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Kritik an US-Präsident Trump
"Man wird für die Handlungsfähigkeit Europas auch Zugeständnisse machen müssen"

Der langjährige Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Karsten Voigt, hat die teils herbe Kritik aus Berlin an US-Präsident Trump kritisiert. Voigt sagte im Deutschlandfunk, dies sei "Ausdruck einer Befindlichkeit", aber es fehle noch immer ein Konzept im Umgang mit "einem schwierigen Partner". Die Forderung der Kanzlerin, im Gegenzug Europa zu stärken, sei überfällig. Trump habe dafür nur den Anlass gegeben.

Karsten Voigt im Gespräch mit Martin Zagatta | 30.05.2017
    Karsten Voigt.
    Karsten Voigt. (imago/Wolf P. Prange)
    Martin Zagatta: Ein skrupelloser Politiker schafft es bis ins Weiße Haus und treibt dort sein Unwesen. Ab heute wird die von vielen mit Spannung erwartete fünfte Staffel der amerikanischen Kultserie "House of Cards" ausgestrahlt. Aber die Wirklichkeit – so wird in den USA schon lange gewitzelt, Donald Trump übertreffe das noch alles –, diese Einsicht scheint sich jetzt auch in Deutschland durchzusetzen, wenn man die Töne der vergangenen Tage hört. Angela Merkel ist vorgeprescht und die SPD versucht nun, die Zweifel der Kanzlerin, die Kritik an den USA offenbar noch zu übertreffen.
    Mitgehört hat der SPD-Politiker Karsten Voigt, der lange Jahre Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit war. Guten Tag, Herr Voigt.
    Karsten Voigt: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Voigt, Trump einmal so richtig die Meinung zu geigen, so wie die deutsche Politik das jetzt macht, ist das der richtige Weg?
    Voigt: Das ist erst mal Ausdruck einer Befindlichkeit. Es ist noch kein Konzept, und was wir brauchen sind natürlich Konzepte und die Umsetzung von Konzepten.
    Partner und Widerpart
    Zagatta: Hat es Sie denn überrascht, dass ausgerechnet Angela Merkel, die sonst so zurückhaltend agiert, die als diplomatisch gilt, dass die solche Töne anschlägt und die Verlässlichkeit der USA in Frage stellt?
    Voigt: Mein Eindruck ist, dass viele in Berlin, aber auch die Kanzlerin überrascht waren von der Wahl von Trump und dass sie jetzt noch mal überrascht sind, dass Trump alle seine Wahlkampfaussagen nicht einsammelt, sondern bei allen taktischen Veränderungen im Detail bleibt er sich als rechter Populist und als Nationalist treu, und insofern wird er für die nächsten vier Jahre – und ich halte es auch für falsch, auf ein Impeachment (Anm. d. Red.: Amtsenthebungsverfahren) zu setzen – ein schwieriger Partner, aber gleichzeitig ein Widerpart sein, Partner und Widerpart zugleich, und darauf muss man sich einstellen. Und dass man jetzt sagt, man müsse Europa stärken, das kann nur der Anlass sein, denn man hätte das schon lange tun sollen. Aber es ist natürlich jetzt umso dringender.
    Wahl von Macron eine Chance
    Zagatta: Kann man denn Trump ernsthaft vorwerfen, dass er bei seinen Wahlkampfversprechen bleibt, dass er die umsetzt?
    Voigt: Ich werfe ihm das nicht vor. Ich bin ja nicht dafür da, als Oberlehrer ihm gegenüber zu gelten, sondern ich stelle das in mein Kalkül ein und Berliner und europäische Politiker müssen das auch in ihr Kalkül einstellen. Sie müssen damit rechnen, dass für uns Amerika nach wie vor der wichtigste Partner außerhalb der Europäischen Union bleibt, aber dass er bei Fragen nicht nur des Klimawandels, sondern bei der Frage des regelbasierten und werteorientierten Internationalismus oder Multilateralismus, dass er dort ein Widerpart bleibt.
    Ich habe immer als mein Motto gehabt, wenn ich nach Washington fuhr, dass ich nicht gelobt werden will, weil ich Ja sage, sondern dass ich mit meinem Ja oder Nein respektiert werden will, weil ich für ihre Entscheidung eine Rolle spiele. Das kann man nicht als Deutscher allein, da muss man Europa insgesamt handlungsfähig machen, und das ist in den letzten Jahren zu wenig geschehen, und das müsste jetzt geschehen, und die Wahl von Macron ist dafür auch eine Chance.
    Zagatta: Bevor wir gleich darauf blicken, was das konkret bedeuten würde, doch noch die Frage: Wenn der SPD-Chef Martin Schulz jetzt Merkel in ihrer Kritik fast noch übertrifft und sagt, es sei das Gebot der Stunde, sich diesem Mann – gemeint ist Trump – mit allem, was wir vertreten, in den Weg zu stellen. Teilen Sie das?
    Voigt: Das ist immer eine Frage, wie man das definiert. Es bleibt ja – das hat ja auch Gabriel gesagt – der Tatbestand, dass die USA für uns der wichtigste Partner außerhalb der Europäischen Union sind. Aber gleichzeitig muss man sich bei den Themen, bei denen Trump unsere Werteorientierung in Frage stellt, wo er sich mit Autoritären wie in Saudi-Arabien besser versteht als mit den Demokraten in Europa, da muss man sich natürlich ihm entgegenstellen. Wie gesagt, Partner und Widerpart.
    Deutsche Vorstellungen in Frage stellen
    Zagatta: Aber Sie kennen das ja aus langen Jahren Ihrer Erfahrung. Wie kommt denn so eine Kritik, so eine herbe Kritik in den USA an? Viele Menschen haben ihn gewählt und die meisten seiner Anhänger stehen nach wie vor hinter Trump.
    Voigt: Die USA sind tief gespalten und es gibt wichtige Leute in den USA, die sagen, die Angela Merkel, der Gabriel, die sagen das, was wir auch denken. Aber es ändert ja nichts daran, dass Trump jetzt die Regierung stellt. Und ich muss darüber hinaus sagen: Trump verkörpert etwas, was nicht unbedingt die Mehrheit der Amerikaner repräsentiert, und es kann auch sein, dass mal andere Präsidenten gewählt werden, die uns näherstehen. Aber dieser rechte Populismus und dieser rechte Nationalismus, den er verkörpert, und diese Ablehnung von UNO, von EU, das ist eine Strömung in den USA, die es schon vorher gegeben hat und die es auch längerfristig bei der Republikanischen Partei geben wird. Die Republikanische Partei hat sich in ihrem Charakter verändert. Denken Sie nur an Sarah Palin, lange vergessen, aber im Kern hat sie ähnliche Vorstellungen vertreten wie der Trump heute auch.
    Zagatta: Ist es dann der richtige Weg, da auch mal ganz deutlich klare Worte zu sprechen und zu sagen, dass man das auch als deutscher Regierungschef, als Kanzlerkandidat, dass man das nicht gut findet, in aller Deutlichkeit?
    Voigt: Ehrlich gesagt, ich bin nicht für die Worte zuständig, sondern ich appelliere, dass man Taten folgen lässt. Und die Taten, die erforderlich sind, dass man Europa stärkt. Dazu gehört, dass man bereit ist, dafür auch deutsche Vorstellungen in Frage zu stellen auf europäischer Ebene, und das wird auch tatsächlich etwas kosten. Das ist völlig richtig. Man wird für die Handlungsfähigkeit Europas auch Zugeständnisse machen müssen. Das andere ist unrealistisch.
    Verteidigungsausgaben in Europa ineffizient
    Zagatta: Herr Voigt, ich hoffe, die Telefonleitung hält noch. Die klingt nämlich doch etwas knitterig. Aber trotzdem die Frage: Wenn Sie jetzt sagen, das wird einiges kosten – die Deutschen müssen sich ja auch überlegen, in der Verteidigung zusammenzurücken in Europa. Das ist auch geplant, da will man auf eine europäische Verteidigung setzen. Das wird ja teuer. Wie passt das zusammen, wenn man gleichzeitig dann auch sagt, zumindest von Seiten Ihrer Partei, zwei Prozent für die Verteidigung auszugeben, was Trump fordert, das kommt für uns überhaupt nicht in Frage?
    Voigt: Ehrlich gesagt, wir geben das Geld in Europa ineffizient aus. Wenn man die verteidigungspolitischen Ausgaben der verschiedenen Staaten zusammenrechnet, dann ist das eine sehr große Zahl, aber was rauskommt ist sehr wenig. Das heißt, die Effizienz muss gestärkt werden.
    Wenn man überlegt, was man für Sicherheit ausgibt, dann darf man ja auch nicht nur die Frage der militärischen Ausgaben sehen. Dann muss man sehen die Entwicklungspolitik, dann muss man sehen die Stabilisierung der Länder in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten. Das sind letzten Endes auch sicherheitspolitische Ausgaben. Aber die europäische Verteidigung setzt voraus, dass man nationale Vorstellungen und Entscheidungsfreiheit zum Teil auch preisgeben wird, und das sehe ich nicht nur als sehr schwierig an durchzusetzen bei den Franzosen, sondern auch bei einigen Punkten bei den Deutschen. Wir müssen zum Beispiel uns darauf einstellen, wenn wir in multilateralen Verbänden wie bei AWACS deutsche Soldaten haben, dass wir die nicht immer einfach national zurückziehen können, wenn der Einsatz fortgesetzt werden soll. Europäisierung bedeutet immer auch nicht nur, dass andere gebunden werden, sondern dass auch Deutschland in seinen Vorstellungen gebunden wird.
    Zagatta: Herr Voigt, ich hätte Sie gerne noch gefragt, für wie realistisch Sie das dann auch halten, dass sich das umsetzen lässt, aber angesichts der schlechten Telefonleitung belassen wir es dabei. Sie haben ja einiges dazu gesagt. Herzlichen Dank für das Gespräch! – Das war der SPD-Politiker Karsten Voigt, der langjährige Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.