Samstag, 20. April 2024

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Kubas Oppositionelle
"Der deutsche Außenminister hat uns sehr enttäuscht"

Der kubanische Oppositionelle Jorge Vázquez hat im DLF die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA als wichtigen Schritt bezeichnet, "die Ära der Konfrontation zu beenden". Es sei aber noch ein weiter Weg. Vázquez kritisierte den deutschen Außenminister Steinmeier für dessen Zurückhaltung beim Kuba-Besuch.

Jorge Luis García Vázquez im Gespräch mit Thielko Grieß | 20.07.2015
    Die bisherige Interessenvertretung der USA ist ab 20.07.2015 wieder ganz offiziell die US-Botschaft
    USA und Kuba nehmen wieder volle diplomatische Beziehungen auf - die bisherige Interessenvertretung der USA ist ab 20.07.2015 wieder ganz offiziell die US-Botschaft. (picture-alliance / dpa / Isaac Risco)
    Jorge Vázquez kam Anfang der 80er Jahre als Dolmetscher für kubanische Vertragsarbeiter in die DDR. Später wurde er ausgewiesen, weil er die Spionage für den kubanischen Geheimdienst verweigert und Informationen über die Ausreise eines kubanischen Musikers eingeholt hatte. Es folgten Haft im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Ausweisung nach Kuba, Berufsverbot, Kontrolle und Gängelung durch die kubanische Polizei. Später wurde er aus Kuba ausgewiesen. Heute lebt er in Berlin, führt Besuchergruppen durch das ehemalige Gefängnis in Hohenschönhausen und arbeitet auch als Journalist.
    Die Botschaftseröffnung der USA in Havanna bezeichnete Vázquez im DLF als "wichtigen Schritt für beide, die Ära der Konfrontation zu beenden". Solange die Brüder Castro noch am Leben sind, sei es noch ein weiter Weg. Raul Castro sei als Mitbegründer der Geheimpolizei für eine Repressionswelle zuständig, die bis heute andauere. Die neue Taktik des jüngeren Bruders sei es, Oppositionelle nicht mehr Jahre, sondern nur noch Wochen festzuhalten. Trotzdem seien nach Berichten von Oppositionsgruppen 2014 noch mehr als 8.000 Personen aus politischen Motiven festgenommen worden.
    Von Besuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Kuba hatte sich Vázquez mehr erhofft. Er sagte, Steinmeier hätte zumindest einen Abgesandten mit kubanischen Oppositionellen sprechen lassen können. "Der Außenminister hat viele von uns sehr enttäuscht", so Vázquez. Dahinter stecke aber keine Feigheit, sondern politisches Kalkül.

    Das Interview in voller Länge:

    Thielko Grieß: 1961, das war ein Jahr der großen Spannungen zwischen den Blöcken. In Berlin beginnt die DDR, die Mauer zu bauen und auf Kuba organisiert die CIA einen Angriff auf die Revolutionäre um Fidel und Raúl Castro. Die Invasion in der Schweinebucht endet mit einer Niederlage für die CIA. Und ebenfalls seit 1961 haben beide Länder keine diplomatischen Beziehungen mehr.
    Das alles soll heute der Geschichte angehören. Washington will in Havanna und Havanna will in Washington wieder eine Botschaft eröffnen. Und am Telefon haben wir vor dieser Sendung Jorge Vazquez erreicht. Er ist kubanischer Oppositioneller im Exil, lebt in Berlin.
    Ich möchte Ihnen diesen Mann kurz vorstellen. Jorge Vázquez ist Anfang der 80er-Jahre in die DDR gekommen, hat als Dolmetscher für kubanische Vertragsarbeiter dort gearbeitet. Später ist er ausgewiesen worden, weil er erstens die Spionage für den kubanischen Geheimdienst verweigert und zweitens Informationen über die Ausreise eines kubanischen Musikers eingeholt hat. Es folgten für Vázquez Haft im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Ausweisung nach Kuba, Berufsverbot dort, Kontrolle und Gängelung durch die kubanischen Behörden. Später dann Ausweisung aus Kuba.
    "Der Weg ist noch sehr lang"
    Heute lebt Vázquez in Berlin. Er führt Besuchergruppen durch das ehemalige Gefängnis in Hohenschönhausen und arbeitet als Journalist. Meine erste Frage an Jorge Vázquez: Der Erzfeind, die USA, öffnet in Havanna wieder eine Botschaft. Ist das in Ihren Augen ein wichtiger Schritt?
    Jorge Luis García Vázquez: Ich denke schon, für Kuba und für die USA auch. Es ist Zeit, dass beide Länder diese Ära der Konfrontation auch beenden. Ich denke, das kann für beide Länder was bringen.
    Grieß: Sehen Sie denn, dass die Konfrontation abgeflaut ist in den vergangenen Jahren, diese viel beschworene Öffnungspolitik der kubanischen Regierung, aber andererseits auch die ausgestreckte Hand Obamas, dass das was gebracht hat?
    García Vázquez: Jein. Ich würde sagen ja und nein, der Weg ist noch sehr lang, sehr weit. Wir sind noch nicht am Ende. Ich denke, die USA-Regierung weiß ganz genau, die Gebrüder Castro, Raúl und Fidel, leben noch. Und die wollen natürlich sich vorbereiten für die Zeit danach. Und ich denke, es ist richtig, wenn man sich schon vorbereitet – natürlich man muss gucken, wie es weitergeht, erst mal.
    "Es gibt eine ökonomische Öffnung, keine politische"
    Grieß: Sie rechnen sich ja auch der Opposition zu oder der Auslandsopposition Kubas. Hoffen Sie auf ein baldiges Ableben dieser beiden Brüder.
    García Vázquez: Wir hoffen, weil, wie gesagt, seit vielen Jahren reden wir über eine biologische Lösung. Es ist unsere Auffassung, wir denken schon, wenn beide, mindestens Fidel stirbt, dann kann vielleicht eine kleine Wende erst mal stattfinden zu einer Demokratie in Kuba, eine Öffnung für die Oppositionsbewegung.
    Grieß: Aber sieht es nicht doch auch aus Ihrer Sicht auch so aus, dass die älteren Herren in Havanna vielleicht im letzten Teil ihres Lebens doch noch dazu lernen und Kuba Stück um Stück liberalisieren?
    García Vázquez: Das ist eine schwierige Frage, weil ökonomisch kann man schon sagen, ja, es gibt eine Öffnung, aber politisch nicht. Politisch ist nichts zu erwarten von beiden Castros, von Raúl sowieso nicht. Raúl war von Anfang an einer der repressivsten Mitarbeiter der Regierung.
    Er hat sich immer gefühlt als Mitbegründer der kubanischen Geheimpolizei, der kubanischen Staatssicherheit. Also Raúl Castro ist zuständig zurzeit für die Repressionswelle in Kuba. Wo Dissidenten verhaftet werden, werden drangsaliert, ausgegrenzt und zusammengeschlagen.
    "Das ist Kalkül von Steinmeier"
    Grieß: Die Repressionswelle, von der Sie sprechen, ist nicht besser geworden, ist nicht abgeflaut?
    García Vázquez: Nein. Das ist nicht besser geworden, im Gegenteil. Es werden Leute festgenommen und für Stunden festgehalten, sie werden verprügelt. Nur Raúl Castro hat jetzt, Entschuldigung, eine kleine Wende jetzt, er weiß ganz genau, er darf Menschen für viele Jahre hinter Gitter bringen, sonst gibt es immer wieder Proteste aus der Europäischen Union und anderen Ländern auch, der USA.
    Deswegen ist eine neue Taktik, das kennen wir aus den letzten Jahren der DDR auch, also, kürzere Festnahmen, drei, vier Tage Haft, ein paar Wochen vielleicht, und danach wieder freigelassen, und mal wieder festgenommen. Also noch 2014 wurden in Kuba mehr als 8.000 Personen aus politischen Gründen festgenommen, 8.000. Bis November 2014, also laut Berichten von kubanischen Oppositionsgruppen.
    Grieß: Sie haben die Reaktionen angesprochen, die aus Europa gelegentlich kommen. Jetzt war in Kuba gerade Ende vergangener Woche Besuch aus Europa, namentlich aus Deutschland, der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er hat auch die Opposition und deren Rolle angesprochen. Sind Sie zufrieden damit?
    García Vázquez: Nein. Das reicht nicht aus. Das reicht nicht aus. Wir haben nicht erwartet, dass der Außenminister sich direkt mit Oppositionellen trifft, aber mindestens, dass er jemanden hingeschickt in die Botschaft, in die deutsche Botschaft, Entschuldigung, und man hätte wenigstens mit den wichtigsten kubanischen Oppositionellen für 20, 30 Minuten sprechen können. Und der Außenminister hat, ich denke schon, viele Kubaner, viele von uns sehr enttäuscht.
    "Ich kenne das Leid der Inhaftierten"
    Grieß: Ist der Außenminister feige?
    García Vázquez: Ich denke, das ist Kalkül. Das ist Kalkül. Ich denke schon, der Außenminister weiß ganz genau, wir brauchen eine Wende in Kuba, die Sozialdemokraten haben das schon angefangen '96, man nannte das schon Wandel durch Annäherung. Das kennen wir von Schröder und Castro, noch anderen, die in Kuba waren. Und das bringt was, aber für die Oppositionellen – wir sind keine Diplomaten.
    Ich kenne das Leid der Inhaftierten, ich kenne, wie die Menschen in Kuba verhaftet werden, ich war selbst in Kuba eine Weile, auch im Gefängnis, deswegen kenne ich die Methoden der kubanischen Geheimpolizei. Und deswegen muss man diese Opposition mehr unterstützen, moralisch. Wir reden von einer Legitimität der Oppositionsbewegung, das ist, was wir brauchen.
    "BRD muss an Opfer der Diktatur denken"
    Grieß: Ein Teil der Bundesrepublik von heute hat als DDR, Sie kennen das aus eigener Anschauung, lange Jahre gute Beziehungen zu Kuba gepflegt. Kommt deshalb Gesamtdeutschland heute eine besondere Verantwortung zu?
    García Vázquez: Nicht nur das. Man muss auch zugeben, dass DDR selbst jetzt, damals, ja, natürlich hat sie in Kuba auch mit dem Kubaner, der kubanische Geheimdienst, die Staatssicherheit Kubas wurde von der Stasi mit aufgebaut. Ich denke, dass die Bundesrepublik Deutschland mindestens an die Opfer dieser Diktatur denken sollte.
    Das schon, die DDR – natürlich, die Bundesrepublik trägt nicht dafür die Verantwortung, was die da machte, die Führung der DDR, aber ich denke schon, man könnte auch diesen Oppositionellen helfen, die damals schon vor 25 Jahren unter den Methoden der Staatssicherheit der DDR, der Stasi auch gelitten hat, darunter auch ich.
    Grieß: Wollte ich gerade fragen. Gilt das auch für Sie? Erwarten Sie auch eine Art Entschädigung, Entschuldigung, so etwas?
    "Wir erwarten mehr moralische Unterstützung"
    García Vázquez: Nein. Das erwarten wir nicht. Das erwarten wir nicht, das wollen wir auch nicht. Wir erwarten mehr moralische Unterstützung. Wir wollen, dass irgendwann deutsche Politiker sagen, ja, die kubanischen Oppositionellen werden in Kuba diese Wende auch durchführen und wir werden diese Wende begleiten. Und diese Oppositionellen sind die zukünftigen Parlamentarier Kubas und die Politiker Kubas, nicht die Gebrüder Castro.
    Grieß: Herr Vázquez, ich möchte Sie persönlich fragen: Wie lange waren Sie selbst nicht mehr in Kuba?
    García Vázquez: Ich war seit '96 nicht mehr in Kuba. Ich habe Kuba '92 verlassen, ich war vorher damals in der DDR, und ich wurde verhaftet wegen meiner Kontakte zu US-Diplomaten. Danach wurde ich nach Kuba natürlich ausgewiesen, eine Weile im Gefängnis. Fünf Jahre später konnte ich wieder, durfte ich wieder Kuba verlassen. Und ich war nur '96 dort. Seit 2003 bin ich in Kuba unerwünscht. Ich unterstütze aktiv die kubanische Oppositionsbewegung.
    "Ich würde gerne helfen"
    Grieß: Und jetzt verfolgen Sie die langsame Öffnung dieses Landes. Können Sie sich vorstellen, irgendwann vielleicht doch wieder in ihre Heimat zurückzukehren? Möchten Sie das?
    García Vázquez: Ich habe schon immer gesagt, das hängt von vielen Faktoren ab, natürlich, wie es in Kuba weitergeht, ob man mich braucht. Ich denke, in Kuba gibt es zurzeit Leute, die schon mehr Erfahrung haben als ich. Ich bin schon fast 20 Jahre nicht mehr dort gewesen. Ich würde gerne helfen. Ich würde gern dabei helfen, den Aufbau zum Beispiel einer Behörde zur Untersuchung der Aktivitäten der kubanischen Geheimpolizei, was ich hier in Deutschland auch mache über die Stasiarchive und die kubanischen Archive auch. Vielleicht könnte ich auch in dieser Hinsicht in Kuba auch was helfen, ich weiß es nicht. Ich lasse es offen.
    Ich bin noch Kubaner, aber ich bin auch Berliner, und meine Familie ist auch in Deutschland. Auch meine Kinder sind hier in Berlin geboren. Muss ich abwarten.
    Grieß: Danke schön für Ihre persönlichen Einschätzungen und für Ihre Analysen heute bei uns im Deutschlandfunk!
    García Vázquez: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.