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Kritischer Blick auf Architektur

Eine Ausstellung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen zeigt die Gewinner des Europäischen Architekturfotografiepreises 2009 und 2011. Die Bilder zeigen, wie sich der Blick auf Architektur ändern kann - von der Huldigung zur kritischen Betrachtung.

Von Peter Backof | 14.02.2013
    Da sind knorrige Balken aus Tropenholz in eine Sichtbetonwand eingelassen, da wuchert es aus mausgrauen Rabatten: ein extremes Nebeneinander von urwüchsiger Natur und rechtwinkliger Architektur, in diesen vier Fotos von Sabine Freudenberger und Waldemar Bachmeier, preisgekrönt unter dem Motto "Neue Heimat". Kurator Peter Liedtke stellt diese und rund 50 andere Serien vor. Immer vier Motive, mittleres Format, etwa DIN A 5, die Vorgaben des Europäischen Architekturfotografiepreises.

    "Und bei vielen dieser Bilder fragen sich Menschen, jetzt schon beim Aufbau, kommen und gucken: 'Was hat das denn jetzt mit Architektur zu tun?'"

    Und wer bitte wohnt so exotisch? Erst auf den zweiten Blick kommt man dahinter, dass es sich hier um Aufnahmen aus einem Zoo handelt. Ein kritischer Blick auf das einigermaßen vergebliche Bemühen, Wildtieren eine artgerechte "Neue Heimat" in europäischen Großstädten zu schaffen.

    "Also wohl doch eher "Neue Heimat", Fragezeichen. Also das, worum es geht, ist die gebaute Umwelt, die uns tagtäglich umgibt, also nicht nur die Spitzenarchitektur, sondern, was heißt wohnen, was heißt leben, was heißt daheim sein?"

    Eine andere Serie zeigt einen drolligen Hamsterkäfig, in schrillen Farben eingerichtet, fotografiert mit Fischauge, aus der Perspektive des Hamsters - und gemeint ist natürlich das sprichwörtliche Hamsterrad, durch das wir uns letzten Endes quälen - trotz der Versprechungen bunter Konsumwelten. Ansichtssache! Grundtendenz beinahe aller Wettbewerbsbeiträge: der kritische Blick auf Sinn und Nutzen von Architektur. Der sich aber versteckt hinter beeindruckend perfektem Handwerk. Die Digitalisierung verändert auch die Architekturfotografie: Wenn ein Profi heute eine Hochhausfassade fotografiert, dann kann man die Blätter der Pflanzen auf dem Fensterbrett zählen. Oder man muss bei einer Dokumentation über den Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinland an Gemälde von Claude Lorrain aus dem 17. Jahrhundert denken, so erhaben und sepiafarben schillert das Licht. Andreas Fragel aus Düsseldorf zeigt so, das allmähliche Verschwinden der Ortschaft Stenrath.

    " Da wohnt ja keiner mehr, das sieht man, die Dinger sind zugemauert"

    Verlassene Häuser, die nur noch auf das Anrollen der Großbagger warten.

    " Das ist aber zu dem Zeitpunkt der Aufnahme immer noch ne öffentliche Straße gewesen, deshalb brennt da auch Licht."

    Die Straßenbeleuchtung war noch lange intakt.

    "Obwohl da gar kein Auto fährt, keiner wohnt, keiner langgeht. Das hat ne ziemliche Absurdität, wenn man da ist."

    Das war, in dieser Geisterstadt, muss man heute sagen. Andreas Fragel hat auch selbst beobachtet, wie sich junge Männer, offenbar Neonazis, an einem Hakenkreuz versammelt hatten, das unter bröckelndem Putz zum Vorschein kam. All dies schwingt an Geschichten mit in seiner kleinen Serie von vier Fotos, die sichtbar macht, was passiert, wenn ein Ort verschwindet.

    Den Geschichten begegnet man en passant: der Gelsenkirchener Wissenschaftspark ist kein Museum, sondern ein munteres gewerbliches Kongresszentrum. Die rund fünfzig ausgestellten Serien sind in einer Reihe gehängt. Der Betrachter läuft einen Hochparterresteg entlang in der offenen Architektur des Gebäudes. Und es stellt sich ein fotografischer Effekt ein, wenn man an den Fotos vorbei schlendert, man zoomt sich heran, entdeckt zum Beispiel hinter – wieder sehr malerisch wirkenden - Hausfassaden eine Dokumentation über die realen Fassaden, an denen US-Marines Häuserkampf üben, oder die Milchglasfenster eines Mutter-Kind-Trakts, mit sozialer Dramatik, die sich auf den ersten Blick nicht erahnen lässt. Seit 1995 gibt es den Europäischen Architekturpreis. Anfänglich wurden da noch Fotos prämiert, die gelungene Architektur von Star-Architekten ins Bild setzten. Das ist gekippt, sagt Kurator Peter Liedtke: Es geht jetzt eher um den künstlerischen und durchaus kritischen Blick. Eine Ausstellung also, die nicht nur fotografisch State of the Art ist, sondern auch thematisch lohnend, packend.