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Kritikergespräch
Auf der Suche nach Sicherheit und Glück

Eine Flucht von Südkorea nach Japan und ein Mann, verloren in der ostdeutschen Provinz. Zwei, die vor ihrer Vergangenheit flüchten wollen und einer, der nur den Alltag schaffen will. In "Die große Heimkehr" und "Nach Onkalo" prallen Welten aufeinander.

Tobias Lehmkuhl und Katharina Teutsch im Kritikergespräch | 01.05.2017
    Buchcover Kerstin Preiwuß: Nach Onkalo u. Anna Kim: Die große Heimkehr
    Zwei Bücher, zwei ganz unterschiedliche Welten: Die Einen suchen nach Schutz, die Anderen das Glück. (Berlin Verlag/Suhrkamp Verlag)
    Seoul, im April 1960. Johnny Kim, seine Geliebte Eve Moon und sein bester Freund aus Kindertagen Yunho Kang sind auf der Flucht vor der berüchtigten Nordwest-Jugend, einer antikommunistischen, paramilitärischen Schlägertruppe im Dienst der Regierung Südkoreas. Diese steht kurz vor dem Zusammenbruch, seit Wochen geht die Bevölkerung gegen den autokratischen Präsidenten Rhee auf die Straße. Gemeinsam wagen Johnny, Eve und Yunho die illegale Überfahrt nach Japan und finden Unterschlupf und Arbeit im koreanischen Viertel Osakas. Doch schon bald werden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt.
    Spionagegeschichte, politischer und historischer Roman in einem, handelt "Die große Heimkehr" von Freundschaft, Loyalität und Verrat, vom unmöglichen Leben in einer Diktatur. Das Buch erzählt von den Folgen der Teilung der koreanischen Halbinsel und den Anfängen des heutigen Nordkorea, als die Gewaltherrschaft Kim Il Sungs noch in den Kinderschuhen steckte. Und es stellt sich der Frage: Wem gehört Geschichte? Den Siegern, die Archive verschließen und Dokumente schwärzen? Oder dem Einzelnen, der seine Erfahrungen an andere weitergibt? Beide Kritiker haben Respekt vor der Erzählleistung, verlieren sich aber auch ein wenig im komplexen Romangefüge.
    Anna Kim: "Die große Heimkehr"
    Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 558 Seiten, 24 Euro
    Ohne mütterliche Fürsorge weiß er nicht, wie es weitergehen soll. Eine Frau hat er nicht und von dort, wo er wohnt, geht man weg, wenn man kann. Aber Matuschek ist einer, der bleibt, Bewohner des Hinterlands, einer längst von allen aufgegebenen Welt. Zum Glück gibt es Nachbarn. Igor, der Russe, wird zum Freund. Den alten Witt kennt er seit seiner Jugend. Und dann sind da die Tauben, die Matuschek als Junge bekam und seitdem züchtet. Brieftauben haben einen inneren Kompass und kehren stets nach Hause zurück. Das kann schon reichen fürs Leben. Als Matuschek Irina kennenlernt, winkt kurz das Glück.
    "Nach Onkalo" zeigt mit großer Sympathie und Genauigkeit eine Welt am Rand, in der einer nur den Alltag schaffen will. Gerade in der Reduktion stellen sich all die großen Fragen, die das Menschsein ausmachen. Beide Kritiker sind stark beeindruckt von der Dichte der Erzählung.
    Kerstin Preiwuß: "Nach Onkalo"
    Berlin Verlag, Berlin 2017, 240 Seiten, 20 Euro