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Kritik an Amazon
"Machtverhältnisse verschieben sich dramatisch"

Burkhard Spinnen gehört zu den inzwischen mehrere Hundert deutschsprachigen Autoren, die in einem Protestbrief an Amazon einen fairen Buchmarkt fordern. Der Online-Händler setze Verlage und Autoren unter Druck, sagte Spinnen im DLF. Inzwischen entscheide Geld über Inhalte, das Ökonomische wölbe sich über das Geistige.

Burkhard Spinnen im Gespräch mit Sandra Schulz | 15.08.2014
    Päckchen und Pakete laufen in der Halle der neuen Zustellbasis des Postzustellers Deutsche Post DHL in Norderstedt (Schleswig-Holstein) auf einem Band.
    Amazon-Pakete laufen über ein Laufband einer Postzustellbasis in Norderstedt (Schleswig-Holstein). (picture alliance / dpa / Bodo Marks)
    Burkhard Spinnen warf Amazon vor, auf dem Büchermarkt den "genial großen Absolut-Claim" abstecken zu wollen. Dabei handele es sich um einen schleichenden Prozess. Sobald das Unternehmen Herr über den Markt sei, könne es die Preise bestimmen, sagte Spinnen im Deutschlandfunk.
    Während es früher zahlreiche Buchhandlungen und zahlreiche Verlage gegeben habe, schwebe heute ein großes Unternehmen über wenigen großen Verlagen. "Die Machtverhältnisse verschieben sich dramatisch", so Spinnen. Das kleine Bundeskartellamt in Deutschland könne Amazon nicht daran hindern.

    Sandra Schulz: Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit dem Schriftsteller Burkhard Spinnen, derzeit arbeitet er an einem Buch über den Abschied vom Buch, will den Brief auch unterzeichnen, ist jetzt aber erst mal am Telefon. Guten Morgen!
    Burkhard Spinnen: Guten Morgen!
    Schulz: Geschätzt mehr als 100.000 Bücher werden pro Tag in Deutschland über Amazon verkauft. Sind wir ein unmoralisches Land?
    Spinnen: Nein, wir sind kein unmoralisches Land, wir sind nur ein Land, in dem sich Dinge ändern. Die Dinge ändern sich schnell, sie ändern sich unmerklich, sie ändern sich so, dass man denken könnte, ja, das ist ja prima, die Sachen sind praktischer und einfacher geworden. Aber Vorsicht: Dahinter lauern Entwicklungen, die möglicherweise gar nicht positiv sind. Das Ökonomische wölbt sich über das Geistige. Das Geld entscheidet, welche Inhalte bestimmt werden. Das geschieht schleichend in unserem Alltag. Und da muss man mal drauf aufmerksam machen.
    Schulz: All das machen Sie ja an Amazon fest. Aber wenn das Unternehmen jetzt darauf hinweist, wir müssen uns durchsetzen oder das Medium Buch vor allem muss sich durchsetzen gegen ganz neue Medien, gegen ganz viele neue, attraktive Sachen, deswegen muss das günstiger werden – was ist daran so falsch?
    Spinnen: Ich halte das für eine Schutzbehauptung. Es geht im Wesentlichen darum, dass die großen Verteilerunternehmen, von denen das mit großem A eines ist, versuchen, einen Markt zu bestimmen, den wir jetzt so noch gar nicht sehen. Vor 20 Jahren, Sie alle werden sich daran erinnern, ist der Musikmarkt zusammengebrochen, weil die Musikproduzenten es verschlafen hatten, zu bemerken, dass Musik nicht mehr auf so fragilen Platten, sondern auf CDs und dann als Dateien vertrieben werden kann. Das hat die Musikbranche an den Rand des Ruins gebracht und hat sie nachhaltig verändert.
    Schulz: Aber Musik gibt es ja noch, Bücher wird es doch wahrscheinlich auch lange noch geben.
    Der deutsche Autor Burkhard Spinnen, aufgenommen im März 2009.
    Über Burkhard Spinnen
    Geboren 1956 in Mönchengladbach, Nordrhein-Westfalen. Der Schriftsteller studierte bis 1984 Germanistik, Publizistik und Soziologie in Münster. 1989 promovierte er dort und arbeitete bis 1995 als wissenschaftlicher Assistent. Der Autor zahlreicher Essays und Romane ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und erhielt für seine Werke zahlreiche Auszeichnungen.
    Spinnen: Ja. Es gibt noch Musik. Die Frage ist, ob die Leute, die die Musik machen, davon leben können. Und es ist die Frage, ob das eine, sagen wir mal, eine nachhaltige Produktion ist oder ob es – wie in der Musikbranche, wie in der Popmusik – eigentlich nur noch darum geht, außermusikalische Events zu produzieren, die dann ein bisschen mit Tönen unterlegt werden. Sie hören: Ich kritisiere die Inhalte, die unter dem Druck der ökonomischen Verhältnisse sich verändert haben.
    Schulz: Aber Herr Spinnen, war das denn jemals anders? Hat es das früher nicht auch gegeben, dass damals vielleicht noch die Verlage stärker Druck auch auf die Autoren gemacht haben?
    Spinnen: Ja, Druck gibt es überall. Aber der Druck ist leichter zu ertragen, wenn er sich aufteilt, wenn er sich differenziert. Wir haben viele Verlage gehabt einmal. Und wir hatten viele, viele, viele Buchhandlungen. Die Buchhandlungen konnten den Verlagen gegenüber eine differenzierte Politik anlegen. Und die Verlage konnten den Buchhandlungen gegenüber in einem gewissen Grade auch mit Kraft und Verve auftreten. Jetzt schwebt über den wenigen großen Verlagen, die es noch gibt, ein noch viel größeres, gewaltiges ökonomisches Unternehmen, das also nur mal kurz mit der Stirn zu runzeln braucht und schon denkt sich der Verlag: Du liebe Güte, wenn das beim großen Verteiler nicht ankommt, wenn das da nicht gern gesehen wird, dann produzieren wir doch lieber was anderes. Die Machtverhältnisse verschieben sich dramatisch.
    Schulz: Ja. Wir haben bei Amazon natürlich auch mal nachgefragt. Es gibt ja mehrere konkrete Auseinandersetzungen mit den Verlagen. Da ist die Position von Amazon, dass die sagen: Wir wollen E-Books, also Bücher, die nicht sozusagen analog vorliegen, sondern digital über Medien, auf einem Lesegerät gekauft werden können, wir wollen, dass diese E-Books günstiger sind, weil die in der Produktion auch günstiger sind, weil die nicht groß gelagert werden müssen. Das ist doch eigentlich logisch. Was ist daran so falsch?
    Spinnen: Das ist ja nur ein Schritt in eine andere Welt, in der viele andere digitale Inhalte, Nachrichten et cetera, und so weiter, über ein anderes Verteilungssystem auf andere Endgeräte verteilt werden. Da will jetzt erst mal jemand den Claim abstecken. Und zwar nicht seinen Claim unter anderen, sondern den generalgroßen Absolut-Claim. Besitzt er den – so viel Kapitalismus kennen wir ja alle –, wird er später auch die Preise bestimmen können. Das ist die normale Art und Weise, wie in einer Marktwirtschaft Dinge funktionieren. Man sichert sich Absatzmärkte. Wenn man die kontrolliert, dann kann man die Preise bestimmen. Da haben wir noch dieses kleine Kartellamt hier in Deutschland, das dafür sorgt, dass ein bisschen Wettbewerb besteht, aber Amazon ist ein globaler Spieler, kein nationales Kartellamt wird ihm irgendwie reinreden können. Und Sie kennen doch alle diese Science-Fiction-Filme, vor denen wir immer ganz gebannt sitzen und uns anschauen, dass große – in der Zukunft –, große ökonomische Unternehmen die Politik ausschalten und sich der sozialen Systeme bedienen. Jetzt kommen wir in unseren eigenen Science-Fiction-Film.
    Schulz: Das heißt aber umgekehrt auch, über diesen Punkt müssen wir noch mal sprechen: Sie unterstellen, dass Inhalte künftig weniger wichtig sind oder vielleicht auch den Lesern dann nicht mehr ganz so wichtig sind. Wie anders wollen Sie das denn begründen außer mit Kulturpessimismus?
    Spinnen: Ja, Kulturpessimismus ist ein Satz, der Leuten gesagt wird, die auf Probleme aufmerksam machen. Ich bin nicht pessimistisch. Pessimistisch hieße ja, dass ich sage, alles wird schlecht. Ich sage nur: Es gibt Bedrohungen, gegen die ich mich gerne zur Wehr setzen würde. Und es gibt Ideale einer geistigen Gesellschaft, die nicht die meinen sind und gegen die ich andere setze. Das ist kein Pessimismus. Pessimismus ist für mich eine ganz und gar passive Angelegenheit. Ich fühle mich gar nicht passiv.
    Schulz: Das stellt heute Morgen hier im Deutschlandfunk klar der Schriftsteller Burkhard Spinnen. Haben Sie vielen Dank dafür!
    Spinnen: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.