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Kritik am Vergabesystem der Nobelpreise nimmt zu

Nobelpreis. - Ralph Steinman war bereits drei Tage verstorben, als er den Nobelpreis für Medizin erhielt. Dem Nobelpreiskomitee war dies nicht bekannt. Solche Pannen gießen natürlich Öl in das Feuer der Nobelpreiskritiker. Sie fordern seit Langem, dass sich die Nobelstiftung modernisiert.

Von Christine Westerhaus | 06.10.2011
    Der Nobelpreis ist so etwas wie die Oscarverleihung in den Naturwissenschaften. Drei Tage lang blickt die ganze Welt nach Stockholm und über die möglichen Gewinner wird viel spekuliert. Die Bekanntgabe ist eine heilige Zeremonie und die Namen der Preisträger sind so geheim, dass oft nicht mal sie selbst etwas von ihrem Glück wissen. So auch der frischgebackene Physiknobelpreisträger Saul Perlmutter. Als ihm eine schwedische Journalistin am Telefon gratulierte, glaubte er erst mal an einen Scherz. Eine Dreiviertelstunde lang plauderte er dann erst mal mit ein paar Reportern – bis ihn endlich das Nobelpreiskomitee anrief.

    "Reporters started calling 45 minutes before I got a phone call from the Swedish Academy.”"

    Solche Versäumnisse gehören jedoch eher zu den kleineren Pannen im Nobelpreisbusiness. Dass das Komitee nicht über den Tod von Ralph Steinman informiert war, ist da schon ein gröberer Fehler, findet Jan-Olov Johansson. Er ist ehemaliger Leiter des Wissenschaftsressorts im schwedischen staatlichen Radio und verfolgt die Nobelpreisvergabe seit fast 20 Jahren mit kritischem Blick.

    ""Es sollte doch eigentlich Möglichkeiten finden, so etwas vorher zu kontrollieren, wenn man den wichtigsten aller Preise in der Wissenschaftswelt an jemanden vergibt. Man könnte schließlich mal diskret nachfragen. Aber das war wohl eher ein Grenzfall, bei dem Pech und Ungeschick zusammen kamen. Viel schlimmer sind aber ein paar Fehlentscheidungen in der Vergangenheit. Dass zum Beispiel Wissenschaftler bei der Preisvergabe für ein Forschungsgebiet nicht mit bedacht wurden, obwohl sie den Preis ebenfalls verdient hätten."

    Was zu solchen Fehlentscheidungen geführt hat, bleibt jedoch geheim. 50 Jahre lang werden alle Informationen über die Nominierten und diejenigen, die die Kandidaten vorschlagen, unter Verschluss gehalten. So ist es in den Statuten der Nobelstiftung festgelegt. Jan-Olov Johansson hält diese Regelung für überholt und plädiert für ein transparenteres Verfahren.

    "”Obwohl die Auswahl der Preisträger ein demokratischer Prozess ist, gibt es immer einige in der schwedischen Akademie, die sich sehr stark für oder gegen einen Kandidaten einsetzen. Nicht selten treiben die Mitglieder des Komitees dabei ihr eigenes Forschungsgebiet voran. Das ist zwar menschlich, aber es beeinflusst die Entscheidung natürlich stark - so wie bei allen Sportarten, bei denen eine Leistung bewertet wird. Das Problem ist, dass wir erst nach 50 Jahren erfahren, wer ein Forschungsgebiet oder einen Kandidaten gewissermaßen durchgeboxt hat.""

    Die Entscheidungen werden auch von manchen Wissenschaftlern kritisiert. Vor zwei Jahren schrieb eine Gruppe von Forschern in einem offenen Brief an das Nobelpreiskomitee, wie sie sich die Auswahl der Preisträger vorstellen. Den Brief unterschrieben auch bekannte Wissenschaftler wie Edward O. Wilson und Frans de Waal. Von Reportern muss sich das Komitee oft die Frage gefallen lassen, warum so wenige Frauen die Auszeichnung erhalten und fast alle Preisträger hellhäutig sind. Problematisch findet Jan Olov Johansson aber vor allem, dass in den Naturwissenschaften manch ein Gewinner schon so alt ist, dass er sich nicht mehr über den Preis freuen kann. So auch Robert Edwards, der im vorigen Jahr den Nobelpreis für Medizin erhielt. Die Gesundheit des 85-jährigen war bereits so angeschlagen, dass er bei der Preisverleihung nicht dabei sein konnte.

    ""Das war wirklich tragisch und ich halte es für ein gravierendes Problem, dass manchmal so lange mit der Auszeichnung gewartet sind, bis die Preisträger dement sind, schwere gesundheitliche Probleme haben oder schon kurz davor sind, zu sterben. Das Nobelpreiskomitee sollte fortschrittlicher sein und mehr wagen. In vielen Fällen ist schon lange klar, dass eine Entdeckung eine große Bedeutung hat und dass man die Ergebnisse reproduzieren kann. Trotzdem zögert das Komitee und und trifft in vielen Fällen zu konservative Entscheidungen.”"

    Der Nobelpreis soll denen zugeteilt werden, die "im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben". So hat es der Stifter des Preises, Alfred Nobel, in seinem Testament festgelegt. Doch diesen Letzten Willen sieht Jan-Olov Johansson nicht immer erfüllt.

    "”Ich denke, dass Alfred Nobel sich manchmal sehr darüber wundern würde, wenn er sehen könnte, was man aus seinem Testament gemacht hat. Vor allem, was den Literaturnobelpreis anbelangt. Oder den Friedensnobelpreis – er würde wohl vom Stuhl fallen, wenn er das sieht. Und auch in den Naturwissenschaften gibt es eine starke Tendenz, sehr theoretische Grundlagenforschung zu belohnen und keine Dinge, die in unserem Alltag eine Rolle spielen.”"

    Es gibt aber auch Dinge, die sich schon deutlich gebessert haben, betont Jan-Olov Johansson. Früher sei es häufiger vorgekommen, dass das Nobelkomitee zu seinen eigenen Pressekonferenzen zu spät gekommen ist.

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