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Kritik an der Führungsschicht der Zweiklassengesellschaft

Die Österreicherin Marlene Streeruwitz ist eine Autorin, die polarisiert und polarisieren will. Sie schreibt aus einer dezidiert feministischen Perspektive, vielfach gespiegelte Gedankengänge fließen in ihren Romanen ineinander, in denen es ihr nicht so sehr auf das Erzählen einer Geschichte ankommt, sondern viel mehr darum, auszuloten, was die Gesellschaft treibt. Gerade ist ihr neuer Roman "Kreuzungen" erschienen, dessen Hauptfigur - und das ist für diese feministische Autorin ungewöhnlich - ein Mann ist.

Von Elke Heinemann | 03.09.2008
    "Ich habe immer schon Männerfiguren in meiner Literatur gehabt, das hat sich nur in der Romangestaltung der letzten zehn Jahre einfach nicht ergeben. Es hat mich auch nicht interessiert."
    Sie ist Kulturkritikerin, Feministin, vor allem aber prominente Theater-, Hörspiel- und Romanautorin: Die 58-jährige österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz legt mit "Kreuzungen" einen neuen Roman vor, dessen zentrale männliche Figur durchaus reale Vorbilder hat. Zu ihnen gehört vor allen anderen der neoliberale französische Staatspräsident Sarkozy, Verfechter der Globalisierung und - nach Ansicht der Autorin - Prototyp der kapitalistischen Zweiklassengesellschaft.

    "Es war wirklich Sarkozy, der ja auch eine Selbsterfindung ist und, naja, ich gehe davon aus, dass eine neoliberale Persönlichkeit sich selbst erfinden kann und muss und sich gestaltet und dazu alle Techniken zur Verfügung nehmen kann. Und das ist ja in dem Fall so, der kommt ja von nirgendwo, ist ein Findelkind, der sich nun selbst herstellt. Diese Hauptfigur kommt offenkundig aus Wien, ist da irgendwie im Heim groß geworden, hat sich die Bildung angeeignet, hat sie angezogen wie einen Anzug."
    Und tatsächlich hat die namenlose männliche Hauptfigur ihres neuen Romans offensichtlich nichts anderes zu tun, als sich des eigenen Ichs zu erfreuen: Ein Narzisst, der ganz im Innen lebt und der das gesamte abendländische Bildungsgut dazu benutzt, sich selbst zu formen, sich selbst zu modellieren wie ein Designerstück. Seine Geschichte ist auch für erfahrene Leser eine Herausforderung, da sie voll kultureller Reminiszenzen ist, auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse verweist, auf Philosophie und Psychoanalyse, auf Kunst-, Literatur- und Religionsgeschichte. Der Wunsch dieses Selfmademan, sich selbst und sein gesamtes Umfeld mit diesen Mitteln gestalten zu können wie ein Romancier einen Roman, ist noch größer als der immense Drang nach Geld, das er angehäuft hat.

    Und er hatte es nicht ererbt. Er hatte es erworben. Selber erworben. Er konnte zum unsichtbaren Lenker der Leben der Reichen werden und sich daraus die Romane basteln. Er konnte Romane machen. Er musste nicht schreiben. Er machte. Er tat.

    Und doch sind die Millionen auf seinen Luxemburger Konten nicht vollends befriedigend. Daher verlässt der Protagonist Frau und Kinder, zieht von Wien um nach Venedig, wo er versucht, gemeinsam mit einem neuen Gefährten, dem Lyriker Gianni, ein hedonistisches Leben von eigenen Gnaden zu führen. Immer deutlicher wird im Verlauf des anspruchsvollen, vielschichtigen, bilderreichen Romans, dass Macht und Geld für diesen Streeruwitz'schen Anti-Helden keine Statussymbole sind sondern seiner sexuellen, seelischen und ästhetischen Befriedigung dienen.

    Er ist ein faustischer Charakter, er will die uneingeschränkte Herrschaft, die absolute Kontrolle über sich selbst, über alle anderen, über alles andere - egal, ob es um Schönheitsoperationen am eigenen Körper geht, um erotische Eskapaden oder um die Zeugung neuer Kinder. Dabei misstraut er den meisten Menschen, die ihm begegnen: So trifft er sich beispielsweise zwar mit einer ihm von einem Züricher Ehe-Institut zugeführten Frau, einer "Kandidatin für schmerzlose Partnerschaft". Zugleich aber verdächtigt er sie, als Komplizin der geschäftlichen Konkurrenz gegen ihn zu intrigieren - und dies nicht, weil überzeugende Indizien für diesen Verdacht sprechen, sondern weil er sein narzisstisches Ich nur erhalten kann, indem er sich von anderen fernhält.

    Der Mord an diesem Zeitungszaren fiel ihm ein. (...) Das war ja ein Komplott gewesen. Wie das hier eines sein konnte. (...) Wie war das zustande gekommen. (...) Seine Agentursuche musste der Punkt gewesen sein. Irgendjemand hatte Wind davon bekommen, dass er eine Frau suchte. Es genügte ja ein Hinweis. Alles andere ließ sich zusammensuchen. Deshalb ja seine Forbes-Scheu. Seine Öffentlichkeitsvermeidungsstrategien. Mit dieser Agentursuche hatte er sich aus dem Versteck gewagt. Er war sichtbar geworden. Das genügte. (...) Er hatte als Opfer begonnen. Opfer sein. Das war die erste Sprache, die er erlernt hatte. Und was hatte ihm das eingetragen. Wohin hatte ihn das gebracht. (...) Er musste warten, bis die Angst abgeflaut. Angst projizierte Kräfte nach außen. Angst kostete Ich. Sein Ich war reich geworden. Ein schwaches Ich konnte nicht reich bleiben. Und er wollte die Welt. Er wollte die Welt, ohne genannt zu werden. Das war sein Vorteil.
    Kein Wunder also, dass der Protagonist am Ende des Romans in seinem Londoner Luxus-Appartment einsam zurückbleibt. Und so führt er ein zutiefst emotions- und ereignisloses, realitätsfernes, hoch-artifizielles Pseudo-Leben, das in dem Traum gipfelt, das teuerste Werk der Gegenwartskunst zu kopieren.

    Er war frei. Er war ja nun frei. Er konnte endlich als Künstler leben. Und als Künstler. Er konnte ein Gesellenstück anfertigen. Er konnte sich das Material besorgen und "For the Love of God" nachbauen. Er konnte sich einen Totenschädel mit intakten Zähnen besorgen. Hatte Damien Hirst einen Frauenschädel oder einen Männerschädel verwendet? Wer war das gewesen, der da unter den Diamanten für 30 Millionen Pfund verschwunden war. (...) Die Skulptur musste dann "For the Love of Gold” heißen. Er musste nur die entsprechenden Swarovskisteinchen besorgen. "For the Love of Gold” durfte nichts kosten. Das war ja das Geheimnis der Räuber. Sich aus einer brutalen Geste einen Wert verschaffen.
    Dies ist nicht nur das Ende des Romans sondern auch das unserer Kultur, sagt Marlene Streeruwitz, die ihr beeindruckendes, in stakkatohaftem Rhythmus geschriebenes und somit stellenweise lyrisch anmutendes Buch als Kritik an der Führungsschicht der Zweiklassengesellschaft verstanden wissen will, die das Geld und die Macht hat, Artifizielles an die Stelle genuiner Kunst zu setzen, das Wahre gegen die Ware auszutauschen.

    "Die Kunst, wie sie in Galerien ausgestellt wird, ist ja nur rein Geld, das an der Wand hängt, das da rumsteht. Und dieser Kunst muss die Absage erteilt werden, es ist keine. Aber für jemanden mit dem Begehren dieses Mannes bedeutet die Eroberung des Geldes plus der Kunst den Gipfel dieser Männerkonstruktion, die letzten Endes aus dem 19. Jh. kommt, die sich aber auch neoliberaler Mittel bedienen kann, (...) und ich glaube, da wird das landen, wir werden die Millionäre, die uns ihre Kunstwerke, ich würde jetzt nonchalant sagen, aufs Auge drücken, die werden wir noch alle kennenlernen, bis jetzt sind es nur Sammlungen. (...) Und ich sehe, dass uns das alles kosten wird, was uns uns selber kostbar macht, und da bin ich dafür den Kampf aufzunehmen und eine Kunst zu betreiben, die (...) wieder etwas herstellt, was wir aneinander sehen können und nicht die solipsistische Einsamkeit eines Mannes unter einem Glasdach angesichts des Panoramas von London, indem er einfach beschließen kann, der Herr der Welt zu sein."

    Marlene Streeruwitz: Kreuzungen.
    Roman, S. Fischer Verlag, 251 Seiten, gebunden, 18,90 Euro