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Kroatiens Adria (1/5)
Umstrittene Grenze in der Bucht von Piran

Die Bucht von Piran wirkt idyllisch. Die kroatisch-slowenische Grenze, die hier verläuft, sieht man im Wasser nicht. Fischer aus beiden Ländern befahren die ganze Bucht - doch inzwischen pocht Slowenien darauf, hier eine Außengrenze des Schengenraums kontrollieren zu müssen.

Von Grit Eggerichs | 25.06.2018
    Ein Pärchen sitzt auf einem Pier an der Bucht von Piran in Slowenien
    Das EU-Schiedsgericht hat im Grenzkonflikt zwischen Kroatien und Slowenien vor einem Jahr 80 Prozent der Gewässer in der Bucht von Piran Slowenien zugeschlagen (AFP/ Jure Makovec)
    "Wir wussten immer, wo die Grenze ist. Wenn ich mit meiner Mutter früher einkaufen fuhr nach Triest – in den 70er Jahren, ich war ein Kind –, dann hat sie es uns immer gezeigt: Hier, wo das Dach eingestürzt ist, das ist Kroatien, und da, wo alles so hübsch und ordentlich ist, das ist Slowenien."
    Danilo Latin windet Fische aus seinem Netz und lässt sie einen nach dem anderen in einen Eimer neben sich fallen. Muscheln und Schnecken samt Einsiedlerkrebsen wirft er in hohem Bogen ins Wasser. Danilo sitzt auf seinem Boot im Hafen von Savudrija am Südufer der Piranbucht, mit Blick auf viel blaues Meer, die ausfahrenden Fischerkollegen und die blau-weißen Boote der Wasserschutzpolizei.
    Er trägt eine signalfarbene Gummihose, an den Händen kleben Schuppen und Dreck. Schon sein Vater und sein Großvater waren Fischer in Savudrija. Danilos Sohn hat seit einigen Jahren sein eigenes Fischerboot – die vierte Generation. Die Familientradition und die Verwurzelung hier, ein paar Meter von der Grenze zu Slowenien entfernt: Gute Gründe für Danilo, sich als Experte zu betrachten in allen Seegrenzangelegenheiten.
    "Die Politiker reden immer über die Grenze, aber die wissen gar nicht, wo sie wirklich verläuft! Ich hab hier schon Leute aus den Ministerien oder aus dem kroatischen Parlament mit meinem Boot rumgefahren und ihnen das genau gezeigt: Hier ist Kroatien, da ist Slowenien, hier ist Kroatien, da ist Slowenien."
    Der kroatische Fischer Danilo Latin auf seinem Boot
    Ganz Kroatien kennt Fischer Danilo Latin, der die Bucht von Piran mit seinem Boot befährt und gern im Fernsehen über den Grenzstreit mit Slowenien spricht (Deutschlandradio/ Grit Eggerichs)
    Kroatien erkennt Urteil des EU-Schiedsgerichts nicht an
    Dabei kann man auf See eigentlich gar nicht sehen, wo die Grenze ist. Dennoch erzählt Danilo seine Stories immer wieder in Talkshows und Reportagen. Ganz Kroatien kennt diesen Fischer aus dem Fernsehen.
    Das EU-Schiedsgericht hat im Grenzkonflikt zwischen Zagreb und Ljubljana vor einem Jahr 80 Prozent der Gewässer in der Piranbucht Slowenien zugeschlagen. Danilo weiß genau: Da war Bestechung im Spiel. Die kroatische Regierung erkennt das Urteil nicht an. Die Fischer aus Savudrija fahren weiterhin in die Bucht und fischen in slowenischen Hoheitsgewässern.
    "Und wenn wir da hinfahren, folgt uns die Polizei, um sicherzustellen, dass die kroatischen Fischer auch in ihren Hafen zurückkehren."
    Slowenien zählt die Begegnungen auf See
    Die kroatische Polizei drängt die kroatischen Fischer, in unsere Gebiete zu fahren, vermutet Marko Vrevc – zwei Autostunden entfernt in seinem Büro in Ljubljana. Er ist Leiter der Projektgruppe Grenzen im slowenischen Außenministerium, war Generalkonsul in München und hat auch schon in Österreich gelebt.
    "Die Grenze zwischen dem heutigen Slowenien und dem heutigen Kroatien ist eine sehr alte Grenze. Es wurde aber nie als eine harte Grenze gesehen. Das waren zwei Verwaltungseinheiten zu Zeiten der Habsburger Monarchie, aber dann mit unserer Selbstständigkeit im Jahre 91 wurde diese Inner-Republik-Grenze in Jugoslawien auf einmal eine Staatsgrenze. Die war in Jugoslawien nie gesetzlich definiert. Und deshalb gab es Überlappungen und graue Zonen."
    Kroatische und slowenische Fischer arbeiteten traditionell überall in den früheren jugoslawischen Hoheitsgewässern. So ganz einfach ist es also gar nicht zu sagen: "Das ist Slowenien, dies ist Kroatien" – weder auf See noch an Land. Und wegen der komplizierten Geschichte bewahrt Marko Vrevc auch sehr viele Karten und Dokumente aus diversen Epochen auf.
    Dieser frische DIN-A6-Kartenausdruck zum Beispiel zeigt die Bucht, die jüngst beschlossene Seegrenze und: sehr viele Pünktchen. Sie stehen für slowenisch-kroatische Begegnungen auf See in – laut Schiedsspruch – slowenischen Hoheitsgewässern. In den sechs Monaten nach dem Schiedsspruch waren es 1.400 Zusammentreffen – zwischen kroatischen Fischerbooten, ihrer Polizeieskorte und der slowenischen Polizei, sagt der Beamte.
    "Naja. Es ist immerhin eine zivilisierte Gegend. Wenn die Boote zusammenkommen, dann wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich der andere bei dem jeweiligen in seinen Gewässern befindet."
    "Grenzkontrollen, wie die Vorschriften es vorsehen"
    Seit Jahresbeginn werden auch Bußgeldbescheide verschickt.
    "Wir sind nicht froh, dass es so ist, aber das ist eine Außengrenze des Schengener Raumes. Und da werden wir aus Brüssel mit Argusaugen begleitet, ob wir die Grenzkontrollen so ausführen, wie die Vorschriften es vorsehen."
    Marko Vrevc zitiert im Gespräch immer wieder "Vorschriften": Die strengen Bestimmungen aus Brüssel seien es, die Slowenien gegenüber Kroatien hart durchgreifen lasse. Auch als das slowenische Militär vor drei Jahren einen Zaun an der Landgrenze zu Kroatien errichtete – 650 Kilometer Pfähle und NATO-Draht –, sei das vor allem EU-Richtlinien zum Schutz des Schengenraums geschuldet gewesen. Denn Kroatien gehört noch nicht dazu und der besondere Schutz der Schengen-Außengrenzen sei eben: Vorschrift!
    Andererseits sind die Beziehungen traditionell eng. Kroaten arbeiten in Slowenien, Slowenen kaufen in Kroatien ein.
    "Jeder zweite Slowene fährt nach Kroatien in den Sommerurlaub. Die Leute kennen sich. Bis jetzt gibt’s noch keinen Schatten auf den zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber wenn dieser Zustand anhält, bin ich nicht sicher, dass es so bleibt. Das würde ich sehr bedauern."
    "Die Menschen sind länger da als die Nationen"
    Der slowenische Beamte wägt jedes Wort ab. Der kroatische Fischer dagegen ist ein Storytelling-Profi. Drüben in Slowenien hat er viele Freunde, sagt er – Grenzfragen spart er im Gespräch mit ihnen allerdings aus:
    "Weil wir wissen: Jeder hat seine Position. Sie haben ihre Meinung, die sie von ihren Politikern eingeflüstert bekommen. Ich dagegen bin Zeuge, nein, ich bin ein Teil der Geschichte, des Landes, der Fischer, allem, was hier an der Grenze passiert ist."
    Er sei nicht nationalistisch, versichert er zum wiederholten Mal. Seine Großmutter sei schließlich in Österreich geboren, heiratete in Italien, wurde in Jugoslawien geschieden und starb in Kroatien.
    "Dabei lebte sie immer im selben Haus. Die Menschen sind länger da als die Nationen. Grenzen verändern sich schneller als Menschen leben und sterben. Wer tut jetzt so, als sei die Grenze so wichtig? Das ist Slowenien! Wir Kroaten haben diverse offene Grenzfragen: mit Serbien, Bosnien und Montenegro. Aber nur mit Slowenien gibt es diesen Ärger."
    Das Syndrom der Geschiedenen
    Auch die Grenzlinie auf dem Land ist an vielen Stellen umstritten. Das Urteil des Schiedsgerichts hat Kroatien nicht einseitig benachteiligt. Slowenien hat auch Grenzland verloren: etwa 1.500 Hektar.
    Kroatien beschuldigt Slowenien, sein Staatsgebiet willkürlich nach Süden auszudehnen. Slowenien behauptet, Kroatien verlege seine Grenzen unrechtmäßig nach Norden. Eine Lösung für den Streit um die Grenze in der Piranbucht und an Land scheint nicht in Sicht – obwohl es um wenige Hektar zwischen zwei sehr kleinen Ländern geht. Weil diese Bockigkeit eigentlich nicht erklärbar ist, versucht Marko Vrevc am Ende eine psychologische Deutung:
    "Es gibt ein Syndrom der geschiedenen Leute, dass der eine hofft, dass es dem anderen doch noch nicht so gut gehen würde wie ihm selber. Das führt nirgendwo hin, aber ist vielleicht doch ein bisschen Wahrheit."