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Kritik an Ungarns neuem Kirchengesetz

Die Islamische Gemeinde, die Buddhisten, Hinduisten: Das Parlament unter Kontrolle der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban hat ihnen allen den Status der Religionsgemeinschaft genommen. Kritiker sagen: Die Politik bestimme nun, was wahrer Glaube sei.

Von Andreas Meyer-Feist | 19.08.2011
    Das Abstimmungsergebnis war eindeutig: 254 Ja-Stimmen für das neue Kirchengesetz, 44 Stimmen dagegen, verkündete der amtierende Parlamentspräsident. Kein Wunder angesichts der Zwei-Drittel-Mehrheit, auf die sich Regierungschef Orban stützen kann. In Zukunft soll das Parlament bestimmen, was eine "echte" Kirche ist, was eine "spirituelle Gemeinschaft zweiter Ordnung" oder welche Organisation als irrelevante Sekte ganz aus der Liste fliegt. Eine Dreiteilung, die zu Protesten führt: 15 ungarische Intellektuelle haben in einem offenen Brief an den Europarat und die EU-Kommission gegen das neue Kirchenrecht protestiert. Der Staat verstoße gegen die Leitprinzipien der Religionsfreiheit.

    Tatsächlich haben mit einem Schlag fast einhundert Glaubensgemeinschaften ihren Status als offiziell anerkannte Kirchen mit allen Privilegien verloren. Nur 14 werden noch als "Kirchen" anerkannt und dürfen sich weiter über Steuerbefreiungen und staatliche Finanzhilfen freuen. Manche sind erst jetzt in die Liste aufgenommen worden, wie die "Gemeinschaft Glauben", die bisher als Sekte abgetan wurde und nun als Kirche gilt.

    "Auch die Kirchen müssen eben erkennen, dass sie in einer Zeit leben, in der sie konkurrieren müssen, sagt Sandor Nemet, der Vorsitzende der "Gemeinschaft Glauben". "Auch für die Glaubenstätigkeit gibt es Normen, die man bewerten und über die man entscheiden kann."

    Unangefochten in Ungarn die katholische Kirche und die traditionell gut verankerten Calvinisten, denen man noch immer ihren historischen Widerstand gegen die österreichischen Habsburger dankt. Andere sind aus der Liste der offiziellen Kirchen rausgeflogen, etwa die Methodisten, die Islamische Gemeinde in Ungarn, Buddhisten und Hinduisten. Wenn sie wieder als Kirche anerkannt werden wollen, müssen sie einen Antrag im Parlament stellen. Die Abgeordneten entscheiden mit Zweidrittelmehrheit.

    "Es hängt von der jeweiligen Laune der Parteien ab, ob eine Konfession zur Kirche wird oder nicht", kritisiert der sozialdemokratische Abgeordnete Istvan Njako, "die Politik wird bestimmen, was wahrer Glaube ist. Das ist tragisch und das gibt es nirgendwo auf der Welt!"

    Orbans Koalitionspartner, die Christdemokraten, sehen das ganz anders. Sie haben sich für katholische Kirche stark gemacht. Ein Bestandteil der staatlichen Ordnung, der besondere Aufmerksamkeit verdiene.

    "Der Staat sichert den Kirchen aus diesem Grund bestimmte Finanzhilfen und Vergünstigungen zu", sagt der Chef der Christdemokraten, Zsolt Semjen, "ganz einfach, weil die Geschichte gezeigt hat, dass diese Kirchen dem Wohl der Nation dienen und eine stabile gesellschaftliche Unterstützung haben."

    Aber nicht nur die katholische Kirche darf sich freuen: auch die jüdische Gemeinde wurde als förderungswürdige Kirche anerkannt. Ihr Vorsitzender Balin Nograd sieht dann auch keine Nachteile durch das neue ungarische Kirchenrecht: "Damit wurde die Stellung und Rolle des Judentums unter den ungarischen Kirchen wieder hergestellt."

    14 Glaubensgemeinschaften bleiben offizielle Kirchen. Dazu zählen auch Organisationen, die bisher als Sekte gehandelt wurden, bis hin zum Vorwurf, sie würden ihre Anhänger einer Gehirnwäsche unterziehen:

    "Das ist eindeutig positiv, dass wir mit in die Reihe der historischen Kirchen aufgenommen wurden.", freut sich Patrik Szabo von der "Gemeinschaft Glauben", die in Ungarn mehr Zulauf hat als die katholische Kirche. "Es gab Jahrzehnte der Unsicherheit und Irritation in der Gesellschaft. Da ist unsere Anerkennung als Kirche äußerst positiv."

    Aber was machen die anderen Glaubensgemeinschaften? Sie können sich um die Aufnahme in die Topliga der ungarischen Kirchen im Parlament bewerben – mit allen Förderungen, die damit verbunden sind. Klappt das nicht, dann können sie noch als Glaubensgemeinschaften ohne steuerliche Vorteile anerkannt werden. Oder sie gehen ganz leer aus.