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Zum 80. von Bob Dylan
Als Bob zu Kreuze kroch

Der Songwriter und Nobelpreisträger hat eine bewegte religiöse Biografie hinter sich. Ende der 1970er-Jahre konvertierte er vom Judentum zum Christentum und besang sein Bekehrungserlebnis. Zeitweise stand er der religiösen Rechten nahe. Dann löste ein mystischer Ton den heiligen Zorn ab.

Von Thomas Mense | 21.05.2021
Der Musiker Bob Dylan, geboren als Robert Allen Zimmerman.
Bob Dylans Musik ist von Spiritualität geprägt (imago/United Archives International)
Ich war vom Teufel geblendet
Schon verderbt geboren
Eiskalt tot
Als ich den Mutterleib verließ

Von Seiner Gnade wurde ich berührt
Von Seinem Wort geheilt
Von Seiner Hand erlöst
Von Seinem Geist besiegelt

Ich wurde gerettet
Durch das Blut des Lamms
Bob Dylan: "Saved"
"Es wäre leichter gewesen, wenn ich Buddhist oder Scientologe geworden oder wenn ich in Sing Sing gelandet wäre."

"Wiedergeboren zu werden ist schmerzhaft"

Bob Dylans Konversion zum Christentum 1979 war für viele ein Schock. Es war zwar nicht sein erster radikaler Kurswechsel - aber wohl der überraschendste. Dylans frühe Lieder artikulierten den politischen Aufbruch der 60er-Jahre und die Hoffnung auf Veränderung. Und nun, 1979, schien Dylan, den viele -gegen seinen Willen- zu einem "Messias der Protestbewegung" erkoren hatten, zu Kreuze zu kriechen. Der Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte Heinrich Detering.
"Es gab natürlich die entsetzten Reaktionen jüdischer Hörer und jüdischer Kritiker, die sagten, für sie sei es eine Enttäuschung, ja ein Verrat, dass Dylan von seinen jüdischen Wurzeln sich so demonstrativ distanziere."
Du kannst ´n eingebildeter Priester sein
Du kannst ´n Politiker sein, der heimlich Schmiergelder kassiert
Du kannst in nem Frisiersalon arbeiten und weiß, wie man Haare färbt
Du kannst jemandes Mätresse sein oder hast wen beerbt

Aber irgendjemandem mußt du dienen, das steht fest
Das mag der Teufel sein oder der Herr
Bob Dylan: "Gotta Serve Somebody"
"Jesus legte seine Hand auf mich. Ich fühlte es überall. Ich fühlte, wie mein Körper zitterte. Die Glanz des Herrn warf mich zu Boden und richtete mich wieder auf. Wiedergeboren zu werden ist schmerzhaft. Du bist dann ein Fremder. Du musst alles neu lernen. Gott wird dir zeigen, was du wissen musst."
Heinrich Detering: "Es ist ein ziemlich komplexer Vorgang gewesen, auch wenn Dylan ihn so sehr simplifizierend damals selbst dargestellt hat.Er erzählt seine Bekehrungsgeschichte 1979, so wie sich das für einen bekehrten Pietisten gehört. Da gibt es den Tag oder am besten sogar die Stunde, in der sich die Wiedergeburt in der Begegnung mit Jesus Christus datieren läßt. Und vorher war nichts, danach ist alles, vorher war Sünde, danach ist Heil."

Zwischen Bürgerrechtsbewegung und religiöser Rechter

Bob Dylan schloß sich der eher liberalen Vineyard Christian Fellowship in Los Angeles an. In den späten 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die zahlreichen evangelikalen Gemeinden zu einem einflußreichen Zeitgeistphänomen. Dabei gingen ein wörtliches Bibelverständnis und eine rechte, neoliberale Politik in "God's Own Country" eine aktuelle Verbindung ein. Und Dylan schien da mittendrin.
"Man muß doch sagen, dass Dylan '79/'80 sehr viel näher an der religiösen Rechten Amerikas stand als uns das lieb ist. Er hat das dann ziemlich schnell zu korrigieren versucht. Aber eine Zeitlang gab es da bedenkliche Allianzen."
Leonard Cohen und die Religionen - Gebrochenes Halleluja
Davids Harfe klingt über den Tod hinaus. Leonard Cohens berühmtester Song ist auch sein rätselhaftester: "Halleluja". Der Liedtext spielt mit jüdischen, christlichen und buddhistischen Motiven.
Hier das apokalyptische Untergangsszenario, dort die messianische Erwartung einer neuen Welt : Biblische Bilderwelten grundierten schon seine frühen Songs. Viele wie "Blowin' In The Wind" oder "The Times They Are-A-Changin'" , "Masters of War" wurden zu Liedern der Bürgerrechtsbewegung.
Im August 1963, beim Marsch der Bürgerrechtler um Martin Luther King auf Washington, sang Bob Dylan vor über 100.000 Menschen das Lied "When The Ship Comes in".
I have a dream that one day this nation will rise up and live up the true meaning of its dream: we hold these truths to be selfevident that all men are created equal.
"I was close by when Martin Luther King gave this speech. To this day it affects me in a profound way."

Forever Young

Der Song "Forever Young" von 1974 zum Beispiel ist keine Hymne auf die Ideologie ewiger Jugendlichkeit. Das ist ein weitverbreitetes Missverständnis.
Nicht zufällig gehörte er zu den drei Liedern, die Bob Dylan 1997 auf dem Welt-Eucharistie-Kongress in Bologna gesungen hat: in Anwesenheit von Papst Johannes Paul II., vor 300.000 Gläubigen.
May God bless and keep you always
May your wishes all come true
May you always do for others
And let others do for you

May you build a ladder to the stars
And climb on every rung
May you stay forever young
Bob Dylan: "Forever Young"
Bob Dylan und Papst Johannes Paul II. nach dem Auftritt des Folksängers beim Eucharistischen Kongresses 1997 in Bologna
Bob Dylan und Papst Johannes Paul II. nach dem Auftritt des Folksängers beim Eucharistischen Kongresses 1997 in Bologna (picture-alliance / dpa / dpa - Fotoreport)
Der Musikwissenschaftler Richard Klein: "Das ist eigentlich ein sehr religiöser Text, dass der Vater das Kind sozusagen ins Leben entlässt und sagt: Du sollst auf Gott vertrauen. Wenn du das tust, dann brauchst du keine Angst zu haben, dich zu verändern. Dann bleibst du jung. Also diese Geborgenheit ist die Voraussetzung dafür, dass du immer auch ein anderer werden kannst. Es ist ein religiöser Imperativ, könnte man fast sagen."

Gottesliebe und Erotik

Die "Born-Again-Phase", die bis heute von vielen Dylan-Fans als "zeitweilige Verirrung" angesehen wird. Dass er damals außerordentlich intensive und charismatische Konzerte gegeben hat, wird dabei geflissentlich ignoriert. Mit der Zeit tritt der missionarische "heilige Zorn" in den Hintergrund. Dylan drückt sich inniger, intimer aus. So gehen zum Beispiel erotische und spirituelle Liebe ineinander über. Heinrich Detering:
"Am schönsten und unauffälligsten vielleicht in einem Song wie 'In The Summertime'. Für sich genommen ein fast poplastiges Lied über einen schönen Abend zu zweit am Strand. Im Kontext ein Lied, das sich ganz auf die Konversionserfahrung beziehen läßt. Man kann das Lied komplett in einer religiösen und man kann es komplett in einer erotischen Perspektive lesen."
Eine Stunde ungefähr habe ich in deiner Gegenwart verbracht
Oder war es ein Tag? Ich weiß es wirklich nicht.
Wo die Sonne nie unterging, wo die Bäume sich neigten
Dort am glitzernden, sanft wogenden Meer
Bob Dylan: "In The Summertime"
Heinrich Detering: "Und der Witz ist, es ist dieselbe Art von Glücks-und Befreiungszustand, auf den beide Perspektiven zielen; wie in den großen Traditionen der Mystik, mit denen Dylan sich ja oft auseinandergesetzt hat, in denen die Liebe selbst als eine erotische und zugleich Gottesliebe erscheint."

Every Grain Of Sand

Der Song "Every Grain Of Sand"- viele Jahre gehörte er zum Live-Repertoire-
nimmt Bezug auf den Psalm 39 und Stellen bei Matthäus und Lukas.
"Every Grain Of Sand" ist einer der ganz großen Songs, die Dylan überhaupt je geschrieben hat, weil der Schwebezustand, um den es in den Lyrics geht, musikalisch vollkommen repräsentiert wird. Eins spiegelt sich im anderen. Dass er ein Gottvertrauen artikuliert, das hier und jetzt, in der Vorläufigkeit der irdischen Welt, halten und tragen kann."
In der Hitze des Augenblicks erkenne ich des Meisters Hand
In jedem zitternden Blatt, in jedem Körnchen Sand
Bob Dylan: "Every Grain Of Sand"
"Das ist ein ganz frommer Song, aber es ist eine Frömmigkeit ohne jeden aufdringlichen Herrschaftsgestus. Hier spricht einer nur von seiner eigenen Erfahrung, von seinem eigenen Lebensgefühl, von einem momentanen Zustand."
Und im Verlauf meiner Reise, da begreife ich dann,
Dass jedes Haar gezählt ist wie jedes Körnchen Sand.
Bob Dylan: "Every Grain Of Sand"

"Traditionals sind mein Lexikon und mein Gebetbuch"

In den 80er- und 90er-Jahren war Bob Dylan in einer tiefen Krise. Er wollte nicht zum Wiedergänger seiner selbst, zum nostalgischen Troubadour der 60er- Jahre werden und war auf der Suche nach einer neuen künstlerischen und spirituellen Orientierung. Seit Mitte der 90er-Jahre ist ein komplexes Spätwerk entstanden, das in zentralen Punkten an die Anfänge anknüpft. Bob Dylan:

"Ich finde Religiösität und Philosophie in der Musik. Lieder wie 'Let Me Rest On A Peaceful Mountain' oder 'I Saw The Light', das ist meine Religion. Diese Traditionals sind mein Lexikon und mein Gebetbuch. Ich glaube an einen Gott, der über Zeit und Raum herrscht. Aber wenn mich einer danach fragt, lege ich ihm die alten Lieder ans Herz. Ich glaube an Hank Williams wie er 'I Saw The Light' singt - auch ich habe das Licht gesehen."
Komponist Arvo Pärt - "Die Seele so lange läutern, bis sie singt"
Spiritualität war ihm zeitlebens wichtig. Der estnische Komponist Arvo Pärt ist nicht nur musikalisch, sondern auch religiös auf der Suche. Wie hält Arvo Pärt es mit der Religion?
Heinrich Detering: "Gebrochen durch die offensichtliche Künstlichkeit der Kunst, des Kunstwerks, des Songs kann man über Religion, kann man über Gott ungeniert und frei reden. Das ermöglicht ihm zunehmend einen entspannten Umgang mit den Formen religiösen Lebens, die er vorfindet. Er hat offensichtlich keine Probleme damit gehabt, seinen Sohn in Jerusalem zur Bar Mizwa zu begleiten und dann wenig später in einem christlichen Gottesdienst zu erscheinen und dann wieder in eine Synagoge zu gehen."

Key West: "Das ultimative Erlösungsbild"

Die langen, meditativen Songs "Highlands" von 1997, "Ain't Talkin'" von 2006 oder ganz aktuell "Key West (Philosopher Pirate)" von 2020 ziehen so etwas wie eine Bilanz seiner spirituellen Suche.
Key West is the place to be
If you're lookin' for immortality
Stay on the ground- follow the highway sign

Key West is fine and fair
If you lost your mind, you'll find it there
Key West is on the horizon line

Key West is the place to go
Down by the Gulf of Mexico
Beyond the sea - beyond the shifting sand
Bob Dylan: "Key West (Philosopher Pirate)"
Heinrich Detering: "Key West ist vielleicht das ultimative Erlösungsbild, das Bild eines heilen Zustandes, in dem alles gut und richtig und am richtigen Ort zu sein scheint. Dieser Ort ist in den Dylan-Songs gerade der letzten 20 Jahre immer wieder vorgekommen, aber dann als ein unerreichbarer Ort. Hier in Key West befindet er sich an einem Ort, an dem alles gut ist, an dem das Diesseits ins Jenseits so leicht fließend übergeht. 'On the horizon line' heißt unmittelbar hier auf Augenhöhe, hier und jetzt."
Key West is the gateway key
To innocence and purity
Key West – Key West is the enchanted land
Bob Dylan: "Key West (Philosopher Pirate)"
"Und in diesen Übergang gleitet der Sänger dieses Songs hinein, während wir ihm zuhören und seine Singweise beglaubigt, was er behauptet. Es klingt leicht und ungezwungen und im Übergang in einen anderen Zustand."
Key West is the place to be
If you're looking for immortality
Key West is paradise divine
Key West ist fair and fine
If you lost your mind you'll find it there
Key West is on the horizon line
Bob Dylan: "Key West (Philosopher Pirate)"