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Kritiker Schnelle: Film über Ai Weiwei ist "ein spannendes Dokument"

Eigentlich wollte Regisseurin Alison Klayman "nur" einen Film über das Erdbeben im chinesischen Sichuan 1998 drehen. Während der Produktion traf sie den Dissidenten und Künstler Ai Weiwei - am Ende kam ein intensives Porträt heraus. Josef Schnelle hat "Never Sorry" gesehen.

Michael Köhler sprach mit Filmkritiker Josef Schnelle | 12.06.2012
    Michael Köhler: "Never Sorry", so heißt der Dokumentarfilm über den 55-jährigen chinesischen Künstler und Aktivisten Ai Weiwei von Alison Klayman. Im Zuge des Erdbebens in Sichuan 2008 und der vielen Tausend Opfer machte er die Weltöffentlichkeit auf mangelhafte Bausicherheit aufmerksam und hatte im Münchner Haus der Kunst bald eine große Installation dazu. All dies machte ihn bei uns dann sehr bekannt. Die Regisseurin Alison Klayman über Ai Weiwei und ihren Film "Never Sorry":

    O-Ton Alison Klayman: "Er hat so viele interessante Werke geschaffen und man könnte über jedes einzelne einen Film drehen. In "Never Sorry" habe ich mich aber etwas auf Projekte konzentriert, die mit dem Erdbeben zu tun haben. Sie vermitteln seine Sicht besonders gut, vor allem die Ereignisse in den letzten Jahren und die verschiedenen Herangehensweisen, mit denen er seine Idee von Menschenwürde, Transparenz und Individualität formuliert."

    Köhler: ... , sagt Regisseurin Alison Klayman über Ai Weiwei in ihrem Film "Never sorry". Immer wieder kamen Bilder von Zensur und Drangsalierungen, denen Ai Weiwei ausgesetzt ist, an die Öffentlichkeit, weil er Handy-Bilder davon selber machte und via Internet veröffentlichte. Ich habe meinen Kollegen Josef Schnelle gefragt: Ist "Never Sorry" also ein typischer Genrefilm, ein Künstlerfilm, oder eine Dissidentengeschichte?

    Josef Schnelle: Es ist beides. Der ist ja per Zufall entstanden. Die Regisseurin wollte eigentlich einen Film drehen über das Erdbeben und dabei ist sie in Kontakt gekommen zu ihm. Er hat ja dann die Missstände bei der Berichterstattung und der Versorgung der Menschen dann aufgedeckt, Ai Weiwei, und dann hat sie zu ihm so Vertrauen gefasst, dass sie dann doch einen Film über ihn gemacht hat. Dieser Film umfasst die Periode von diesem Erdbeben bis zu seiner Verhaftung. Sie hat dann auch erst mal "Glück" gehabt, dass die Dinge sich da immer mehr zuspitzten, und insofern ist das ein politisches Dokument geworden, aber sie versäumt es auch nicht, den künstlerischen Versuchen und Qualitäten nachzuspüren. Das ist ja nicht leicht bei Ai Weiwei, weil er ja so ein Konzeptkünstler ist. Das ist ja mehr so ein bisschen wie bei Beuys, also die Kunst liegt in dem Entstehen der Dinge, nicht in dem, was dann am Schluss dasteht.

    Köhler: Sind in dem Film also auch Dokumente von Verhaftungen zu sehen? Also der politische Ai Weiwei, steht der im Vordergrund?

    Schnelle: Na ja, den kann man nicht rauslassen. Es gibt zum Beispiel eine Szene, die möchte ich mal kurz einspielen, die ist chinesisch, ich übersetze die dann.

    O-Ton Film:

    Schnelle: Er ist da im Restaurant und es sammeln sich dort immer mehr Leute und es wird klar, dass allein das Zuschauen beim Essen ein Akt des Widerstands ist. Und dann tauchen Polizisten auf und fragen ihn, "Wann gehen Sie denn wieder?", und er sagt, "Wenn ich mit dem Essen fertig bin". - "Wann sind Sie denn mit dem Essen fertig?" – "Das wissen wir noch nicht, wenn ich mit dem Essen fertig bin." Also, das sind so einerseits gespenstische Szenen, es sind dann nachher fünf oder sechs Polizisten um ihn herum, die ihn auch aufnehmen und erkennbar ratlos sind. Es hat auch was Komisches, wie wahrscheinlich jede Diktatur auch was Komisches hat.

    Köhler: Seine Kunst und sein Lebenswerk sind ja Zeugnis auch von Verletzung von Menschenrechten. Sein einjähriger Hausarrest soll in zehn Tagen enden. Dann soll er, wenn es gut geht, eine Professur in Berlin an der Universität der Künste annehmen. Wird der poetische Ai Weiwei – ich habe vor über sechs Jahren zum ersten Mal Sachen von ihm gesehen – eigentlich auch in dem Film ersichtlich, der Fotokünstler, der Aktionskünstler, der Lyriker?

    Schnelle: Sie beobachtet ihn auch bei der Arbeit und meine Lieblingsszene ist die, die wir jetzt einspielen. Es ist nämlich die Beobachtung einer Katze. Es geht darum, dass er eine Katze kennengelernt hat, die eine Tür aufmachen kann.

    O-Ton Film:

    Schnelle: "Wenn ich diese Katze nicht getroffen hätte, wüsste ich nicht, dass Katzen Türen aufmachen können. Der Unterschied zwischen Mensch und Katze ist aber, dass Katzen die Tür zwar öffnen können, sie aber nie hinter sich zumachen." – Also ich finde, in dieser Beschreibung – er beobachtet einfach eine Katze, die spielt mit Hölzchen, und dann macht sie die Tür auf und so, das haben wir ja gerade gehört -, allein dieser poetisch-analytische Blick, das ist, glaube ich, das, was den Künstler Ai Weiwei ausmacht.

    Köhler: Ist dieser Film eine Auflistung von Kunstwerken, von politischen Zensurmaßnahmen, wie der Schließung seines Ateliers in Schanghai etwa, oder findet er für das, was Sie jetzt beschrieben haben, auch eine adäquate Filmsprache? Hat er Sie sozusagen ästhetisch auch befriedigt?

    Schnelle: Na ja, es ist ein relativ normaler Film. Sie schwankt da zwischen Künstlerporträt und politischer Dokumentation, das ist ja logisch bei dem Gegenstand, und ich sage mal, das ist kein Film, der die Filmkunst revolutionieren wird, aber ein spannendes Dokument, und der Verleih hat deswegen den Start des Films eine Woche vorgezogen, weil in der nächsten Woche ja er seinen Pass zurückbekommt und insofern kann man sich in dieser Woche noch mal mit ihm beschäftigen.

    Köhler: ... , sagt Josef Schnelle über "Never sorry", den Film über Ai Weiwei von Alison Klayman.