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Kroatiens Bildungspolitik
"Dieses Bildungssystem produziert Streber"

Fünf Anläufe zu einer großen Bildungsreform in Kroation sind bereits gescheitert. Dabei machen der "Braindrain", die Abwanderung der besten jungen Leute ins Ausland, und die Altlasten in den Lehrplänen eine solche Reform dringend nötig. Die Hoffnungen sind groß, auch wenn die Mitte-Rechts-Regierung in Kroatien kurz vor dem Aus steht.

Von Ralf Borchard | 08.06.2016
    Demonstranten gehen gegen die Bildungsreformen in Kroatien in Zagreb auf die Straße.
    Kroatiens Schüler und Studenten: wollen nicht länger Experimentiermasse ohnmächtiger Politik sein (picture alliance / dpa / EPA / DANIEL KASAP )
    Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sind in Zagreb und anderen kroatischen Städten für die Bildungsreform auf die Straße gegangen. Und haben den Rücktritt von Bildungsminister Predrag Sustar von der konservativen Regierungspartei HDZ gefordert.
    "Leider ist das heutige Schulwesen so, dass die Kinder praktisch nur auswendig lernen", sagt diese Frau. "Dinge, die sie zum größten Teil bis Schuljahresende wieder vergessen haben."
    "Es fehlt an Liebe zum Fortschritt, zur Wissenschaft, zur besseren Welt," meint er, "ich sehe einfach kein Licht, keine Zukunft hier."
    Seit der Unabhängigkeit Kroatiens vor 25 Jahren sind schon fünf Anläufe zu einer großen Schul- und Bildungsreform gescheitert. Doch noch nie war die Hoffnung so groß wie diesmal. Anfang 2015 hatte die damalige sozialdemokratische Regierung eine Reformkommission eingesetzt, der vor allem Lehrerinnen und Lehrer von der Grundschule bis zum Gymnasium angehören.
    "Zum ersten Mal wurden wir Fachleute aus der Praxis in eine Schulreform einbezogen," sagt diese Lehrerin, "also diejenigen, die täglich mit Schülern zu tun haben, die genau wissen was im Klassenzimmer passiert, was in Kinderköpfen vorgeht, die alle Schwachstellen des heutigen Schulwesens kennen, von der Bürokratie bis zum Auswendiglernen unnötiger Dinge."
    Und diese Elternvertreterin sagte bei der Großkundgebung in Zagreb:
    "Wir denken an die Zukunft, an das Morgen, an unsere Kinder, die besser lernen sollten als wir das konnten, damit sie nicht ihre Chancen verpassen, frustriert bleiben, nicht in Busse nach Stuttgart oder andere Städte einsteigen, an Kinder, die hier ein gutes Leben verwirklichen sollten."
    Braindrain und Altlasten in den Lehrplänen
    Das eine Kernproblem ist für viele der "Braindrain", die Abwanderung der besten jungen Leute ins Ausland, spätestens zum Studium oder nach der Berufsausbildung. Das andere Kernproblem: die Altlasten in den Lehrplänen, das vielfach nationalistische, rückwärtsgewandte Geschichts- und Gesellschaftsbild.
    Doch genau hier setzt der Widerstand gegen die aktuellen Reformpläne ein. Seit fünf Monaten regiert wieder die konservative HDZ, damit ist auch der Einfluss der katholischen Kirche erneut gewachsen, sie betrachtet die Reformpläne als linksliberal und atheistisch. Regierungsberater Ante Nazor betont allerdings, es gehe auch um ganz andere Einwände, die Reformpläne seien schlicht überfrachtet:
    "Diese Woche habe ich über 100 Seiten an kritischen Kommentaren gelesen, von Universitätsprofessoren, verschiedenen wissenschaftlichen Instituten, speziell aus Naturwissenschaften und Mathematik. Das sind Stimmen, die man nicht einfach ignorieren kann."
    Der konservative Bildungsminister will die Reformkommission um neue Experten ergänzen, der Leiter der Reformkommission droht deshalb mit Rücktritt, inzwischen ist die Lage völlig verfahren.
    Auch, weil die Mitte-Rechts-Regierung aus HDZ und der neuen Partei Most, übersetzt Brücke, schon wieder zerbrochen ist und möglicherweise Neuwahlen anstehen. Fast verzweifelt appellierte dieser 17jährige Schülervertreter im kroatischen Fernsehen:
    Ein Bildungssystem, das Streber produziert
    "Ich bin Karlo, selbst Schüler, und ich bitte die Verantwortlichen, dass sie mich nicht zwingen, meine Heimat Kroatien zu verlassen, denn dieses Bildungssystem, das Streber produziert, das von Schülern verlangt, Fakten wiederzukäuen, ist nicht gut. Wir wollen nachdenken, kreativ sein, wollen nicht mehr Experimentiermasse erfolgloser und ohnmächtiger Politik sein."
    Erneut droht die Reform im anhaltenden Kulturkampf zwischen den beiden großen politischen Lagern in Kroatien zerrieben zu werden, hier der Linken, die die Gegenseite schnell als faschistisch beschimpft, dort der Rechten, die die Gegenseite nach wie vor als kommunistisch brandmarkt. Auch Staatspräsidentin Kolinda Grabar Kitarovic, selbst aus der konservativen HDZ, hat sich eingeschaltet und appelliert:
    "Die Bildungsreform muss weitergehen, es geht um die Zukunft unserer Kinder, um die Zukunft unseres Landes, und ich verpflichte, mich als Präsidentin der Republik Kroatien alles zu tun, um die politischen Einflüsse auf den Prozess der Bildungsreform zu beseitigen."
    Doch derzeit ist die Präsidentin ganz mit Vermittlungsversuchen in der aktuellen Regierungskrise beschäftigt. Nur unter einer neuen, stabilen Regierung könnten Schüler, Eltern und Lehrer wieder hoffen, dass dieser Anlauf zu einer großen Bildungsreform doch noch erfolgreich ist.