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Kritik am Stimmungsjournalismus

Als Racheengel der Sprache hat Karl Kraus den Glauben an die aufklärerischen Traditionen des Zeitungswesens zu entzaubern versucht. Wie jeder Störenfried liebgewordener Trugbilder wirkte er dabei höchst polarisierend. In "Ich gegen Babylon" zeigt Simon Ganahl, wie aktuell Kraus Thesen sind.

Von Uwe Pralle | 25.08.2006
    "Karl Kraus, Lied von der Presse:
    Im Anfang war die Presse
    und dann erschien die Welt.
    Im eigenen Interesse
    hat sie sich uns gesellt.
    Nach unserer Vorbereitung
    sieht Gott, dass es gelingt,
    und so die Welt zur Zeitung
    er bringt"

    So klang es, wenn Karl Kraus höchstselbst über seinen Erzfeind herzog und das Lied von der Presse sang. Niemand hat wie Kraus ein ganzes Leben lang geschliffenen Intellekt und Sprachsinn so besessen gegen den Moloch bedruckten Papiers mobilisiert, als gelte es, den Untergang der Welt durch dessen schwarze Magie zu verhindern.

    "Karl Kraus war Publizist, ein öffentlicher Schriftsteller, der seine Zeit, nein, jene Realität, wie sie die Zeitung präsentierte, kritisch spiegelte; und wenn diese Kritik berechtigt war, wenn die Kraus'sche These stimmt, dass schon die Presse, indem sie die Fantasie ruiniert, mit der Urteilsbildung Persönlichkeit zugrunde richtet, subjektlose Massen generiert - darf dann noch ein Mensch gegenwärtiger Medienwelten behaupten, ein Ich zu sein?"

    Mit diesen Worten aus seinem Buch "Ich gegen Babylon. Karl Kraus und die Presse im Fin de Siècle" legt der 25-jährige Wiener Medienwissenschaftler Simon Ganahl den Finger auf die Wunde, die bis heute offen liegt, seitdem Karl Kraus Ende des 19. Jahrhunderts das Leitmedium der bürgerlichen Öffentlichkeit unter die Lupe zu nehmen begann. Bis zu seinem Tod im Jahre 1934 hat Kraus in seiner Zeitschrift "Die Fackel" als Racheengel der Sprache an ihrer journalistischen Entstellung durch die Phrase den Glauben an die aufklärerischen Traditionen des Zeitungswesens entzaubert und dabei wie jeder Störenfried liebgewordener Trugbilder höchst polarisierend gewirkt.

    "Also ein wirklicher Intellektueller kommt sicher nicht an Karl Kraus vorbei, und das merkt man heute in Wien immer noch, weil er immer noch diese Gräben auftut zwischen den absoluten Kraus-Befürwortern und seinen absoluten Gegnern; also diese riesige Kluft, die ja schon zu seiner Zeit sein Wirken geprägt hat, die ist nach wie vor herrschend."

    Im Unterschied zu eingefleischten Matadoren bei den Diadochenkämpfen um Kraus hat Ganahl einen sehr nüchternen, gleichzeitig aber auch unter die üblichen Oberflächen dringenden Blick auf die Wiener Zeitungswelt geworfen, von der sich Karl Kraus zur Jahrhundertwende so sehr herausgefordert sah.

    "Worauf gründet dieser Kraus'sche Begriff der Phrase, welche Art des Journalismus liegt seiner Kritik zugrunde? Diese Frage hat mich dann in die Pressearchive getrieben, um wirklich Klarheit zu schaffen, die Frage, wie berechtigt, wie glaubwürdig ist denn die Kritik von Karl Kraus? Das ist eigentlich eine Frage, die in der Kraus-Forschung noch überhaupt nie beantwortet sowieso nicht, aber der auch nie nachgegangen wurde. Das war der Beweggrund, die Triebfeder, jetzt sich diese Zeitungen anzusehen, und ich habe hier die zwei Pole der Kritik herausgegriffen, der absolute Negativpunkt der Kritik in der 'Fackel', nämlich die 'Neue Freie Presse', das 'Hauptangriffsziel', wie er es auch selber nennt. Und auf der anderen Seite die 'Arbeiterzeitung', zu der Kraus zeitlebens ein zwiespältiges Verhältnis hatte, nämlich eine der wenigen Zeitungen, die immer wieder von Kraus gelobt wurde für ihre Berichterstattung, zum Beispiel als moralische Kraft während des Ersten Weltkriegs. Und genau diese Geschichte habe ich mir herausgegriffen in einem repräsentativen Zeitraum, nämlich die erste Woche des 20. Jahrhunderts, und ich habe hier die Berichterstattung der beiden Zeitungen inhaltsanalytisch und sprachstilistisch verglichen."

    Eine Analyse also von zwei Quellen von Kraus' Haltung zur Presse, einerseits das Organ der österreichischen Sozialdemokraten und andererseits die tonangebende Zeitung des Habsburgerreiches:

    "Die 'Neue Freie Presse' war ja die Zeitung der Donaumonarchie schlechthin, also die einzige Zeitung in Österreich-Ungarn, die Weltrang hatte. Es geht hier wirklich um den Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Tatsache, und ich glaube, diese unglaubliche Kluft zwischen dem, was die 'Neue Freie Presse' behauptet zu sein und was sie wirklich ist, ich glaube, hier kann ich doch ein paar Beispiele dazu bringen."

    In dieser hochsymbolischen ersten Woche des Jahrhunderts zeigen sich in Ganahls Analyse die Grundmuster ziemlich scharf, auf die Kraus so radikal reagierte:

    "Wenn man sich diese Zeitungen anguckt, wird einem klar, dass dieser Begriff des Feuilletons, des Feuilletonismus, bei Kraus nicht auf das heutige Kulturressort zu reduzieren ist. Feuilletonismus ist ein journalistisches Programm, das sich durch alle Sparten zieht. Also es geht darum, dass nicht nur das Feuilleton die rein subjektive, zum Teil belanglose indifferente Reflexion eines Kulturjournalisten ist, sondern dass das Feuilleton auch das tonangebende Prinzip in der Politik, in der Chronik, in der Wirtschaft ist. Das heißt eben, mit Feuilletonismus im Kraus'schen Sinn ist gerade diese Verzahnung von Information und Interpretation, von Fakten und Stimmung gemeint."

    Fakten mit Fiktionen zu vermischen und Meinungen durch Metaphern zu verbrämen, ist für Ganahl das Kennzeichen eines "Stimmungs-Journalismus", der sich damals aus drei wesentlichen Tendenzen zu speisen begann: aus der Kommerzialisierung der Literatur, der Literarisierung des Feuilletons und der Feuilletonisierung der Politik. Im Unterschied zur "Neuen Freien Presse" sieht Ganahl diese Tendenzen bei der sozialdemokratischen "Arbeiterzeitung" allerdings weniger stark durchschlagen und begründet das so:

    "Es geht hier nicht darum, dass die 'Arbeiterzeitung' vollkommen objektiv wäre. Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Es gibt im Kraus-Essay von Walter Benjamin die Stelle: 'Die Zeitung ist ein Instrument der Macht', das heißt, eine unparteiische Zeitung. Das wäre nicht nur eine absolute Utopie, sondern eine absolute Naivität. Es geht gerade darum, dass die 'Arbeiterzeitung' ihre Karten auf den Tisch legt. Also es ist einfach diese Trennung viel klarer: Hier ist Meinung, und da ist dann absolut klar, wo sie herkommt und wo sie hin will, und hier ist Information."

    Der Sündenfall der Presse, auf den Karl Kraus mit satirischem Ingrimm reagierte, lag also darin, die klare Trennung zwischen Nachricht und Meinung zu verwischen, indem scheinobjektive Stimmungsbilder zusehends an die Stelle von Fakten traten - eine Entwicklung, die in der heutigen Medienwelt sogar noch zugenommen habe:

    "Diese Zustände, die er kritisiert, das sind Zustände, die heute nicht einmal mehr bemerkt werden. Diese stimmungshafte Berichterstattung ist absolut strukturgebend auch bei den so genannten Qualitätsmedien, also nicht unterscheiden zu können und sich auch nicht bewusst zu sein, wie zentral es ist, Fakten zu geben, sondern immer diese literarisierende, nach Bildern suchende Tätigkeit des Journalismus; was der tatsächlich für Auswirkungen hat, das wird einem, glaube ich, bei der Lektüre von Karl Kraus bewusst, und das sind natürlich Strukturen der Berichterstattung, die sehr stark vorherrschen heute."

    Die Wurzeln des von Kraus ständig attackierten Stimmungjournalismus reichen ins Milieu von Schriftstellern wie Hermann Bahr zurück, die eine journalistische Auffassung von Literatur mit einer literarischen vom Journalismus verbanden und für Kraus ein rotes Tuch waren.

    "Hermann Bahr war der Wortführer der Jung-Wiener Literatur und an diesem Hermann Bahr macht Kraus deutlich, was man heute unter dem Begriff des Postmodernisten verstehen würde. Also diese absolute Beliebigkeit, eben gerade das Fehlen von Kriterien von Unterscheidungen, dieses Wechseln von Stilrichtungen, die bald monatlich wechseln und so weiter. Das ist wirklich die Anti-Persönlichkeit aus der Kraus'schen Perspektive, und das macht Kraus, immer seinem Verfahren des satirischen pars pro toto folgend, anhand dieser Figur Hermann Bahr deutlich. Allerdings muss ich hier noch sagen, dass man nicht verwechseln darf, was Karl Kraus aus einer historischen Person macht und was diese Person wirklich war."

    Kraus' rabiate Praxis satirischer Zuspitzung der Zeitungswelt zu einem Panoptikum der Zeit fügt sich für Ganahl in eine Doppelstrategie seiner Medienkritik ein:

    "Ich denke, dass Kraus, was Medienkritik anbelangt, unglaublich hellsichtig war. Man muss da ganz klar zwei Ebenen unterscheiden. Bei Kraus gibt es immer diese Ebene, von Anfang an, dass die Inhalte der Medien lügenhaft seien oder dass die Journalisten ganz konkrete Vorteile durch die Berichterstattung selber erzielen möchten. Das ist die eine Schiene, die nach wie vor absolut virulent ist. Aber es gibt eine andere, die sehr viel interessanter für mich ist, nämlich sagt Kraus, und das gipfelt in dieser einen Stelle im Essay 'Untergang der Welt durch schwarze Magie': Die Presse ruiniert alle Vorstellungskraft. Es geht hier bei Kraus darum, dass die Medien selber die Sinneswahrnehmung, die Geistestätigkeit der Rezipienten, also der Leser, Hörer und heute Seher verändern."

    Karl Kraus hat in diesem Buch nicht zu Unrecht den Status eines Pioniers der Medienkritik, der erstmals die bedrohliche Seite der in den heutigen Mediengesellschaften immer wieder beschworenen Macht der Medien sah. Dass die Presse mit der Vorstellungskraft des Publikums auch seine Urteilsfähigkeit ruinieren kann und damit die seit der Aufklärung verfochtene Idee mündiger Individuen, ist der Kerngedanke dieses Buches - und Ganahl hat in einem Epilog darauf hingewiesen, dass Kraus diese Konsequenz in "Die dritte Walpurgisnacht", seinem erst posthum veröffentlichten Kommentar zur Machtergreifung des Nationalsozialismus, in aller Schärfe im Blick hatte:

    "Die These von Kraus ist, dass die Nationalsozialisten das kollektive Bewusstsein nicht erst erzeugen mussten, sondern dass sie dieses kollektive Bewusstsein nur benutzen mussten. Denn das Publikum war aufgrund dieses Sprachgebrauchs der Journalisten bereits gleichgeschaltet."

    ""Karl Kraus, Lied von der Presse:
    Sie lesen, was erschienen,
    sie denken, was man meint.
    Noch mehr läßt sich verdienen,
    wenn etwas nicht erscheint.
    Wir schweigen oder schreiben,
    ob jener auch zerspringt,
    wenn uns nur unser Treiben
    was bringt''
    "