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Künftiger EU-Kulturkommissar
Ungarns Kommissions-Kandidat im Kreuzverhör

Tibor Navracsics soll EU-Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft werden. Doch das stößt bei vielen EU-Abgeordneten auf Kritik. Denn Navracsics hat in Ungarn an der Beschneidung der Pressefreiheit mitgewirkt.

Von Thomas Otto | 02.10.2014
    Tibor Navracsics
    Der designierte EU-Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft, Tibor Navracsics, in einer Anhörung vor dem EU-Parlement in Brüssel. (dpa/picture alliance/Olivier Hoslet)
    Es war alles andere als ein Spaziergang für Tibor Navracsics, als er vor den Kulturausschuss des EU-Parlaments trat. Von Anfang an war seine Kandidatur kritisiert worden. Nun musste er sich auf ein dreistündiges Kreuzverhör einstellen.
    Navracsics soll neuer Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft werden. Das sind genau die Bereiche, die in den Augen von Kritikern in Ungarn unter der rechtskonservativen Regierung von Viktor Orban beschnitten wurden. Navracsics hatte unter anderem das umstrittene Mediengesetz des Landes mitverabschiedet. Nach Ansicht von Kritikern schränkt das die Pressefreiheit in Ungarn massiv ein.
    "Wir haben den Streit darüber mit dem Rat und der Kommission beigelegt. Und wir haben das Mediengesetz geändert, wo es notwendig war. Ich war der Mediator, ich habe die Verhandlungen geführt, ich habe gegenüber dem Rat und der Kommission Zugeständnisse gemacht, denn ich ganz persönlich glaube an die Medienvielfalt."
    Dass noch längst nicht jeder Streit zwischen der EU und Ungarn beigelegt ist, verschweigt Navracsics. Und auch, dass nicht nur Verhandlungen, sondern auch Gerichte entschieden haben.
    Kritik prallt ab
    Navracsics wolle in Zukunft Hüter der Prinzipien der Europäischen Union sein, beschwichtigte er. Immer wieder konfrontierten ihn die Abgeordneten von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken mit dem Vorwurf, in Ungarn genau das Gegenteil von dem befördert zu haben, was seine Aufgabe werden soll. Aber diese Kritik prallte an Navracsics ab.
    Gäbe es in der ungarischen Bildungspolitik Anti-EU-Tendenzen, dann würde er diese bekämpfen, so der 48-Jährige. Ein Bekenntnis zu Europa folgte dem nächsten.
    Auffallend unkritisch sind die Nachfragen der Abgeordneten der konservativen EVP-Fraktion. Das mag wohl daran liegen, dass Viktor Orbans Fidesz-Partei auf Europa-Ebene auch zur EVP-Fraktion gehört.
    Europas Universitäten sollen die Besten auf der Welt werden, mit dem Investitionsprogramm des neuen Kommissionspräsidenten Juncker will Navracsics viel Geld in Bildung stecken. Junge Menschen will er stärker an der Entscheidungsfindung in der EU beteiligen und auch Mehrsprachigkeit und Sport seien ihm wichtig. Schließlich schlägt Navracsics auch noch den Bogen zum Streit um Freihandelsabkommen:
    "Ich versichere Ihnen, dass kein Freihandelsabkommen auf der Welt die Rolle der Kultur untergraben wird. Um es mit Jean-Claude-Juncker zu sagen: Wir werden Europas kulturelle Vielfalt nicht auf dem Altar des Freihandels opfern."
    Und dann war da noch Martin Sonneborn, der Satiriker, der für die Partei "Die Partei" im Europaparlament sitzt. Er hatte bereits am Montag versucht, Günther Oettinger mit seiner Frage aus der Ruhe zu bringen.
    Sonneborns Plan geht nicht auf
    Sonneborn: "In Ihrem Land stehen antisemitische Schriftsteller auf den Lehrplänen der Schulen. Dürfen wir, wenn Sie Kommissar für Kultur, Bildung, Jugend und Bürgerrechte werden, darauf hoffen, dass 'Mein Kampf' von Adolf Hitler oder 'Das Kleine ABC des Nationalsozialisten' von Joseph Goebbels, zur Pflichtlektüre der europäischen Jugend gehören werden?"
    Sonneborns Plan ging aber nicht auf. Navracsics erklärte ruhig, dass er keinesfalls Antisemit sei und betonte sein gutes Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft. Am Ende erhielt er den Applaus vieler Abgeordneter.
    Sollte Navracsics vom Ausschuss abgelehnt werden, kann Juncker ihm entweder einen anderen Posten geben, oder von Ungarn einen anderen Kandidaten fordern. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass dieser dann nicht ebenfalls aus der Fidesz-Partei kommt, für deren Politik Navracsics heute im Kreuzfeuer stand.