Donnerstag, 25. April 2024

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Kritik am Film "Der Untergang"

Köhler: Mein Gesprächspartner ist da, Dr. Götz Aly, Historiker und Spezialist für die Zeit des Nationalsozialismus. Ich hatte es schon erwähnt, wir wollen sprechen über den Kinofilm "Der Untergang", die letzten Tage Adolf Hitlers und seiner engsten Gefolgsleute in Berlin, aber nicht über den Film im engeren Sinne als Kinoereignis sondern als ästhetisches Phänomen. Sie haben Zweifel daran, dass durch so einen Film jetzt vielleicht ein freierer oder emanzipierterer Umgang mit Person, Mensch und Diktator möglich wird. Warum?

Moderation: Michael Köhler | 12.09.2004
    Aly: Ich kann mir erst mal gar nichts unter "freierer Umgang mit Hitler" vorstellen. Dass die Deutschen zumal im Umgang mit Hitler befangen bleiben halte, ich für ziemlich normal und wahrscheinlich. Wenn man sich diesen Film ansieht ist klar: da sind die letzten Wochen, Tage, Stunden seines Leben sehr lange gedehnt, zweieinhalb Stunden, glänzend produziert, mit hervorragenden Schauspielern besetzt. Gegen all das ist gar nichts zu sagen, all das, was man da sieht, ist auch historisch wahr, es ist gut belegt und dokumentiert, es wird also nichts hinzugefügt und weggenommen und trotzdem erläutert das, was man da in dem Film zu sehen kriegt, eben gar nichts über die Funktionsweise des Nationalsozialismus, denn je nachdem, mit welcher Erwartung man da hineingeht, kann man eben sehen, wie sich Hitler am Ende seines Lebens und vor dem absehbaren Selbstmord, das hatte er geplant, das wusste er sozusagen zu Beginn des Films, dass er das tun würde, damit kann man sich dort auseinandersetzen.

    Köhler: Also ist das, was so viel diskutiert wird - und es gibt ja kaum eine Tageszeitung, die im Moment nicht groß darüber berichtet oder Gespräche führt mit Schauspielern - dass diese Vermenschlichung weder förderlich noch hinderlich ist, sondern eher einer geschichtlichen Bewusstwerdung im Wege steht?

    Aly: Ich weiß nicht, ob sie im Wege steht. Die überstarke Konzentration auf Hitler, wie überhaupt auf die großen Diktatoren im 20. Jahrhundert, beispielsweise auch auf Stalin, halte ich für falsch, denn man muss sich die gesellschaftlichen Interessen ansehen und die Kräfte, die solche Figuren an die Macht gebracht haben, die davon gelebt haben, die sich davon etwas versprochen haben. Und wir in Deutschland haben die Situation, dass wir im Nationalsozialismus - und das ist aus heutiger Sicht eigentlich ungeheuerlich und man versteht es kaum, eine Übereinstimmung zwischen Volk und Führung hatten, wie wir sie vorher und nachher auch in den Demokratien niemals wieder erreicht haben, das ist das eigentliche Phänomen. Und wenn man da die letzten zwei Monate Hitlers Lebens sieht, wird man nicht mal auf dieses Problem gestoßen und man versteht es noch viel weniger.

    Köhler: Mir ist aufgefallen, dass in vielen Interviews oder Artikeln das Wort des Theatralen, das Wort der Tragödie sehr stark bemüht wurde, auch des berühmten Publizisten Joachim C. Fest, der die Vorlage zu dem Film geliefert hat und Fest sagt selber, der beste Hitlerdarsteller war Hitler selber, er spielte immer eine Rolle, er wusste stets, dass er auf einer Bühne stand oder der Hauptdarsteller Bruno Ganz sagt, Hitler hat in seinem Selbstverständnis nie aufgehört, ein Künstler zu sein. Beobachten Sie auch so einen Vorschub? Ich sage mal, in den 70ern gab es so eine psychologische Deutung mit Erich Fromm und der Anatomie der menschlichen Destruktivität, so einen vom Psychologismus hin zu einem Theatralismus, also das Ganze in ästhetischer Weise abzufedern.

    Aly: Das kann schon sein, dass es eine Form der Abfederung ist. Ich glaube nicht, dass es auf die Dauer besonders wirksam ist, denn da wird eben Hitler und eine Situation aufgebaut hier im Führerbunker, die das mit dem, was aus geschichtlicher Sicht das Wesentliche des Nationalsozialismus ist, die Verbrechen, mit dem gar nichts zu tun hat. Wenn Sie die Äußerung von Bruno Ganz nehmen, Hitler habe nie aufgehört ein Künstler zu sein und immer seine Rolle gespielt - mein Gott, mit diesen Äußerungen kommen Sie vielleicht am Schluss weiter. Wenn sie ihn da sehen, dieses Abwehrblättchen lesen und plötzlich Eva Braun heiraten und irgendwie ein verrücktes Testament aufzusetzen, aber Sie kommen überhaupt nicht weiter, wenn im Jahre 1940, 41, 42 Vernichtungsbeschlüsse für soundsoviele Millionen Menschen gefasst und auch durchgesetzt werden. Da kommen Sie mit so einer Figur - "ja, der hat sich da sein Leben lang als Künstler verstanden" - da sind Sie doch völlig aufgeschmissen mit so einem Satz. Wenn Sie ihn in einer Rede haben vor den Reichs- und Gauleitern, wo er sagt, die Juden müssen ausgerottet werden. Punkt. Was hat das mit Künstlertum und Schauspielerei zu tun? Wir wissen, es war keine Schauspielerei.

    Köhler: Dann ist das die Kritik eines Historikers, die ich jetzt höre, an einem Kunstphänomen wie so einem Film.

    Aly: Naja, ich finde es legitim, man kann diesen so genannten Untergang, diese letzten Tage von so bedeutenden, einflussreichen Figur, wie Hitler war, da kommen wir nicht drumrum, in aller Neutralität kann man ihn so bezeichnen. Natürlich zieht er als Person auch Interesse auf sich. Man kann das ruhig machen, nur kann man daraus überhaupt keine Schlüsse für seine Herrschaft ziehen und natürlich tun das die Beteiligtren, wenn sie sagen "er hat sich immer als Künstler verstanden, bla bla." Das war ein Spekulant. Das Ganze ist eine Spekulationsblase - was heißt hier denn als Künstler, den muss man sich vielmehr als Finanzbetrüger, der hat ein Schneeballsystem aufgebaut, in diesem dritten Reich war überhaupt nichts seriös, diese Naziführer wussten nicht, wie sie am nächsten Morgen ihre Rechnungen bezahlen sollten und haben so getan, als würden sie für 1000 Jahre ein deutsches Reich basteln. Das ist das Wesentliche und diese historischen Kernfakten, die relativ wenig bekannt sind, werden jetzt nicht durch so einen Film, der um diese Person da so einen Geruch, man kann ja nicht sagen Weihrauch, es ist schon so ein sozusagen Sterberauch, der da um ihn weht, das ist natürlich ein bisschen verdeckt, das ist klar, das ist der Nachteil von so einem Film.

    Köhler: Sie haben sich auch viel mit Karrieren im NS-Staat befasst und in so einem Film wird wohl auch nicht gezeigt, dass es sich da um junge Revolutionäre handelte, Speer oder andere, mit denen Sie sich auch befasst haben, was ja auch ein wesentlicher Antrieb war im Reich. Könnte das dazu führen, dass es am Ende doch zu einer Verharmlosung führt?

    Aly: Dass die Deutschen sich mit Hitler arrangieren und den verharmlosen, diese Gefahr halte ich für ziemlich gering. Es gibt ja relativ gute historiographische Literatur, es gibt diese Gedenkstätten und wenn Sie die Zeitungen mal im Durchschnitt ansehen, dann sind die voll davon mit irgendwelchen Einzelfällen aus der NS-Zeit und da werden Schicksale geschildert und wie Leute heimkehren und sich anschauen, wo sie früher gewohnt haben. Das geschieht alles in einem sehr verständigen und hoch informierten und auch guten Ton, wenn Sie das mal im Durchschnitt betrachten. Also diese Gefahr, wir könnten uns mit Hitler arrangieren, sehe ich nicht. Die zweite Gefahr, die Sie nannten ist, das ist eigentlich wichtig, dass man versucht, den Nationalsozialismus weiter zu verstehen und was da eigentlich passiert ist. Das waren Leute, die sind ganz jung an die Macht gekommen, also jemand wie Speer, der war 1933 27, Mengele war 21, Goebbels war 32. Das war eine Generation. Dagegen sind Leute wie Westerwelle und so weiter uralte Herren. Und die haben praktisch zehn Jahre lang (die letzten zwei Jahre zählen nicht) in einem ununterbrochenen Aufstieg, in ununterbrochener Machtkumulation und Machtkumulation ihrer Möglichkeiten auf dem Rücken von abermillionen Menschen und um den Preis von deren Leben, haben die ihre Pläne, Absichten und Verrücktheiten verwirklicht. Und das geht natürlich verloren, wenn sie die allerletzte, ja auch ins Groteske verzerrt, das war auch historisch eine groteske Situation, das ist in dem Film nicht übertrieben, wenn Sie diese allerletzten, gewissermaßen moribunden Monate dieses Regimes sehen, dann haben Sie keine Vorstellung, mit welcher Kraft und Energie das vorher funktioniert hat. Es rückt uns auch ferner, als es in Wirklichkeit ist, es wird eben so zur Verrücktheit, zur brutalen ungeheuerlichen Skurillität, aber wir verstehen nicht, dass die Funktionsweisen, auf denen dieses System beruhte, uns so fern, wie wir denken, in Wirklichkeit gar nicht sind und dass auch diese Typen, die haben ja nichts zu tun mit ordinären Rechtsradikalen, sondern da sind sehr viele gebildete Menschen dazwischen, sehr viele Menschen, die wirklich etwas haben wie Pläne zum Umbau und zur Verbesserung der deutschen Gesellschaft und das gibt ihnen das Backing, dadurch kriegen sie die Kraft und können die öffentliche Stimmung zumindest bis 1943 stabil halten und etwas nennen, was ich eine jederzeit mehrheitsfähige Zustimmungsdiktatur nenne.