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Kündigungen bei schwedischer Polizei
Unterbezahlt, unterbesetzt und unter Druck

Mehr Grenzkontrollen, steigende Bandenkriminalität, geringes Gehalt und Unterbesetzung: Acht von zehn Polizisten in Schweden denken laut einer aktuellen Umfrage darüber nach, zu kündigen. Seit Jahresbeginn haben schon 240 von ihnen den Job an den Nagel gehängt. Aus Mangel an Bewerbern wurden nun bereits die Einstellungsvoraussetzungen verändert.

Von Carsten Schmiester | 17.08.2016
    Schweden will bis zu 80.000 Flüchtlinge abschieben.
    Auch die zunehmenden Grenzkontrollen, die den Flüchtlingsstrom eindämmen sollen, belasten die rund 20.000 schwedischen Polizisten. (dpa/picture alliance/TT NEWS AGENCY/Johan Nilsson)
    Gut 13 Jahre war Erica Bäckius Verkehrspolizistin in Schweden, dann gab sie auf. Keine 3.000 Euro im Monat – brutto – dazu immer mehr Arbeit, immer mehr Druck:
    "Es wurde nicht besser, wie ich eigentlich gehofft hatte. Es wurde schlechter und schlechter die ganze Zeit. Und das liegt besonders daran, dass nicht genug Leute da sind."
    Seit Jahresbeginn haben schon 240 Polizisten den Job an den Nagel gehängt, das sind 60 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Und es werden noch mehr. Einer aktuellen Umfrage zufolge denken acht von zehn Polizisten darüber nach, zu kündigen. Ex-Justizministerin Beatrice Ask von den bürgerlich-liberalen "Moderaten" kritisiert die Regierung, wirft ihr Nichtstun vor:
    "Bisher hat Innenminister Ygeman darauf gesetzt, dass die Polizei mit all dem fertig wird. Aber offensichtlich funktioniert das nicht. Wir sehen, dass immer mehr Polizisten aufhören, wir wissen, dass es Unzufriedenheit gibt und wir haben Gegenden, in denen die Polizei stärker sein muss, als sie es heute ist."
    Polizist in Schweden - der reinste Albtraumjob
    Es gibt tatsächlich etwa 50 "No-Go-Areas" vor allem in Vorstädten, Problemgebiete mit extrem hoher Kriminalität, in die sich normale Streifen nicht mehr hinein trauen. Dazu seit Januar die Grenzkontrollen, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Sie belasten die rund 20.000 schwedischen Polizisten ebenso wie Bandenkriminalität etwa in Malmö, wo zurzeit fast jede Nacht die Autos brennen und es immer wieder brutale Morde gibt. Dann das geringe Gehalt und ein Umstrukturierungsprozess, der für viel Unsicherheit sorgt. Polizist in Schweden – das ist der reinste Alb-Traumjob. Andreas Löfstrand von der Polizeigewerkschaft:
    "Wir sehen, dass die Leute uns für einen anderen Job verlassen. Dann müssen weniger Leute die gleiche Arbeit machen. Und wenn uns immer mehr verlassen, denken noch mehr darüber nach, es auch zu tun. Ein Teufelskreis. Wir sind unterbezahlt und unterbesetzt, müssen viel arbeiten und das unter immer höherem Druck."
    Regierung fühlt sich nicht verantwortlich
    Und die rot-grüne Regierung? Sie zeigt mit dem Finger auf ihre bürgerlichen Vorgänger. Innenminister Anders Ygeman von den Sozialdemokraten sieht die Misere, aber er fühlt sich nicht dafür verantwortlich:
    "Wir hatten ja den Polizeihaushalt und die Personalstärke von Ministerin Ask übernommen und dann der Polizei sofort mehr Ressourcen gegeben. Ich teile die Meinung, dass das noch immer nicht ausreicht. Also werden wir der Polizei noch mehr Geld geben und die Summe im Herbsthaushalt auch veröffentlichen."
    Mal sehen, ob das passiert und wenn ja, in welchem Umfang. Auf einem anderen Gebiet war Ygeman schon längst aktiv, auch wenn er nicht gerne darüber redet. Aus Mangel an Bewerbern hat die schwedische Polizei vor wenigen Wochen die Einstellungsvoraussetzungen verändert. Jetzt haben auch nicht ganz so Clevere eine Chance, oder, wie es offiziell heißt: Bewerber mit "weniger theoretischem Potenzial und einer geringeren Fähigkeit zur Problemlösung."