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Künast hält Prostitutionsgesetz für "verlogene Regelung"

Die Gesetzesvorlage der schwarz-gelben Regierung zur Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel sei verlogen und produziere "viel warme Luft", meint die Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast. Es reiche nicht, Bordelle der Gewerbeaufsicht zu unterstellen.

Renate Künast im Gespräch mit Christoph Heinemann | 28.06.2013
    Christoph Heinemann: Gut gemeint kann das Gegenteil von gut bewirken. Die gute Absicht wird der früheren rot-grünen Bundesregierung niemand absprechen, als sie versuchte, die Rechte von Prostituierten zu stärken. 2002 wurde Prostitution als Dienstleistung mit bestimmten Rechten und Pflichten festgeschrieben. Damals warnten Frauenrechtlerinnen, das Gegenteil könne erreicht werden, und die Mahnerinnen haben offenbar recht behalten. Die Folgen sind haarsträubend.

    Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach Ansicht von Experten zu einem Eldorado der Zwangsprostitution entwickelt. Der Deutsche Bundestag hat in der Nacht strengere Kontrollen für Bordelle und schärfere Strafen für Menschenhandel beschlossen und damit eine Richtlinie der Europäischen Union in geltendes Recht umgewandelt.
    Am Telefon ist Renate Künast, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen.

    Renate Künast: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Frau Künast, warum haben Sie nicht zugestimmt?

    Künast: Nun, weil wir finden, dass dieses Gesetz, so wie es vorgelegt ist, viel warme Luft produziert, aber doch tatsächlich nicht hinreichend konkret wird. Und ich glaube übrigens, anders als in Ihrem Vorspann, dass nicht an dem damaligen Gesetz es lag, sondern wir wissen, dass die Situation von vielen Menschen in Moldawien, Rumänien und Bulgarien so miserabel ist, dass es da richtig Armutsbewegungen dort raus gibt. Das ist das Problem, das sagen uns die Experten, und Existenzängste.

    Was bräuchten wir jetzt? Die Koalition hat, ich sage mal, fast eine Show veranstaltet, als würde sie die entsprechende europäische Richtlinie umsetzen. Was bräuchten wir? Anders als Sie im Vorspann gesagt haben, ehrlich gesagt, ist es nicht so, hat die Koalition was geregelt, was eben nicht heißt, man kann von Anfang an Kontrollen durchführen, Auflagen machen und so. Mitnichten! Sie haben nur gesagt, dass ein Bordell dann ein überwachungsbedürftiges Gewerbe ist. Unser Vorschlag heißt aber, es ist genehmigungspflichtig.

    Das heißt dann, von Anfang an kann man das Personal überprüfen, ob die schon mal aufgefallen sind. Man kann ganz konkrete Auflagen machen, Auflagen, die die Behörden dann auch jederzeit ermächtigen, Überprüfungen zu machen. Man kann eine Dokumentationspflicht zum Beispiel auflegen und so weiter, und damit hätte man tatsächlich konkrete Auflagen und auch konkrete Kontrollen. Das macht die Koalition nicht. - Und zweitens: Es gibt kein eigenständiges Bleiberecht für Opfer, die hier als Zeuginnen auftauchen dann in Menschenhandelsprozessen. So werden wir dann auch nie jemanden bestrafen können.

    Heinemann: Zitieren wir mal Experten. Helmut Sporer ist Kriminalhauptkommissar in Augsburg. Er bezeichnet das rot-grüne Gesetz als "Generalvollmacht für Bordellbesitzer". Axel Dreher ist Professor für internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg. Er sagt, "wo Prostitution legal ist, gibt es mehr Menschenhandel". Das sind jetzt zwei Experten, die Ihrem Gesetz, das Sie zu verantworten haben, die denkbar schlechtesten Karten ausstellen.

    Künast: Hätte ich gewusst, Herr Heinemann, dass wir uns gegenseitig mit Zitaten beglücken, hätte ich auch welche mitgebracht. – Ich sage Ihnen, wir haben damals gesagt, als Grüne auch, wir wollen es auch Gewerbe deklarieren, und damals gab es die große Sorge der Kommunen, das überhaupt gar nicht mehr in der Gewerbeaufsicht gewährleisten zu können, auch personell und finanziell nicht gewährleisten zu können. Da übrigens habe ich im Augenblick eine ganz andere, eine wirklich ganz andere Sorge, nämlich die, dass diese Koalition – so hören wir es rumoren -, ihren Gesetzentwurf nicht mal jetzt zum 5. Juli dem Bundesrat zuleitet, sondern erst zum 20. September, …

    Heinemann: Können wir bei der Sache bleiben?

    Künast: Sekunde! …, um nämlich die Debatte über die Gewerbeaufsicht nicht führen zu müssen. Das hat was mit der Sache zu tun, Herr Heinemann. Wenn Sie das dem Bundesrat nur so vorwerfen und nachher die Kontrollen nicht stattfinden, von denen die Koalition redet, dann ist den Frauen auch nicht geholfen. Aber ich sage noch mal, Herr Heinemann: Diese Zuwanderung an der Stelle ist nicht durch das Gesetz geschehen, sondern ich könnte Ihnen auch viele Kripoleute und andere nennen, zum Beispiel aus Berlin, die ganz klar sagen, als die rechtliche Situation durch den EU-Beitritt in einigen Ländern sich geändert hat, hat es aus diesen Ländern massiv Armutszuwanderung gegeben, wo teilweise trickreich Frauen hier hergezogen wurden. Es wurden ihnen andere Jobs versprochen und dann sind sie hier quasi in eine Situation des Menschenhandels geraten. Das hat mit unserem Gesetz überhaupt nichts zu tun.

    Heinemann: Übrigens ist das ja selbst nicht mal in Ihrer eigenen Partei unumstritten. Ihre Parteifreundin Thekla Walker aus Stuttgart hatte beim letzten Parteitag einen Änderungsantrag zum Prostitutionsgesetz vorbereitet, weil sie sagt, das aktuelle Gesetz schützt nur die Ausbeutung. Sie hat es zurückgezogen, weil offenbar keine Mehrheit bei den Grünen in Sicht war. Warum lässt die Partei die Frauen im Regen stehen?

    Künast: Erstens, Herr Heinemann, diese Ausbeutung ist passiert vorher. Diese Ausbeutung passiert auch durch die wirtschaftliche Situation der Frauen vor Ort. Mit Thekla hat es viele Gespräche gegeben und ich denke, sie ist an manchen Stellen auch eines Besseren belehrt worden. Ich sage noch mal: Eine Erweiterung des Gesetzes aufs Gewerberecht und es als genehmigungspflichtiges Gewerbe zu deklarieren, haben wir damals schon gewollt. Das können Sie gerne mich fragen. Aber wir sind als Grüne nicht dafür verantwortlich, dass damals andere etwas nicht mitgemacht haben. Da hat sich auch die CDU nicht mit Ruhm bekleckert.

    Und ich sage noch mal: Sie werden mit der CDU-Regelung jetzt, es einfach als Gewerbebetrieb zu definieren, ohne auch konkrete Auflagen zu ermöglichen – es ist ein auflagelos erklärtes Gewerbe – und ohne eine Personalausstattung zu machen, es ist eine Show-Veranstaltung der CDU, und es tut mir in der Seele weh, weil wir an zwei Stellen ansetzen müssen: an der wirtschaftlichen Situation der Frauen vor Ort, da wo sie herkommen, und wir müssen hier, nur dann macht es Sinn, eine personelle Ausstattung haben der Gewerbeaufsicht und eine rechtliche Ausstattung mit konkreten Auflagen, deren Einhaltung man dann auch kontrollieren kann.

    Sie können doch auch den Gewerbemitarbeitern nicht zumuten, da hinzugehen, es tut ihnen in der Seele weh. Sie können den Frauen nicht mal anbieten, wenn Du Dich erklärst und dann nachher Zeugin bist, hast Du hier auch ein Aufenthaltsrecht. Das tut mir in der Seele weh, weil es eine verlogene Regelung ist.

    Heinemann: Frau Künast, vielleicht ist das Gesetz ja auch verlogen, denn an die Stelle der Förderung der Prostitution ist im Strafrecht jetzt die Ausbeutung der Prostituierten gerückt, also in Ihrem Gesetz. Zuhälterei kann nur bestraft werden, wenn sie als ausbeuterisch nachgewiesen werden kann, und viele Ermittler sagen, das klappt meistens nicht. Waren Sie da zu idealistisch?

    Künast: Nein. Herr Heinemann, ich glaube, dass wir den richtigen Zugang an der Stelle haben, weil Prostitution gibt es. Ich weiß nicht, ob Sie nicht auch in Ihrem Bekanntenkreis den einen oder anderen Mann kennen oder mal gehört haben, der da hingegangen ist.

    Heinemann: Oder Sie?

    Künast: Ich nicht, gebe ich ehrlich zu.

    Heinemann: Ich auch nicht, gebe ich auch ehrlich zu.

    Künast: Gut, dann sind wir schon zwei. Aber irgendwo müsste es diese Leute geben und deshalb, glaube ich, wird man dem ganzen nur beikommen, … Das ist ja, man sagt oft, das älteste Gewerbe der Welt, Prostitution wird es scheinbar immer geben. Die können wir gar nicht verhindern, das wäre absurd. Was wir verhindern müssen ist, dass es Menschen gibt, die Menschenhandel betreiben, und das müssen wir an der Wurzel versuchen zu beseitigen und da, wo Menschenhandel schon stattfindet, müssen wir sehr genau und präzise überlegen, ob wir eine Show-Veranstaltung machen, oder ob wir Maßnahmen da reinkriegen, die tatsächlich auch Hilfe haben.

    Eine Frau, die hier im Menschenhandel ist, weiß nicht, wovon sie sich ernähren soll, kennt keine Sprache, hat keine Kontakte zu Behörden, sondern glaubt, dass die vielleicht genauso korrupt sind wie in ihrem Ursprungsland. Und deshalb muss die Gewerbeaufsicht dort auch erscheinen, wiederholt erscheinen, dazu braucht sie Auflagen, und sie muss der Frau sagen können, Du wirst nicht nächste Woche zurück abgeschoben, sondern wir werden Deine Existenz sichern.

    Heinemann: Frau Künast, keine Show veranstaltet Schweden. Die Polizei dort packt die Freier beim Gemächt. Das heißt, wer mit Prostituierten erwischt wird, landet vor Gericht.

    Künast: Ja! Wir haben gestern Nacht im Bundestag ja auch einen Antrag gehabt, nämlich zur Bestrafung von Freiern bei Zwangsprostitution. Wer wissentlich Opfer von Menschenhandel ausnutzt, kann bestraft werden.

    Heinemann: Wie wollen Sie das denn nachweisen, dass der Freier vorher wusste, dass es eine Zwangsprostituierte ist?

    Künast: Ich gebe zu, dass das in manchen Fällen, in einigen Fällen gar nicht einfach ist. Ich halte diesen Schritt ehrlich gesagt auch trotz alledem für richtig, weil Sie werden nicht sagen wollen, die Bestrafung von Freiern bei Zwangsprostitution solle man nicht vornehmen, oder?

    Heinemann: Frau Künast, lässt das Bild vom Beruf Prostituierte, was Sie ja mit Ihrem Gesetz verfestigen wollten oder schützen wollten, sagen wir es mal so, nicht die Hemmschwelle sinken? Ich will es mal anders formulieren: Ein Bordell wie das inzwischen geschlossene "Airport Muschis" – ich zitiere das jetzt – in Berlin, wir haben gestern in dieser Sendung eine Reportage gehört über das Kölner Etablissement "Pascha", nehmen Sie nur mal diese Begriffe – was löst das aus, die Verfügbarkeit, die entsprechenden Fantasien, die Praktiken, von der Gesellschaft anerkannt? Wie glauben Sie werden junge Leute vorbereitet, in Schweden, wo das verboten ist, die wissen, das ist eine Straftat, oder in Deutschland, wo man sagt, das ist erlaubt?

    Künast: Ich sehe ehrlich, Herr Heinemann, dass Prostitution bei uns stattfindet. Sie findet statt und Sie können sicherlich lauter Dinge finden. Ich kann Ihnen auch sagen, fangen wir doch mal beide miteinander bei der Werbung an, wenn mir die Unterwäschewerbung von Frauen hier entgegenkommt.

    Heinemann: Können wir beim Thema bleiben? Sorry!

    Künast: Nein, Entschuldigung! Ich darf ja antworten wie ich möchte, Herr Heinemann. Sie können es immer noch beurteilen. Frauen werden in dieser Gesellschaft an verschiedenen Stellen, angefangen bei der Werbung, zum Subjekt degradiert. Frauen sind in dieser Gesellschaft strukturell benachteiligt, besonders von Armut betroffen

    Heinemann: Vor allen Dingen in der Prostitution!

    Künast: Und ja, es gibt auch Prostitution. – Ich wäre froh, wenn ich nicht jetzt heute etwas versprechen müsste, von dem ich weiß, dass ich es in den nächsten 10, 20 Jahren gar nicht erreichen kann, sondern mal ganz ernsthaft und unideologisch, Herr Heinemann, anfange, das Schlimmste, was es gibt, existenziell, hier zu beseitigen. Und das ist für mich der Menschenhandel, das ist die Ausnutzung von Frauen, und dazu gehört zwingend, schon um das gesellschaftliche Zeichen, von dem Sie geredet haben, zu zeigen. Sie können doch nicht sagen auf der einen Seite, wir sollen es ächten, und dann sagen Sie mir, die Bestrafung von Freiern bei Zwangsprostitution, die sei unsinnig.

    Heinemann: Wie bitte? Das habe ich doch gar nicht gesagt. Im Gegenteil!

    Künast: Das ist im Strafgesetzbuch das erste gesellschaftliche Zeichen, das wir brauchen, und wir brauchen Kontrollen, die vorher, weil es ein genehmigungspflichtiges Gewerbe ist, Auflagen machen können, und entsprechend Gewerbeaufsichtsämter, die personell ausgestattet sind. Wenn wir das alles geschafft haben, rede ich gerne mit Ihnen weiter über die nächsten Schritte.

    Heinemann: Frau Künast, wir müssen fertig werden. – Nur zur Klarstellung gerade: Ich hatte Ihnen das Beispiel Schweden vorgeführt, wo Freier bestraft werden. Das andere, was Sie jetzt gerade behauptet haben, war so nicht in dem Gespräch vorgekommen.

    Künast: Nun denn!

    Heinemann: Renate Künast, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Künast: Auf Wiederhören.


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