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Kritik an Regierung "im Rahmen des Erlaubten"

Die Negativschlagzeilen für Regierungskoalition hält der Politikberater Thomas Steg nicht für außergewöhnlich. Medien stellten "Politiker gerne aufs Podest, um diese Politiker später lustvoll zu demontieren und wieder vom Podest runterzustürzen".

Thomas Steg im Gespräch mit Dirk Müller | 15.06.2010
    Dirk Müller: Für viele war dieses Wochenende der Abgesang auf die Koalition in Berlin, auf jeden Fall ein medialer Abgesang, nahezu unisono, von der "Frankfurter Allgemeinen" über die "Süddeutsche Zeitung" bis hin zum "Spiegel". "Aufhören Schwarz-Gelb", "Aufhören Angela Merkel und Guido Westerwelle", dies der eindeutige Tenor. Die Koalition am Ende, oder sehen das nur die Journalisten so?

    Die Bedrohung – der Kanzlerin entgleiten in der Präsidentendebatte die Zügel – Financial Times Deutschland.

    Union mosert über Merkel – Berliner Zeitung.

    Chaostage der Koalition – die nächste Runde – und - Schwarz-Gelb versaut den Sommer – Die Tageszeitung.

    Merkel verliert Kontrolle über Koalition – Süddeutsche Zeitung.

    Koalition ruft sich selbst zur Ordnung – Die Welt.

    Geht Guttenberg? – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

    Rumpelstilzchen – CDU geht auf Guttenberg los – Bildzeitung.

    Aufhören! – Der Spiegel.

    Müller: Politik- und Kommunikationsberater Thomas Steg ist jetzt am Telefon, in der Großen Koalition unter Angela Merkel stellvertretender Regierungssprecher. Guten Morgen!

    Thomas Steg: Schönen guten Morgen.

    Müller: Herr Steg, ist diese Dimension der Einhelligkeit eine neue Dimension?

    Steg: Ich glaube, wer mal an der Regierung gewesen ist, wird sich erinnern, dass es in jeder Regierung solche Phasen gegeben hat. Ich war Regierungssprecher bei Rot-Grün; bei der Agenda 2010 hat es so etwas Ähnliches gegeben. Auch in der Großen Koalition gab es solche Phasen. Nein, es gilt: Wer dran ist, ist dran und muss mit schlechter Berichterstattung rechnen.

    Müller: Aber die jetzige Koalition ist besonders dran?

    Steg: Ja, sie ist besonders dran. Aber man darf nicht vergessen: Die Medien greifen etwas auf, was entweder aus der Koalition kommt – solche Begriffe wie Rumpelstilzchen erfindet ja niemand. Es gibt in dieser Koalition ein Maß an kommunikativer Geschwätzigkeit, Mangel an Selbstdisziplin, da quasseln alle herum. Dann darf man sich nicht wundern, wenn Medien darüber berichten. Also: Medien berichten zwar über das Wetter, aber machen nicht das Wetter, oder berichten über Staus, aber machen nicht Staus. Die Probleme liegen schon innerhalb so einer Koalition.

    Müller: Aber die Medien können treiben?

    Steg: Die Medien können treiben, natürlich, aber bei anderen Bedingungen, wenn das Wetter besser ist, wenn das Klima besser ist, dann werden Medien auch gerne benutzt zur Verstärkung von Themen. Also insofern: Man muss mit beiden Seiten leben.

    Müller: Herr Steg, Sie haben die Große Koalition hautnah miterlebt, auch die rot-grüne Koalition davor. Hat es da vergleichbare Phasen gegeben?

    Steg: In meiner Erinnerung hat es da durchaus vergleichbare Phasen gegeben und am Ende, muss man ja sagen, entscheiden nicht die Medien darüber, ob es Wechsel gibt und ob eine Regierung hält oder nicht hält, sondern das muss schon in der Politik selbst entschieden werden, oder dann bei Wahlen von den Bürgerinnen und Bürgern. Insofern würde ich auch mal davor warnen, die Bedeutung der Medien überzubewerten.

    Müller: Und damit brauchen die Medien gar kein schlechtes Gewissen zu haben?

    Steg: Na ja, ich glaube, das geht. Die Berichterstattung ist hart, ohne Frage. Sie ist hart, aber Politik ist nichts für zartbesaitete Seelchen, da wird nicht mit Wattebäuschchen geworfen. Also insofern muss man auch Ironie und Sarkasmus ertragen. Ich würde sagen, das ist noch im Rahmen des Erlaubten.

    Müller: Vergleichen wir, Herr Steg, Bonn und Berlin. Sind da die Bandagen härter geworden?

    Steg: Vielleicht sind bestimmte Dinge anders geworden. Es wird aus meiner Beobachtung vielleicht nicht mehr so gewissenhaft recherchiert und der Respekt vor bestimmten Dingen des Privatlebens hat, glaube ich, nachgelassen.

    Müller: Horst Köhler hat gesagt, der Respekt vor dem Amt. Hat der auch gefehlt bei den Medien?

    Steg: Die Medien sind eigentlich durchaus mit der Bedeutung der Institution unserer Demokratie vertraut und respektieren das auch. Ich denke, gerade ein Bundespräsident als Staatsoberhaupt kann – das zeigt die Vergangenheit – damit rechnen, dass er erst mal von Anfang an sehr positiv aufgenommen wird, wie andere Verfassungsorgane auch, aber auch da ist, wenn jemand sich politisch äußert, wie Bundespräsidenten in ihren Berliner Reden in jedem Jahr, Kritik erlaubt.

    Müller: Erzählen Sie uns aus Ihrem Alltag auch von früher. Lesen die Politiker jeden Morgen alle Zeitungen und gucken, ob sie da vorkommen?

    Steg: Es wird viel aufmerksamer gelesen, studiert und nachverfolgt, als man annimmt. In der Regel gibt es einen Schutzmechanismus. Wenn es so wie jetzt bei der schwarz-gelben Koalition besonders schwierig ist und die Berichterstattung denkbar unfreundlich ist, dann muss man nicht unbedingt lesen, dann guckt man sich die Zusammenfassung, die Pressespiegel an, lässt sich nur die Überschriften vortragen. Es ist doch menschlich verständlich, nicht jeder möchte jeden Tag schlecht beginnen, oder schon schlecht gelaunt beginnen. Aber die Politiker verfolgen sehr genau, was in den Medien passiert, bekommen das mit und schauen sich auch sehr genau die Umfrageergebnisse der Demoskopen an.

    Müller: Die Kanzlerin wird ja bereits am Sonntag den "Spiegel" auf dem Tisch gesehen haben und auch gelesen haben. Da steht dann ganz groß drauf: "Aufhören!". Trifft so etwas?

    Steg: Ich bin fast sicher, dass die Reaktion eine emotionale Reaktion ist. Wie die jetzt in diesem Fall der Kanzlerin war, weiß ich nicht, aber ich erinnere mich an Zeiten, als ich das bei Kanzlern mitbekommen habe, wenn der "Spiegel" schon sonntags vorab zu lesen war. Natürlich ist man dann nicht gleichgültig oder desinteressiert, sondern man regt sich auf, manchmal freut man sich, seltener freut man sich, manchmal ärgert man sich, und über diesen Titel wird die Kanzlerin bestimmt nicht amused gewesen sein.

    Müller: Wir hatten ja mal einen Medienkanzler, das war Gerhard Schröder. Hinterher haben die Medien sich auch in großer Einstimmigkeit gegen die SPD, gegen Gerhard Schröder gewandt. Hat ihn das getroffen?

    Steg: Da war sicherlich auch im Laufe der Zeit eine Phase der Enttäuschung dabei, auch der Distanz, des Auseinanderlebens. Da hat sich ein altes Gesetz wieder bewahrheitet: Medien stellen Politiker gerne aufs Podest, um diese Politiker später – und man weiß nur nicht genau wann – lustvoll zu demontieren und wieder vom Podest runterzustürzen.

    Müller: Herr Steg, nehmen wir mal die andere Perspektive ein, die Politikerperspektive. Benutzen Politiker Medien?

    Steg: Gelegentlich ja. Es gibt den schönen Begriff des Beziehungsspiels zwischen Politik und Medien. Medien sind auf Politik angewiesen, auf Informationen aus der Politik, und Politiker sind auf Medien angewiesen, um ihre Anliegen, ihre Position in die Öffentlichkeit zu bringen. Insofern: Es ist eigentlich ein Spiel mit vertauschten Rollen. Beide profitieren voneinander, und wenn es gut läuft, wird das auch selbstverständlich gemacht. Man regt sich übereinander auf, wenn es mal nicht so gut läuft.

    Müller: Haben die Hinterbänkler eine gute Chance, mit den Medien zu Gehör zu kommen?

    Steg: Ja. Die Hinterbänkler haben alle Chance, in die Medien zu kommen, aber nicht mit ihren Namen, sondern sozusagen als Quelle, als Kreise, als gut informierte Kreise. Das ist ein großes Problem, dass viele zu viele schwätzen, reden und mit Journalisten quatschen und Informationen weitergeben aus internen Sitzungen und Besprechungen. Dadurch kann man zwar sagen, wir wollen jetzt endlich mal in Ruhe regieren, aber die Ruhe stellt sich nicht ein, weil es immer noch Unruhe in den eigenen Reihen gibt.

    Müller: Muss Guido Westerwelle die "Süddeutsche" lesen, um zu erfahren, dass es an der Parteibasis nicht mehr so gut steht um ihn?

    Steg: Wenn er nur auf Medien angewiesen wäre, wäre es ein schlimmes Zeichen. Er ist immerhin Parteivorsitzender und die Fähigkeit und die Erwartung an so einen Politiker muss doch sein, dass er ein Gespür dafür entwickelt, was in der Bevölkerung sich entwickelt und was in der eigenen Partei sich entwickelt. Wer da auf die Medien angewiesen ist, der hat sich sozusagen verselbständigt, ist abgehoben und schwebt irgendwo in fernen Sphären.

    Müller: Kennen Sie führende Politiker, die beratungsresistent sind?

    Steg: Ich habe in meiner Zeit keinen Politiker kennengelernt, der nicht das Gespräch sucht, der nicht die Beratung sucht, aber ich habe genauso erlebt, dass gerade unter Druck in Krisen sich Spitzenpolitiker abkapseln und einsamere Entscheidungen treffen, weil das Vertrauen in andere abnimmt und das Misstrauen zunimmt.

    Müller: Damit bekommt der betroffene Politiker doch nicht alles mit?

    Steg: Die Sichtweise wird einseitiger. Die Probleme nehmen zu und eigentlich ist das eine Situation, in der man sich umfassend informieren muss und mit vielen Leuten reden muss, sich mit vielen Menschen besprechen muss. Der Mechanismus ist aber ein anderer: Man zieht sich eher zurück und igelt sich ein.

    Müller: Worin bestand der Unterschied zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder gerade in dieser Frage?

    Steg: Angela Merkel hat sicherlich in der Großen Koalition eine besondere Situation gehabt, keine starke Opposition, weil die beiden großen Volksparteien miteinander regiert haben. Sie wirkte als Präsidialkanzlerin und sie hat von vielen Seiten Anregungen aufgenommen und wirkte deswegen integrierend und es schien so, als ob ihre Entscheidungen so fielen, dass jedes Risiko ausgeschlossen war. Jetzt ist sie in ihrer neuen Regierung mit der FDP und der CSU wieder wahrnehmbar zur Lager- und Parteikanzlerin geworden. Sie polarisiert stärker und integriert weniger. Insofern hat man den Eindruck, dass es da ein bisschen an Beratung und an Wahrnehmung fehlt für das, was früher berücksichtigt worden ist.

    Müller: Jetzt haben wir Gerhard Schröder nicht thematisiert, aber wir sind leider am Ende unserer Gesprächszeit. – Vielen Dank, Thomas Steg, früher Vize-Regierungssprecher, inzwischen Politik- und Kommunikationsberater. Vielen Dank!

    Steg: Bitte.