Donnerstag, 25. April 2024

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Künstler und Architekt
Piranesi-Ausstellung in der Morgan Library in New York

Bekannt ist der italienische Kupferstecher, Archäologe und Architekte Giovanni Battista Piranesi vor allem für seine düsteren Zeichnungen von Kerker-Labyrinthen. In New York ist eine andere Seite von ihm zu sehen: seine archäologischen Veduten.

Von Sacha Verna | 28.01.2015
    Als Johann Wolfang von Goethe zum ersten Mal vor dem Forum Romanum stand, war er davon ein wenig enttäuscht. Er hat sich etwas Monumentaleres vorgestellt, etwas Atmosphärischeres. So jedenfalls wirkten die Ruinen auf den Radierungen von Giovanni Battista Piranesi, dessen Ansichten von Rom im 18. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet waren. Der Künstler und Architekt aus dem Veneto zählte zu den besten und gefragtesten Kupferstechern seiner Zeit. Berühmtheit erlangten neben seinen römischen Veduten die "Carceri", die "Kerker", Darstellungen labyrinthischer Gefängnisfantasien, die Set-Designer noch heute zur Ausstattung von Horrorkabinetten inspirieren.
    Piranesis Herz aber gehörte der Antike. Kurz vor seinem Tod 1778 reiste der 57-Jährige deshalb zu den Überresten einer griechischen Kolonie, die südlich von Neapel wiederentdeckt worden war. Paestum taufte man den Ort, und Piranesi wollte von den drei Tempeln dort Zeichnungen anfertigen.
    "Das ist sehr ungewöhnlich, dass Piranesi, dass die Zeichnungen als Gruppe erhalten geblieben sind, diese 15 Zeichnungen. Grossformatige, sehr, sehr fertige Vorstudien für die Drucke."
    Per Rumberg hat die Ausstellung der Paestum-Blätter in der New Yorker Pierpont Morgan Library organisiert. Dies ist eine der letzten Gelegenheiten, die kürzlich restaurierten Werke zu sehen, bevor sie im Sir John Soane's Museum in London verschwinden, wo sie Besuchern nur noch auf Anfrage gezeigt werden.
    Drucke waren die Souvenirs, die jeder Adlige und jeder gehobene Bürger von seiner Grand Tour nach Hause bringen musste. Die vorbereitenden Zeichnungen brauchten die Grafiker nicht mehr, lagen die Druckplatten einmal vor. Daher ist es so bemerkenswert, dass sie im Fall der Paestum-Serie erhalten geblieben sind. Zudem erwies sich diese Serie als Piranesis letztes Projekt.
    "Was interessant ist hierbei ist, dass ich glaube, meiner Meinung nach, dass alle Zeichnungen von ihm angefangen wurden und er sie sehr weit geführt hat, er dann aber angefangen hat, mit der tatsächlich die Radierung zu machen. Und die Zeichnungen wurden später dann von seinem Sohn überarbeitet. Das heißt, wir sehen bei vielen Blättern, die jetzt hier sind, sehen wir zwei Hände, die Hand von dem Vater und vom Sohn."
    Die Hand des Sohnes ist entschieden weniger geschickt als die des Vaters. Piranesi wusste wie kein Zweiter Detailtreue und Effekt miteinander zu verbinden. Und gelegentlich opferte er das eine zugunsten des anderen. Er manipulierte die Perspektive, indem er mehrere Fluchtpunkte einführte, was manche dorische Säule gewaltiger erscheinen lässt, als sie eigentlich ist. Er eliminierte Trümmer, um dem Betrachter den Blick in die Tempelmitte zu eröffnen und ihm damit ein Gefühl für den Raum zu vermitteln. Er bevölkerte seine Szenen mit Fischern, die ihre Netze reparieren, und mit Tieren, die Schatten suchen. So hauchte er den toten Steinen Leben ein.
    Es sind die Figuren, die die Eingriffe des Sohnes am deutlichsten verraten. Piranesi war ein solcher Meister, dass er seine Kompositionen direkt auf der Druckplatte vollendete. Der Sohn nahm von dort, was auf den Zeichnungen fehlte und ergänzte hier ein paar Hirten und da ein paar Schweine. Bei Piranesi herrscht Harmonie. Wo der Sohn nachgeholfen hat, gleicht manche Kuh einer Streichholzkonstruktion, die zufällig in Heras Heiligtum geraten ist.
    Das Vergnügen, diese Bukolika anzuschauen, schmälern die Streichholzkühe freilich nicht. Im Gegenteil. Durch die Frage "Was-stammt-von-wem?" erhalten die Paestum-Zeichnungen zusätzlich den Reiz eines visuellen Detektivspiels.