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Kronjurist der Nazis

Nein, man kann diesen Materialsteinbruch, der als Biografie daherkommt, aber als einzige Ordnungsprinzipien das Kalenderblatt und das Adressregister kennt, nicht ernstlich zur Lektüre empfehlen, auch wenn dem interessierten Leser selbstverständlich unermesslich viele Details aus dem Umfeld Carl Schmitts berichtet werden.

Von Florian Felix Weyh | 27.12.2009
    "Ich war im Jahre 1936 durch die SS öffentlich diffamiert worden. Ich wusste Einiges von den legalen, paralegalen und illegalen Machtmitteln der SS und der Umgebung Himmlers und hatte allen Anlass, mich vor dem Interesse der neuen Elite zu fürchten. Deshalb hielt ich mich mit aller gebotenen Vorsicht fern. Dem politischen Haupt der Gruppe, Best, ging ich aus dem Wege. Ich habe niemals ein Wort mit ihm gesprochen oder ihm die Hand gegeben. Prof. Höhn sah ich öfters als Kollegen der juristischen Fakultät der Berliner Universität. Ihm gegenüber verhielt ich mich höflich und korrekt, wie man sich gegenüber einem Mitglied oder Verbündeten der geheimen Polizei vernünftigerweise verhält."

    Kontaktinfektionen sind eine schlimme Sache: Man reicht jemandem die Hand, schon ist man infiziert. Verweigert man ihm umgekehrt den Handschlag, bleibt man von aller Ansteckung verschont. Es sei denn, der Mensch gegenüber huste und treibe so die bösen Keime – die Keime des Bösen – direkt ins eigene Gesicht. In diesem Fall hilft nur eine generelle Immunität gegen die pestartig um sich greifende Krankheit:

    "Ich bin nicht entnazifizierbar, weil ich nicht nazifizierbar bin."

    ... verkündete Carl Schmitt noch im hohen Alter und log dabei, dass sich die Balken bogen. Stopp! Er log nicht, sondern alle, die ihm das unterstellten, taten es heimtückischerweise, denn er, Carl Schmitt, sprach doch die Wahrheit: Nazifizierbar war nur jemand, der der Ideologie des Nationalsozialismus mit glühendem Herzen erlag. Nicht aber jemand, der bloß Vorteile aus Anbiederung und Anpassung an den neuen Staat zog, ohne zugleich dessen Politik mit eigenem Blut unterschreiben zu wollen. Einen Opportunisten kann man nicht entnazifizieren, weil man ihn so gut entnazifizieren kann – der Vorgang des Seitenwechsels vollzieht sich geschmeidig, und der innere Abstand zur jeweils vertretenen Ideologie bleibt in allen Systemen gleich.

    Schmitts Ausführungen sind differenziert und glaubwürdig.
    ... kann deswegen folgerichtig der Biograf Reinhard Mehring zur oben zitierten Selbst-Exkulpierung Carl Schmitts schreiben. Der häufig als Kronjurist der Nazis titulierte Staatsrechtler wanderte sehr rasch aufs Abstellgleis des Titularstaatsrats, weil die Nazis weder Rechtsgelehrte noch überhaupt Intellektuelle brauchen konnten. Beide Gruppen verhöhnten sie als Relikte aus bürgerlichen Zeiten. In vorderster Front bei dieser Verhöhnung dabei: der glänzende Intellektuelle selbst. Schnell mal auf eigene Haupt gespuckt!

    Von kaum überbietbarer Polemik ist insbesondere der Artikel Die deutschen Intellektuellen im Westdeutschen Beobachter. (...) Die deutschen Intellektuellen: "Zum deutschen Volk haben sie niemals gehört. Aber auch nicht zum deutschen Geist. (...) Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten." Schmitt bejaht die Bücherverbrennung, reagiert auf erste Kommentare von Emigranten, erwägt den Entzug der Staatsangehörigkeit, deutet weitere Maßnahmen an. (...) Der Artikel gehört zu den bösesten Auslassungen, die er überhaupt geschrieben hat.

    Dass Carl Schmitt alle Katzbuckelei nichts nutzte, ihm der Zugang zum innersten Machtzirkel des NSDAP versperrt blieb, ist rückwirkend gesehen ein unverdientes Geschenk seines fast 100-jährigen Lebens. Denn so konnten die inneren Motive lange verschleiert bleiben: Der Starjurist der Weimarer Zeit wollte ja durchaus unter den neuen Machthabern etwas werden, trieb seine Karriere zielstrebig voran und trampelte dabei alle Anstandsgrenzen nieder. Hinterher dann wie bei den meisten "Märzgefallenen" des Jahres 33: Amnesie.

    Seine Lage nach 1945 brachte er kaum mit seinem Verhalten vor 1945 in Verbindung. Er realisierte nicht, dass er ganz andere Diskriminierungen ins Wort und Werk gesetzt hatte, als er sie nun erlitt. Die Fakten bog er sich apologetisch zurecht.

    Wir haben es mit dem prominentesten Fall des zugleich charismatischen wie jämmerlichen Intellektuellen im 20. Jahrhundert zu tun. Nicht Martin Heidegger, Ernst Jünger, Gottfried Benn oder Knut Hamsun bewiesen auf schauerliche Weise die Anfechtbarkeit der Geistesheroen für Verlockungen der Finsternis, sondern der glasklar denkende und formulierende Jurist Carl Schmitt aus Plettenberg im Sauerland. Seine Schriften, meist kurz und prägnant, waren zu ihrer Zeit atemberaubende Demontagen politischer, philosophischer und staatsrechtlicher Gewissheiten und haben bis heute wenig von ihrem dämonischen Sog verloren. Passagen über den Parteienstaat und die prinzipiellen Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie – 1923 auf eine ganz andere Situation als heute gemünzt –, vermögen dauerhaft die Ressentiments von Wahlverweigerern zu spiegeln. Obwohl im akademischen Betrieb nach 1945 persönlich nicht mehr präsent, erfreute sich Schmitt einer kontinuierlichen Rezeption durch nachwachsende Lesergenerationen. Die Wahrnehmung seiner Schriften als Ausdruck einer reaktionären Welthaltung wich seit den 60er-Jahren – mit dem Auftauchen sogenannter Links-Schmittianer – sogar dem Eindruck, der Jurist habe eine geistige Universalwaffe für all jene geschaffen, die nach Legitimierungen ihrer jeweiligen Machtansprüche suchten. Erkannt hat das schon 1930 der marxistische Bürgermeister von Berlin-Kreuzberg, Carl Herz. Er attestierte Schmitt:

    Sie gehören jedenfalls zu den wenigen bürgerlichen Staatsrechtslehrern, die außerhalb des Marxismus Verständnis dafür haben, dass alle politischen Begriffe eingebettet sind in politische Interessenssituationen und gar nichts anderes sind als deren ideologische Formulierung.

    "Eine Mine, die lautlos explodiert" nannte Ernst Jünger 1927 den Aufsatz "Der Begriff des Politischen" mit der berühmten Freund-Feind-Unterscheidung und bewunderte "die vollkommene Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit” des Gedankenansatzes. Alles an Carl Schmitts Werk ruft nach ergänzenden biografischen Informationen: Wie konnte ein Mensch so klug und so dumm zugleich sein? So hellsichtig und so verbohrt in einem Atemzug? So lumpenhaft und so formulierungsstark zugleich, dass einem Zitate selbst dann noch imponieren, wenn sie vor Bösartigkeit nur so triefen. Nicht elegante Boshaftigkeit, sondern vernichtende, ja auf Vernichtung zielende Bösartigkeit:

    In Hamburg war ein jüdischer Kunsthistoriker, Panofsky, der 1933, anläßlich einer Straßen-Demonstration, die unter dem Rufe 'Juda verrecke' marschierte, den Ausspruch tat 'eher werden die Recken verjuden', worauf er mit Recht verhaftet wurde. [zit. nach Kiesel 164]

    "Mit Recht" ... das lässt einen angesichts des Datums einer brieflichen Äußerung gegenüber Ernst Jünger im Sommer 1943 erschauern. Vor eben diesem "Rechtsbewusstsein" wurde der Holocaust vollzogen. Die spitze Formulierung verdeckt den Antisemitismus kaum noch notdürftig, und es fällt auf, wie Schmitts Lebensinhalt, das Recht, hier mit seinem Leitressentiment zusammenfällt ... nein, absichtlich zusammengefügt wird: Der Antisemit muss im Recht sein, damit sich Skrupel erst gar nicht einstellen, wenn er sich jüdischer Freunde, Förderer und Begleiter entledigt. Schmitts Werk ist beispielsweise ohne den Lektor Ludwig Feuchtwanger – Bruder des berühmten Schriftstellers – undenkbar; 1933 wird er von Schmitt sofort verstoßen. Das ist kein Zufall, denn Carl Schmitt ...

    ... fühlte sich schon in der Bonner Zeit von jüdischen Seilschaften umzingelt, glaubte sich intellektuell überlegen und kollegial missachtet, litt an einer gefühlten Diskrepanz von Status und Bedeutung. Schon in Bonn meinte er gelegentlich: "Ich habe das Gefühl, von einer bösartigen Bande verfolgt zu werden und vogelfrei zu sein.

    Dieses Zitat findet sich in der vorliegenden Biografie Reinhard Mehrings, das vorige über den Kunsthistoriker Erwin Panofsky indes nicht – wie der Text überhaupt sehr viele entlarvende Zitate aus dem privaten Schrifttum des manischen Tagebuch- und Briefeschreibers vermissen lässt, während die akademisch längst bis aufs Mark ausgesogenen Therorieschriften erneut ausgiebig rezipiert werden. Das verwundert, denn Schmitt verriet im Tagebuch viel mehr über sich, sein Seelenleben, seine sexuellen Eskapaden, als das seinen bürgerlichen Jüngern bis heute lieb sein kann. Mit 26 Jahren zeichnete er 1915, da war er Militärzensor in München, ein wenig schmeichelhaftes Selbstbild:

    Alles dreht sich so, dass ich höher komme. Ich bin ein Gleitschüler und flutsche immer glücklich durch alle Bedrängnis durch. Es fehlt mir an Kraft zum Gestalten. Alles macht Eindruck auf mich, aber ich komme zu keinem Ausdruck. Ich nehme nur auf; meine Nase tritt nicht aus dem Gesicht. Es bleibt alles verschwommene Konturen, Andeutungen, alles halb.[zit. nach Hüsmert S. 205]

    "Ein Gleitschüler" ... besser kann man das Schmitt'sche Lebensprinzip wohl kaum fassen. Um keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen: Reinhard Mehring schützt seinen Protagonisten keineswegs, indem er ihn selten zu Wort kommen lässt. In der Bewertung Schmitts ist er eindeutig, macht ihm dort Vorwürfe, wo Vorwürfe hingehören, relativiert seine Irrtümer, wo man prägende Zeitumstände heute gerne vergisst. Das Problem des Buches liegt anderswo: Der Heidelberger Politikwissenschaftler, der seit zwei Dekaden über Carl Schmitt publiziert und den Nachlass tief durchdrungen hat, macht einen großen, gewaltigen Schritt, um eine umfassende, wissenschaftlich makellose Biografie dieser Jahrhundertexistenz abzuliefern. Es ist ein Schritt ... in die falsche Richtung! Bei einem weniger reputierlichen Autor würde man von Etikettenschwindel reden, denn zwischen langatmigen Seminartexten, die als propädeutische Übung zu Schmitts Schriften durchgehen könnten, liest sich der biografische Teil wie ein Versandhauskatalog. Im Angebot: Namen, Daten, Orte, Referenzen, lose aneinandergefügt. Ein Beispiel aus dem Herbst 1928:

    Der junge Ulrich Scheuner, Smend- und Triepelschüler und für die Bundesrepublik wichtig, begegnet ihm erstmals und tritt in dauernde Kontakte. Die Schriftstellerin Alice Berend, die 1919 den Schlüsselroman "Der Glückspilz" publiziert hatte, kommt nach Bonn. Duska fährt Mitte September nach San Remo zur Kur. Anfang Oktober ist Schmitt einige Tage in Berlin auf Wohnungssuche. Er hält dann in Heppenheim auf einer Geschichtslehrer-Tagung einen Vortrag über "Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet". In Bonn klingen seine Besuche bei Magda nun endgültig aus. Am Umzugstag geht er noch einmal zu ihr; "sie weinte; ich gab ihr 110 Mark, das tröstete sie; denn es kommt ihr aufs Geld an." Er verabschiedet sich von seinem Bruder in Köln, von Karl Lambert in Mönchengladbach, von am Zehnhoff in Düsseldorf. Einige Tage ist er in Plettenberg.

    Oder, nicht minder seriell und voller bedeutungsloser Faktizität, der Kalenderausriss vom April 1924:

    Am 12. April reist er mit Hella Ehrik zusammen nach Leipzig. Anderentags reist Hella ohne Abschied ab. Schmitt fährt weiter nach Jena, besichtigt Naumburg und hält dann am Montag, dem 14., bei widrigem Wetter sein Eröffnungsreferat. 43 Staatsrechtslehrer sind anwesend.

    Keine Frage, das "widrige Wetter" steht ebenso als Platzhalter für die Genreforderung nach Plastizität wie der Abstecher nach Naumburg. Doch vor dem Auge des Lesers passiert gar nichts. Sein Geist ist über 580 Seiten Text und 170 Seiten Anhang vollkommen damit ausgelastet, Aberhunderte von Namen zu verdauen, deren Erwähnung in der Mehrheit substanzlos bleibt. Was ist da passiert? Man kann es ziemlich deutlich sagen: Ein deutscher Professor hat sein Thema gefunden, doch ein Stoff sucht weiter nach einem Autor. Dabei ist die Zerrissenheit des Schmitt'schen Charakters ein erzählerischer Selbstläufer. Der katholische Aufsteiger, der in erster Ehe eine Kokotte heiratet, die ihn mit falschem Adelstitel und echtem Sex beeindruckt, der seine zweite Frau vom ersten Tag der Ehe an unzählige Male betrügt, im drängenden Notfall sogar auf den Straßenstrich zurückgreift, der eine nihilistische Privatmoral lebt, sich zugleich aber zum großen Normen-Denker aufschwingt – über den könnte, ja müsste man schreiben wie über eine Dostojewski-Figur! Zwar kommt Mehring nicht umhin, sich Schmitts nahezu krankhafter Erotomanie und seinem wilden Frauenverschleiß zu widmen, doch wenn er sich diesem Topos nähert, wird er schnell Opfer der akademischen Stilblüte:

    Schmitt trauert damals im Spätsommer 1922 noch intensiv Kathleen Murray nach und reflektiert sich in einen Liebesidealismus hinein.

    Oder ganz besonders gelungen:

    Den Abschied von Magda bearbeitet er emotional.

    Ja wie denn sonst, juristisch? Interessieren würde hier eine Beschreibung des Trennungselends, doch die sucht man vergebens. Stilblüten gedeihen aber auch an anderer Stelle, beeindruckend etwa die Feststellung:

    Die Rezensionsklinge deutet auf spätere Polarisierungen voraus.

    Derartige Formulierungsschwächen haben natürlich ihren Grund: Wer sich übervorsichtig ausdrücken will, gerät leicht in die Nähe der gestelzten Nullphrase. Diese Biografie prägt der mangelnde Mut zu Analysen jenseits hundertprozentig gesicherter juristischer, zeithistorischer und politikwissenschaftlicher Erkenntnisse. Das mag wissenschaftliche Integrität vorspiegeln, am Wesen einer Biografie geht es aber vorbei. Seinen Offenbarungseid leistet Reinhard Mehring dann zum Januar 1933: Was trieb Carl Schmitt so willfährig in die Arme der Nazis? Der Biograf bietet einfach eine 42 Punkte umfassende Argumentliste an. Ausriss:

    21. Das Opportunismus-Argument: Es ist nicht so schlimm! Die anderen machen auch mit!
    22. Das Karriere-Argument: Ich will weiteren Aufstieg!
    23. Die fehlende Alternative: Als deutscher Jurist kann ich nur in Deutschland arbeiten! Ich kann nicht emigrieren!
    24. Das Curiositas-Argument: Neugier ist legitim! Was da kommt, will ich aus der Nähe sehen!


    ... und so weiter. Nur an dieser Stelle schlüpft Reinhard Mehring in die Haut seines Protagonisten und wagt ein verzagtes "Ich". Doch wozu? Die Rollenprosa bleibt auf wenige Sätze beschränkt, wird nirgends fortgeführt und erspart dem Biografen die Aufgabe, sich selbst eine Meinung zu bilden. Zugleich entlastet er damit auch wieder Carl Schmitt, der uns als hilflos-schwankendes, kaum zur Verantwortung zu ziehendes Individuum entgegentritt. Deutlich wird das an einigen anderen Punkten der Liste:

    28. Das Narzissmus-Argument: Ich bin der Größte! Alle Welt soll das wissen und sagen!
    29. Das Ressentimentgefühl: Alle missachten und betrügen mich! Jetzt schlage ich zurück!
    30. Das Vorsorge-Argument: Meine Frau ist krank! Ich brauche höhere Einnahmen für mich und meine Familie!


    Nein, man kann diesen Materialsteinbruch, der als Biografie daherkommt, aber als einzige Ordnungsprinzipien das Kalenderblatt und das Adressregister kennt, nicht ernstlich zur Lektüre empfehlen, auch wenn dem interessierten Leser selbstverständlich unermesslich viele Details aus dem Umfeld Carl Schmitts berichtet werden. Dabei legt der Autor allerdings gesteigerten Wert auf die Anerkennung seiner akademischen Ingroup, die er mit permanentem Namedropping hofiert, während er keinen mannhaften Satz über das menschliche Ekel Schmitt findet. In dieser Frage tritt Mehring lieber die Flucht in die dritte Person an:

    Mancher legt sich die Formel zurecht: "Ein Genie, aber kein Charakter!" Charakter meint die berechenbare Konsistenz einer Haltung. Einer solchen regel- und prinzipiengeleiteten Berechenbarkeit fügte sich Schmitt kaum. Er nahm sich, kraft seiner hohen Begabung, (wenn man will: narzisstisch-egozentrische) Sonderrechte heraus, erwartete die Anerkennung solcher Rechte und missachtete häufig die Regeln der Reziprozität. Seine Souveränitätslehre nahm er nach 1933 persönlich und gerierte sich bisweilen wie ein okkasionalistischer Willkürgott.

    Da läuft der Biograf dem Biografierten in die Falle. Das narzisstisch überzogene Selbstbildnis als Willkürgott hätte Schmitt gut gefallen, der zwar in seinen Triebbedürfnissen ans Irdische gefesselt war, sich aber ansonsten über allem schwebend wähnte. Göttergleich – warum nicht? Das ist zugleich eine deutliche charakterologische Konstante, wie man zum Schluss das Urteil des geschmeidigen und damit letztlich weitverbreiteten Opportunismus revidieren muss: Nach 1945 hat sich Schmitt eben nicht an die westdeutsche Demokratie angepasst, sondern sich in eine eigene Parallelwelt aus treuen Schülern und medial höchst einflussreichen Freundeskreisen zurückgezogen. Seine geistige Heimat war das faschistische Spanien Francos, wo die Tochter Anima lebte. Wer immer heute Schmitts luziden Geist der frühen Jahre bewundert – und dafür gibt es durchaus gute Argumente –, muss die bösartige Selbstsucht des gesamten 96-jährigen Lebens mit in Rechnung stellen: Diese Brillanz ist zu teuer erkauft. Zu einer entlastenden Katharsis kam es nie, wer immer sie auch initiieren wollte. Bleibt als Trost, dass sich Gedanken von Personen ablösen. Schmitt selbst, der ja abstritt, dem Kontaktgift der Nazis erlegen zu sein, brachte etliche Schüler hervor, die mit seinen hässlichen Seiten nichts mehr zu tun hatten. Der Historiker Reinhard Koselleck gehörte dazu, der Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und der Philosoph Odo Marquard. Dieser rüstete das berühmte Diktum Schmitts "Souverän ist derjenige, der über den Ausnahmezustand entscheidet" zu einem wirklich klugen Satz um:

    Vernünftig ist, wer den Ausnahmezustand vermeidet.

    Reinhard Mehring: "Carl Schmitt – Aufstieg und Fall". C.H. Beck Verlag, 752 Seiten, 29,90 Euro

    Zusätzlich zitierte Literatur:
    Hüsmert, Ernst (Hg.): "Carl Schmitt Tagebücher Oktober 1912 bis Februar 1915", 2. Auflage, Akademie Verlag, Berlin 2005, Seite 205
    Kiesel, Helmut (Hg.): "Ernst Jünger – Carl Schmitt, Briefe 1930 – 1983", Klett-Cotta, Stuttgart 1999, Seite 164.
    Marquard, Odo: "Skepsis in der Moderne", Reclam Verlag, Stuttgart 2007, Seite 38