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Künstler gegen Kommunisten

Jan Fischer und Milos Zeman, die beiden Kandidaten mit den größten Chancen bei den tschechischen Präsidentschaftswahlen, haben eine kommunistische Vergangenheit. Die intellektuelle Szene fordert dagegen endlich den Aufbruch. Viele sehen in der ersten Direktwahl des Staatsoberhaupts denn auch eine Richtungsentscheidung: Rückkehr in alte Strukturen oder Neuanfang.

Von Silja Schultheis | 11.01.2013
    Ein Open air Konzert für Karel Schwarzenberg in Prag. "Karel auf die Burg - Konzert für einen integren Präsidenten", so das Motto. Mehrere Tausend Menschen, quer durch alle Altersgruppen, sind gekommen, um den tschechischen Außenminister in der Endphase des Wahlkampfs zu unterstützen. Die Stimmung ist euphorisch. Während eine populäre Band nach der anderen die Bühne betritt, werden auf einer Leinwand Videoclips gezeigt:

    "Wie sollte unser künftiger Präsident sein?"

    Fragt der bekannte Schauspieler Zdenek Sverak.

    ""Er darf nicht korrupt sein – das ist für mich das Wichtigste"

    So die Mäzenatin und Kunstsammlerin Meda Mladkova. Daher wähle sie Karel Schwarzenberg.

    ""Er sollte vor allem Veränderung bringen – und die Rückkehr zur Tradition von Vaclav Havel."

    Meint der Regisseur Jan Hrebejk.

    "Es darf kein Kommunist sein."

    In vier Worten bringt die Schauspielerin Jana Mala auf den Punkt, warum vor der ersten Direktwahl des Präsidenten immer mehr Künstler und Intellektuelle politisch Farbe bekennen. Der Wunsch nach einer moralisch integren Person, die sich weder vor 1989 mit den Kommunisten eingelassen hat, noch in die zahlreichen Korruptionsaffären nach der Wende verstrickt war, ist groß. Der Ernst der Lage habe sie zum Handeln gezwungen, sagt Leos Valka. Er hat vor fünf Jahren die erste Kunsthalle Tschechiens gegründet, das Dox:

    "Die beiden Präsidentschaftskandidaten mit den größten Chancen haben eine kommunistische Vergangenheit. Ex-Premier Jan Fischer war sogar 1980-1990 in der Partei, in der Zeit der schlimmsten Stagnation. Wenn er Präsident würde, wäre das ein schlimmes Signal für unser Land. Und der zweite Kandidat, Milos Zeman, steht für die großen Korruptionsaffären der 1990er-Jahre. Vor diesem Hintergrund können wir als Künstler nicht passiv bleiben und so tun, als ob wir in einer anderen Realität leben."

    In einem öffentlichen Appell unter dem Motto "Bevor es zu spät" ist hat das Dox Ende November dazu aufgerufen, Karel Schwarzenberg zum gemeinsamen Kandidaten der "Anständigen" zu küren. Nur wenn die Stimmen nicht auf mehrere Kandidaten aufgesplittet würden, gäbe es eine reale Chance, dass es ein nicht-kommunistischer Kandidat in die zweite Wahlrunde schaffe.

    "Unser Appell ist auf große Resonanz gestoßen: 62 Kulturinstitutionen unterstützen unser Anliegen – und das obwohl Kultureinrichtungen in der Regel vorsichtig sind mit derart politischen Stellungnahmen."

    Auch anderswo in der Gesellschaft wächst der Unmut. So sind kürzlich etwa in Westböhmen Studenten in einen Hungerstreik getreten - als Protest dagegen, dass eine kommunistische Abgeordnete für die Bildungspolitik in der Region verantwortlich ist. Auf der anderen Seite würde nach jüngsten Umfragen jeder fünfte Tscheche bei den Parlamentswahlen die Kommunisten wählen.

    "Das Schlimmste aber ist der Marasmus, den das kommunistische Regime in der Gesellschaft hinterlassen hat."

    Sagt der Graphiker Libor Klecek von der Initiative Dekomunizace.cz ("Ent-Kommunisierung"). Apathie und Passivität – die Menschen hätten das Gefühl, es hat sowieso keinen Zweck sich zu engagieren.

    Die Direktwahl des Präsidenten aber hat viele aufgerüttelt. Viele Tschechen sehen darin trotz der geringen Kompetenzen ihres Präsidenten eine Richtungswahl – Rückkehr in alte Strukturen versus Neuanfang. Der Wahlausgang bleibt bis zuletzt spannend. Umfragen sagen zwar seit Wochen eine Stichwahl zwischen Fischer und Zeman voraus. Aber Umfragen sind erfahrungsgemäß sehr unzuverlässig. Und zum anderen gibt es traditionell eine hohe Zahl von Last-minute-Wählern, die ihre Entscheidung erst am Wahltag fällen. Auch die "Super-Debatte" aller neun Kandidaten im Tschechischen Fernsehen heute Abend könnte sie darin noch beeinflussen.