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Kritik an Martin Schulz
Koalitionsausschuss "ist keine Gaudi-Veranstaltung"

Falsche Prioritäten und taktische Spielchen: Der CSU-Wirtschaftspolitiker Peter Ramsauer hat die Absage des neuen SPD-Chefs Schulz an den Koalitionsausschuss in der kommenden Woche kritisiert. Dass er sich dem Ausschuss entziehe, bedeute, dass ihm die Regierungsverantwortung der SPD völlig egal sei.

Peter Ramsauer im Gespräch mit Christiane Kaess | 22.03.2017
    Peter Ramsauer (CSU)
    Die CSU fordert einen harten Unions-Kurs gegen SPD-Chef Schulz (imago stock&people)
    Dann müsse Schulz auch so konsequent sein und sofort aus der Großen Koalition aussteigen, forderte Ramsauer. Ähnlich hatte sich am Dienstag auch schon Unionsfraktionschef Volker Kauder von der CDU geäußert.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Für Horst Seehofer zeigt die 100-Prozent-Zustimmung für Martin Schulz auf dem SPD-Parteitag, dass die Sozialdemokratie nach vielen Jahren der Lähmung sehr motiviert und in Schwung ist. Deshalb müsse nun auch die Union an ihrer Form arbeiten. Ein Streit über den kommenden Koalitionsausschuss belebt gerade die Diskussion um den Wahlkampf. Für das geplante Treffen der Partei- und Fraktionsspitzen von CDU, CSU und SPD hat der frisch gewählte SPD-Parteichef und frisch gekürte Kanzlerkandidat überraschend abgesagt. Der Grund: Gleichzeitig findet ein Empfang der SPD-Bundestagsfraktion statt. Da geht er lieber hin und lässt noch wissen, Außenminister Sigmar Gabriel und SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann werden ihn im Koalitionsausschuss vertreten. In der Union schlagen die Wellen der Empörung darüber hoch. Dort steht man gewaltig unter Druck der Umfragen. Zuletzt überholte da die SPD die Union sogar.
    Vor ein paar Minuten habe ich mit Peter Ramsauer von der CSU gesprochen. Er ist im Bundestag Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie. – Ist die Wahlkampfstrategie der Union, jetzt Martin Schulz anzugreifen, weil er nicht zum Koalitionsausschuss kommt? Das habe ich ihn zuerst gefragt.
    Peter Ramsauer: Man spricht ein halbes Jahr vor so einer Bundestagswahl nicht über die Strategie in öffentlicher Weise. Das wäre töricht, sozusagen über die Medien die eigene Strategie darzulegen. Nein, bei diesem Koalitionsausschuss projiziert sich etwas sehr interessantes. Man muss dazu wissen, dass Koalitionsausschüsse – und ich habe selbst jahrelang einem solchen Koalitionsausschuss angehört in der ersten Großen Koalition -, dass es völlig unabdingbar ist, dass dort die Parteivorsitzenden der Koalitionsparteien teilnehmen, die Kanzlerin, die Parteivorsitzenden und die Fraktionsvorsitzenden. Das ist die dringende Voraussetzung, weil dort die wesentlichen Weichen, ganz, ganz wesentliche strategische Entscheidungen gefällt werden.
    Jetzt komme ich zum Punkt. Wenn sich jetzt Martin Schulz als neu gewählter Parteivorsitzender der SPD entzieht, dann bedeutet dies, dass ihm die Regierungsverantwortung der SPD völlig egal ist, sondern dass er sich ganz anderen Dingen zuwendet. Das heißt, es gibt eine SPD, die in der Großen Koalition Verantwortung zu tragen hat, und eine andere mit Martin Schulz, der das Ganze egal ist und nur auf den taktischen Vorteil aus ist. Wenn das die Linie des neuen Kanzlerkandidaten und SPD-Vorsitzenden ist, müsste er eigentlich konsequent sein und jetzt sofort aus der Koalition aussteigen.
    Kaess: Herr Ramsauer, so ein Koalitionsausschuss ist aber auch schon mal verschoben worden, zuletzt zum Beispiel, weil Horst Seehofer krank war. Warum kann man den nicht verlegen für Martin Schulz, wenn der einen wichtigen Termin hat?
    Ramsauer: Ich kenne diese Termine, wenn jetzt in Berlin das eine oder andere Frühlingsfest stattfindet. Mein Gott, aus eigener Praxis weiß ich, was alles andere verschoben wird, nur um die in der Regel lang vorher festgesetzten Termine eines Koalitionsausschusses einzuhalten. Das ist sozusagen in der Tagesordnung, in der Arbeitsorganisation einer Koalition das Allerheiligste, dass Koalitionsausschüsse besucht werden. Das ist keine Gaudi-Veranstaltung. Und wenn hier der kalte Rücken des Kanzlerkandidaten kommt, dann zeigt es, wie egal es ihm ist und dass er eine völlig falsche Priorität setzt.
    Kaess: Thomas Oppermann von der SPD, der hat schon davor darauf hingewiesen, dass es da zu einer Terminkollision kommt. War das Absicht von der Union, das nicht zu berücksichtigen?
    Ramsauer: Der Kollege Oppermann, der kennt exakt die Usancen. Der kennt exakt die Prioritäten. Und wenn das auf einmal anders sein soll, um Gottes willen. Das schreckt mich direkt vor dem Koalitionspartner, den wir jetzt noch sechs Monate lang haben.
    Kaess: Wenn Sie jetzt mit dem Vorwurf kommen, Schulz drücke sich vor der Verantwortung – die SPD ist doch da und Schulz ist ja auch kein Alleinherrscher in der SPD. Er wird ja vertreten durch Gabriel und Oppermann.
    Ramsauer: Es gibt in solchen Fällen kaum Vertretungen. Ich habe es ein einziges Mal erlebt. Das war 2006, als der damalige Vorsitzende Platzeck seinen Hörsturz hatte. Damals wurden aber – es ging um Gesundheitspolitik – keine wesentlichen Weichen getroffen. Wir müssen jetzt in der Koalition handlungsfähig bleiben und das ist genau die Rolle, die Angela Merkel und Horst Seehofer spielen, als Parteivorsitzende handlungsfähig zu sein, und das ist auch das, was das Markenzeichen der Union ist, Stärke zu zeigen, Deutschland als führende Nation in Europa und eine der führenden Nationen weltweit darzustellen und zu führen. Und wenn es zur Wahl kommt, werden sich die Wähler in Deutschland fragen, wem trauen wir denn das Führen des Steuers in Deutschland zu, und dann wird man die Wahl immer auf eine erfahrene, international geachtete, manchmal vielleicht sogar gefürchtete Kanzlerin setzen und nicht auf jemand, der noch keinen einzigen Tag Regierungsverantwortung hat.
    Kaess: Herr Ramsauer, das muss sich ja noch zeigen. Wie glaubwürdig kann denn die CSU genau das vertreten, was Sie jetzt gerade gesagt haben, nämlich dass sich die Wähler für die Union und damit auch für Angela Merkel entscheiden sollen, nachdem die CSU Angela Merkel in der Flüchtlingskrise über Monate hinweg unter Beschuss genommen hat?
    Ramsauer: Wenn Sie die Geschichte der Unions-Parteien, von CDU und CSU seit 1949 betrachten, hat es genau zwischen diesen Parteien immer den einen oder anderen Punkt gegeben, der unterschiedlich gewertet wurde.
    "Diese scheinbaren Widersprüche sind es ja auch, die eine Volkspartei ausmachen"
    Kaess: Aber der Punkt war wahrscheinlich noch nie auf so einem Tiefstand wie in der Flüchtlingskrise.
    Ramsauer: Es waren immer wieder beispielsweise zwischen Strauß und Kohl gewichtige Punkte, die übrigens nicht nur scharf unterschieden wurden zwischen CDU einerseits und CSU andererseits, sondern CSU-Positionen, die weit hinein in die CDU auch getragen worden sind. Und genau diese scheinbaren, ich nenne es scheinbaren Widersprüche sind es ja auch, die eine Volkspartei ausmachen, die CDU und CSU es ermöglichen, uns ganz breit abzudecken, und deswegen ist mir vor der Bundestagswahl überhaupt nicht bange.
    Kaess: Aber diese alten Geschichten, die Sie jetzt noch mal aufgegriffen haben, die werden den Wähler wahrscheinlich nicht mehr interessieren.
    Ramsauer: Sie haben mich aber danach gefragt.
    Kaess: Nein, Sie sind jetzt in der Geschichte sehr weit zurückgegangen. Ich wollte doch ein bisschen mehr in die Gegenwart zurück. – Wenn Herr Seehofer noch im Januar zu einer Forderung nach dem Rücktritt von Angela Merkel sagt, der Zeitpunkt ist noch nicht da, aber er wird kommen, wenn sich nicht bald etwas ändert, ist das der Beitrag der CSU zum Wahlkampf?
    Ramsauer: Die Dinge haben sich ja geändert. Sehen Sie sich die Zahlen einmal an.
    Kaess: Seit Januar?
    Ramsauer: Sehen Sie sich die Asylgesetzgebung an. Da ist noch einiges zu erledigen. Allerdings ist einiges natürlich auch an den Grünen gescheitert, etwa die Länder in Nordafrika, die wir zu sicheren Herkunftsländern machen wollten. Also es wird sehr, sehr klar sein, herauszuarbeiten, wer steht für was, wer steht für eine restriktive, für eine abwehrende Flüchtlingspolitik, und wer lädt ein. Das wird ganz klar herauszuarbeiten sein und da liegt die Union insgesamt eindeutig vorne und in ihren Positionen klipp und klar.
    "Der Hype von Schulz hat alle Anzeichen eines großen Strohfeuers"
    Kaess: In den Umfragen zeigt sich das nicht so genau. Und jetzt kommt kurz vor der Landtagswahl im Saarland auch noch Verkehrsminister Dobrindt von der CSU und sagt, bei der Maut wird es keine Ausnahme für Grenzregionen geben, obwohl die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer Ausnahmen von der Maut zu einem ihrer Wahlkampfthemen gemacht hat. Ist das die Hilfe jetzt im Wahlkampf?
    Ramsauer: Das sind die unterschiedlichen Positionen, bevor man in ein in diesem Fall nachgeschobenes Gesetzgebungsverfahren eintritt. Wir müssen jetzt im Bundestag erst noch mal diese Veränderungen beraten und dann kommt erst der Bundesrat. Das werden wir mal sehen. Aber die Auswirkungen auf die Landtagswahlen, da bin ich auch gespannt nach der Schulz-Nominierung. Wissen Sie, der Hype von Schulz hat alle Anzeichen eines großen Strohfeuers. Es leuchtet hell, es brennt prasselnd, es strahlt Hitze ab, es ist beeindruckend, aber es ist auch sehr, sehr schnell vorbei und am Ende bleibt eine ganze Portion Rest liegen. Wir haben noch sechs Monate bis zur Bundestagswahl, ja, Sie haben es gerade gesagt, einige Landtagswahlen bis dorthin, und gerade im Saarland macht Annegret Kramp-Karrenbauer eine exzellente Figur.
    Kaess: Aber auch gerade bei dieser Landtagswahl im Saarland sehen wir in den Umfragen, dass die SPD dort einen ordentlichen Schub durch Martin Schulz erfährt. Jetzt noch mal meine Frage: Jetzt legt Dobrindt hier sein Veto ein, was die Maut betrifft, und die Union im Saarland liegt in Umfragen nur hauchdünn vor der SPD. Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, so aufzutreten?
    Ramsauer: Es ist im Saarland nicht das einzige Thema, was gespielt wird.
    Kaess: Aber ein wichtiges!
    Ramsauer: Aber noch mal: Wir machen jetzt im Bundestag in dieser Woche den ersten Schritt mit der Anpassung der Maut-Gesetzgebung an das, was mit Brüssel jetzt verabredet worden ist, kompromissweise. Da kann es im Bundestag noch Veränderungen geben. Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingeht, hat schon Peter Struck von der SPD gesagt. Und dann kommt noch mal der Bundesrat, die Länder reden hier natürlich mit, und es ist ein komplexes Gesetzgebungsverfahren. Dass ein Minister zunächst auf seiner Position beharrt, wie das mein Kollege und Freund Alexander Dobrindt tut, das ist doch vollkommen klar.
    Kaess: … sagt Peter Ramsauer von der CSU. Er ist im Bundestag Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Ramsauer: Aber gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.