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Kritik
Die besten 7 im Monat Februar

Die Angst vor Fremdem, der Alltag mit einer kranken Mutter oder häusliche Gewalt und die Perspektivlosigkeit der Jugend nach der Wende im Osten: Im Februar stehen anspruchsvolle Bücher für junge Leserinnen und Leser auf dem Programm.

Caroline Roeder im Gespräch mit Ute Wegmann | 02.02.2019
    Cover der besten 7 im Monat Februar 2019
    Die besten 7 im Monat Februar (Buchcover Tullipan / NordSüd / Susanna Rieder / avant / Ullstein / Jungbrunnen / Oetinger)
    Ich und meine Angst
    Von Francesca Sanna
    Aus dem Englischen von Thomas Bodmer
    NordSüd Verlag, Zürich, 40 Seiten, 16 Euro
    ab 4
    Ein kleines Mädchen erzählt von seinem Geheimnis, seiner Angst. Wie ein winziges weißes Tierchen war sie immer da, warnte sie aber auch vor Gefahren. Seitdem die Familie in ein fremdes Land gezogen ist, wird das Angstwesen immer größer, hält das Kind vom Spielen ab, nimmt ihm Mut und Selbstvertrauen. Bis das Mädchen einen Jungen kennenlernt, und er ihr von seinem Geheimnis erzählt. Starke Bilder für die Angst in einem eindringlichen Bilderbuch.
    Meine Mutter, die Fee
    Von Nikola Huppertz und Tobias Krejtschi (Illustration)
    Tulipan Verlag, München, 36 Seiten, 15 Euro
    ab 4
    Manchmal spielt die Mutter wunderschöne Melodien auf der Querflöte, liest Abendgedichte und zeigt Fridi Kunstwerke. Manchmal will sie nicht aufstehen oder sich nicht anziehen, liegt einfach nur so rum. Die anderen sagen, Fridis Mutter sei verrückt. Der Vater sagt, die Mutter sei eine Fee in der Menschenwelt. Erst ganz langsam beginnt das kleine Mädchen die Krankheit der Mutter zu verstehen. Ein Bilderbuch über einen Familienalltag, der geprägt ist von einer schweren Krankheit. Behutsam in Bilder gesetzt.
    Bucheckern, Bernstein, Brausepulver. Die Danziger Kindheit von Günter Grass
    Von Elżbieta Palasz und Joanna Czaplewska und Katja Widelska (Illustration)
    Aus dem Polnischen von Thomas Weiler
    Susanna Rieder Verlag, München, 48 Seiten, 18 Euro
    ab 12
    Aspekte der Kindheit des Literaturnobelpreisträgers in einem textreichen Bilderbuch. "Bucheckern, Bernstein, Brausepulver" – eine Zeile aus einem Ostseegedicht gibt den Titel. In drei Geschichten, angesiedelt in den Jahren 1934, 1938 und 1939 folgt man dem anfangs siebenjährigen Grass in die Welt des väterlichen Kolonialwarenladens und in seine Kinderwelt, erlebt dann das Aufkommen des Nationalsozialismus und die Rassendiskussionen unter Hitler und begegnet sogar einem Jungen mit einer Blechtrommel, der eine der bekanntesten Romanfiguren wird. Bebildert sind die schnörkellosen, anspruchsvollen Erzählungen mit ganzseitigen Collagen, die sich historischer Bilder und realer Porträtfotos bedienen. Ein Bilderbuch für große Kinder!
    Drei Wege
    Von Julia Zejn
    avant-verlag, Berlin, 184 Seiten, 25 Euro
    ab 13
    Drei Frauenleben in Deutschland. Ida lebt 1918 als Dienstmädchen bei einer Ärztefamilie in Berlin. Marlies, ein Mädchen aus der Berliner Arbeiterklasse, arbeitet 1968 in einem Café, würde gerne eine Ausbildung zur Buchhändlerin machen. Dann lernt sie einen jungen Literaturstudenten kennen, der sich politisch engagiert. Selin hat gerade 2018 ihr Abitur geschafft. Während die Freunde große Pläne für ihre Zukunft schmieden, lässt sich Selin ziellos treiben. Drei Frauenleben werden in diesem Comic spannend verknüpft, der gleichzeitig das Zeitdokument eines ganzen Jahrhunderts ist. Ein Blick auf Rechte und Pflichten unserer Urgroßmütter, Großmütter und das Leben heute.
    Passiert es heute? Passiert es jetzt?
    Von Michèle Minelli
    Verlag Jungbrunnen, Wien, 173 Seiten, 17 Euro
    ab 13
    Geschlossene Jugendpsychiatrie. Wohngruppe. Therapiegespräche. Was ist mit Wolfgang geschehen? In Gesprächen mit dem Psychologen entsteht langsam das Bild einer Familie, die vom tyrannischen Vater völlig beherrscht wird. Die Geschichte eines Jungen, der versuchte, seine Mutter und seine jüngere Schwester zu schützen. Ein Roman über Wortlosigkeit und Leidensdruck und den einen Augenblick, der das Leben verändert.
    Tankstellenchips
    Ein Heldenepos
    Von Antonia Michaelis
    Oetinger Verlag, Hamburg, 368 Seiten, 18 Euro
    ab 14
    Eine Road Novel über sehr viele Kühe und zwei ungleiche Helden: Ein Student aus dem Iran, seit zwei Monaten in Deutschland, und ein Junge, aus dem Heim abgehauen, auf der Suche nach einem Freund. Beide werden Zeugen eines Überfalls. Von nun an verfolgt von Verbrechern und Polizei fliehen sie quer durch Deutschland: über Erdbeerfelder, durch Biergärten, mit der Bahn und auf dem Moped. Immer wieder werden sie dabei von Kühen umzingelt, das scheint ihr Schicksal zu sein. Eine Deutschlandreise aus Sicht eines Flüchtlings. Klug, skurril und komisch!
    Mit der Faust in die Welt schlagen
    Von Lukas Rietzschel
    Ullstein Verlag, Berlin, 320 Seiten, 20 Euro
    ab 14
    Zwei Brüder in der sächsischen Provinz. Der Hausbau der Eltern scheint der Aufbruch in ein neues Leben zu sein. Aber der Alltag zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt die Angst vor dem Verlust der Heimat, markiert Standpunkte und Äußerungen gegen das Fremde. Die Perspektivlosigkeit bedroht Philipp und Tobias zunehmend. Als es zu Aufmärschen in Dresden kommt und auch ihr Heimatort Flüchtlinge aufnehmen soll, eskaliert die Situation. Während sich der eine Bruder zurückzieht, sucht der andere ein Ventil für seine Wut. Ein Roman über die Zerrissenheit einer Generation.