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Kritik der Psychoanalyse

Die Geschichte einer Wissenschaft ist immer auch die Geschichte ihrer Irrtümer. Im Sommer 1904, als man von den Mechanismen der Übertragung und vor allem von der Gegenübertragung des Analytikers noch nicht viel wusste, begibt sich in Zürich eine junge Russin aus jüdischer Familie, Sabina Spielrein, in Behandlung bei dem Nervenarzt Carl Gustav Jung, der mit der psychoanalytischen "Methode" experimentiert.

Autor: Christian Gampert | 24.03.2005
    Spielrein, von ihrem zwanghaft strengen Vater sexuell missbraucht und traumatisiert, wird zu dieser Zeit von psychotischen Schüben heimgesucht, sie tobt und schreit; durch die Therapie bei Jung stellt sich eine wundersame Besserung ein. Aber noch in der Therapie wird sie Jungs Geliebte - von heute aus gesehen ein unverzeihlicher Kunstfehler, der die Patientin dann in lang dauernde Konflikte und Krisen stürzte. Denn Spielrein wiederholte in der Beziehung zu Jung quasi ihre masochistische Abhängigkeit von der Vaterfigur, ohne sie durcharbeiten zu können - der angebliche Therapeut war ja ihr tatsächlicher Sexualpartner, der sie dann schmählich im Stich ließ.

    Der englische Dramatiker Christopher Hampton hat diese Konstellation für ein Theaterstück genutzt, in dem auch Sigmund Freud selbst eine Hauptrolle spielt - als Förderer C.G. Jungs, den er als seinen Kronprinzen sieht, und zunächst auch als Verharmloser der Grenzüberschreitung in der Behandlung. Dann aber, als Sabina Spielrein sich per Brief an ihn wendet, sieht Freud die fatalen Konsequenzen mangelnder ärztlicher Zurückhaltung, kann sich aber nicht entschließen, Spielrein bei sich in Behandlung zu nehmen. Spielrein muss sich also selbst kurieren, aber sie bleibt der Analyse treu: sie studiert Medizin und wird eine wichtige Kindertherapeutin. Während des zweiten Weltkriegs wird sie dann - als Jüdin - von deutschen Truppen in Russland umgebracht.

    Für den Dramatiker stellt sich die Gretchen-Frage: Dokumentarisches Drama oder theaterwirksame Pointen? Lautere Wahrheit oder effektvoll zugeschnittene Charaktere? Christopher Hampton, ein ziemlich überschätzter Autor fürs gehobene Boulevard, nimmt von allem ein bisschen. Er bietet einen wirren Mix aus Dokumentation und Kolportage, zitiert zum Teil wörtlich aus den Briefen von Jung, Spielrein und Freud und pinselt nebenbei das bigotte Familienleben des C.G. Jung aus, mit einer dauerschwangeren Glucke als Ehefrau. Vor allem aber führt er Freud und Jung als eitle Wissenschaftsgecken und Konkurrenten vor, die ermüdende Herrengespräche führen.

    Will man Sigmund Freud wirklich als Bühnenfigur sehen? Eigentlich nicht. Freud, eine der komplexesten Gestalten der neueren Wissenschaftsgeschichte, ist bei Hampton ein skurriler Greis mit Blasenschwäche, dem es nur um seine Allmacht zu tun ist. Um das Niveau kurz festzuhalten: ein Hampton-Stück über Jürgen Habermas würde diesen wahrscheinlich auf seinen Sprachfehler reduzieren, und Karl Marx wäre in dieser Logik ein mädchengeiler Rauschebart.

    Prompt inszeniert Christina Paulhofer die Freud-Figur als Mischung aus impotentem Gottvater (auf dem Video-Screen) und Opa mit Häkeldeckchen. Eine billige Art von Vatermord, schauspielerisch exekutiert von dem sich selbst nicht recht trauenden Peter Fitz. C.G. Jung, ein Mann zwischen dem Wunsch nach freiem Sex und dem sicheren Ehehafen, wird von Martin Feifel schon etwas glaubhafter als ehrgeiziger Schwächling und schwitzender Mysteriensucher gegeben, seine Ehefrau von der Regie erotisch etwas aufgewertet. Schließlich gibt es noch den drogenabhängigen Libertin Otto Gross, die Dandy-hafte Gegenfigur zu den Wissenschaftsspießern - und eben Sabina Spielrein.

    Auch hier stellt sich das Problem: eine kämpferische feministische Vereinnahmung dieser erstaunlichen Frau scheint inszenatorisch genauso falsch und versimpelnd wie ihre Stilisierung zur Märtyrerin. Die famose Maja Schöne spielt anfangs das wilde Mädchen, das mit einem Zungen-Tick in der Zwangsjacke des Patriarchats steckt und die Erniedrigung sogar sucht - und den Sex. Langsam befreit sie sich aus der Abhängigkeit von C.G. Jung, und wenngleich die Schauspielerin im psychotischen Stadium, als Psychiatriepatientin ziemlich dick aufträgt, so ist doch die Entwicklung der Sabina Spielrein zur selbstbewussten Frau, zur Wissenschaftlerin dann ganz langsam und fein gezeichnet.

    Die Herren Freud und Jung aber machen in Zürich Konversationstheater. Dazwischen furchtbar ungelenke Bettszenen, rhythmische Gymnastik wie auf dem Monte Verità (allerdings zu Beatles-Melodien), Video-Spots und gitarristische Einlagen. Der Versuch von Christina Paulhofer, ein Sittenbild des frühen 20.Jahrhunderts zu zeichnen, macht Hamptons Stück leider nicht besser. Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die lange dauert, sind zu viele Längen auf dem Theater tödlich. So auch hier.