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Kronzeugen des Klimawandels

Nicholas Stern - dieser Name wird den Umweltverbänden noch lange in guter Erinnerung bleiben. Hat doch der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Chefökonom der Weltbank bestätigt, was sie schon lange predigen: Der Kampf gegen die Erderwärmung muss höchste Priorität bekommen. Greenpeace lenkt die Aufmerksamkeit auf das Schmelzen der Gletscher.

Von Philip Banse | 02.11.2006
    Sagen wir mal so: Wie Nicholas Stern und die UNO wollte auch Greenpeace noch vor der Weltklimakonferenz nächste Woche in Nairobi eine deutliche Klimawarnung platzieren. Greenpeace tut das sehr bildlich: Die Umweltschutzorganisation hat in den vergangenen sechs Jahren Fotos von Gletschern rund um den Globus gesammelt und mit alten Aufnahmen verglichen. Ergebnis: Die Gletscher schmelzen viel schneller als erwartet, sagt Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid:

    "Unser Report belegt: Die Gletscher schmelzen immer schneller und das weltweit in fast allen Regionen in unterschiedlichem Tempo, aber wenn man das mittelt, kann man sagen: Im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Gletscherschmelzrate zwischen 1991 und 2004 verdoppelt."

    Die Gletscher schmelzen also immer schneller. Dass das Eis nicht mit gleichbleibendem Tempo schmilzt, liegt an einem Teufelskreis, den Klimaexperte Smid so beschreibt:

    "Wenn der Gletscherschnee abschmilzt, bildet sich auf dem Gletscher eine dunkle Fläche, es gibt Geröll, das ist eine dunkle Färbung, und die erwärmt sich stärker, die Reflexion der Sonne findet nicht mehr statt. Und deshalb erwärmen sich die Alpentäler wesentlich schneller als andere Regionen. Gletscher sind also die Kronzeugen der Klimaerwärmung."

    Greenpeace rechnet damit, dass noch in diesem Jahrhundert alle Alpengletscher verschwinden werden. Die Folgen würden allerdings schon viel früher zu spüren sein: Erdrutsche, Trinkwassermangel, Verkarstung. Ursache der Gletscherschmelze sei die Klimaerwärmung. Das Kyoto-Protokoll zur Reduktion der CO2-Emissionen, so Smid, sei bisher nicht umgesetzt worden. Der erwähnte Bericht des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Nicholas Stern, und der UN-Klimareport belegen das: Seit 2000 nimmt der Ausstoß von CO2 weltweit wieder zu. Das Kyoto-Protokoll läuft 2012 aus. Greenpeace sagt, trotz des mäßigen Erfolgs dieses Vertrages gebe es zu ihm keine Alternative. Das Kyoto-Protokoll müsse erneuert und verschärft werden, so Karsten Smid. In den nächsten zehn Jahren müsse die Klimawende gelingen. Seine Forderungen in Richtung der UN-Klimakonferenz lauten daher, die Verschärfung von Kyoto einzuleiten:

    "Wir erwarten, dass man deutlich sagt, wir müssen über Kyoto hinausgehen. Das heißt, wir brauchen eine Reduzierung bis 2020 von 30 Prozent für die Industriestaaten. Hier muss es ein klares Signal geben. Hier erwarten wir auch, dass Europa seine Vorreiterrolle wahrnimmt und sagt: Wir reduzieren um 30 Prozent bis 2020. Das heißt für Deutschland auch eine Verpflichtung für eine Treibhausgasreduktion von 40 Prozent."

    Greenpeace setzt also ähnliche Reduktionsziele wie die UNO, die bis 2050 eine CO2-Reduktion von 60 Prozent fordert. Diese Ziele seien erreichbar, so Greenpeace-Experte Karsten Smid heute. Die nötigen Techniken seien vorhanden: Solarenergie, Geothermie, Biomasse, Windkraft. Es sei allein eine Frage des politischen Willens, diese Techniken stärker zu fördern und einzusetzen, sagte Smid, und nannte seine heiligen drei S, mit dem die Welt vor dem Klima-Kollaps zu bewahren sei:

    "Erstmal müssen wir Energie einsparen. Dann müssen wir auf Effizienz, auf effiziente Energieverwendung setzen. Und den Rest müssen wir über erneuerbare Energien an Strom produzieren. Mit diesen drei S lässt sich ein effektiver Klimaschutz machen."

    Damit wir unseren Enkeln Gletscher nicht nur auf Fotos zeigen können, forderte Smid ein Moratorium für den Bau von Braunkohlekraftwerken und eine ökologische Regulierung der Luftfahrt. Die UNO bezeichnet die boomende Luftfahrt neben der Erholung der osteuropäischen Wirtschaft als einen wesentlichen Grund für den wieder wachsenden Ausstoß von Kohlenstoffdioxyd. Man darf also gespannt sein auf die UN-Weltklimakonferenz, die am kommenden Montag in Nairobi beginnt.