervention - schlechteste aller Optionen
Zu einem Bürgerkrieg würde es wohl auch beim dritten Szenario kommen: Bei einer Militärintervention unter Führung der USA. Dieser Option reden nur die Hardliner der Opposition und die Verzweifelten das Wort. Bei dieser Option wäre zudem mit Vergeltungsschlägen gegen Nachbarländer wie Kolumbien zu rechnen. Viele Experten sind sich einig, dass dies die schlechteste aller Möglichkeiten wäre.
Szenario vier wäre eine Verhandlungslösung. Luis Vicente Leon von Datanalisis:
"Man müsste Verhandlungen mit den Militärs zum Erfolg führen, ihnen Sicherheiten für die Zukunft geben, damit sie sich absetzen und den Weg für einen echten Wandel und künftige Wahlen freimachen."