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Künstler und Dampfnudeln

Ihre Buchteln waren legendär, so wie das gesamte Kaffeehaus Hawelka. In den 50er-Jahren war es ein Treffpunkt von Künstlern, ab den 60ern kamen Besucher, die Künstler sehen wollten. Dass das Kaffeehaus bis heute seinen Charme bewahrt hat, ist vor allem ein Verdienst von Josefine Hawelka.

Von Beatrix Novy | 12.10.2013
    Wien, 50er Jahre: Die Stadt, vom Krieg gezeichnet, vom Ostblock umzingelt, klammert sich an alte Walzerseligkeit, alte Kameraden, alte Größe … Nein, nicht die ganze Stadt: Ein paar jüngere Leute proben den Aufstand künstlerischer Natur, das Infragestellen der Worte, das ad absurdum Führen alles Festgefügten. Sie heißen zum Beispiel H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Konrad Bayer. Sie nennen sich locker "Wiener Gruppe". Und sie treffen sich im Café Hawelka.

    Warum im Hawelka? Und wie kam es, dass eine Fleischhauerstochter, geboren am 12. Oktober 1913 in Kirchdorf an der Krems, dass also Josefine Hawelka zu einer Mutter der Wiener Avantgarde wurde? Waren es ihre guten Buchteln, zu deutsch Dampfnudeln? War es ihre mütterliche Erscheinung, Grauhaar und Schürze? Oder ihre ziemlich energische Art, Neuankömmlingen einen Platz im gut besetzten Café zu verschaffen, zur Not mittels Umschichtung anderer Gäste?

    Josefine Hawelka war eine Geschäftsfrau von Gnaden. Sie hätte sonst nicht beinahe 70 Jahre lang ein Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt geführt, also seit ihrer Hochzeit mit Leopold Hawelka im Jahr 1936.

    "Er war ja ein sehr freundlicher Mensch als Junge, und ist es ja heute noch, außer es ärgert ihn wer, dann ist er nicht mehr so freundlich."

    Freundlichkeit kann im Gastgewerbe nicht schaden. 1945 konnten Josefine und Leopold das kurz vor dem Krieg erworbene Café Hawelka dauerhaft eröffnen: ein im Wiener Vergleich kleinräumiges Etablissement in der schmalen Dorotheergasse.

    "Wenn man das Café Hawelka betritt, muß man an der frequentiertesten Telephonzelle Wiens vorüber. Sie ist fast immer besetzt, läutet ansonst fortwährend, und Herr und Frau Hawelka haben nicht wenig Mühe mit dem vielen Abheben und ‚Herr Sowieso wird verlangt‘-Rufen."

    Das schrieb der Dichter H. C. Artmann über sein Stammlokal noch in der handylosen Zeit. In den Mittfünfzigern, als die Mitarbeiter der Zeitschrift Magnum sich dort trafen, denn:

    "In der Redaktion kann man ja nicht arbeiten."

    Als der Kreis um Wiener Schriftsteller wie Hans Weigel und Friedrich Torberg sein Café Herrenhof gerade verloren hatte und ins Hawelka schwenkte, wo anno `54 ihre hitzige und folgenreiche Pro- und Contra-Brecht-Debatte stattfand. Ihnen folgten die damals modischen Maler des phantastischen Realismus, die Sprachkünstler, die Schauspieler. In einem Fotoband sieht man alte und brav frisierte junge Herren, die auf den gepolsterten Bänken vor ihren Zeitungsgestellen hocken und etwa Heimito von Doderer heißen oder Oskar Werner. Der Fotograf dieser Stimmungsbilder, Franz Hubmann, machte 1960 den Fehler, die Bilder zu veröffentlichen. Die Folge war ein Austausch der Künstler gegen Besucher, die Künstler schauen kamen. Schon 1961 vermerkte H. C. Artmann grantig:

    "Wenn ich heutzutage noch hergehe, dann wegen herrn und frau hawelka samt dem ausgezeichneten herrn theo. Die leute sind unausstehlich geworden."

    Aber so wie Tonnen von Veröffentlichungen über das Wiener Kaffeehaus und seine emsige Verwertung als Markenzeichen die Wiener Kaffeehauskultur nicht umbringen konnten, so trug das Hawelka die Last seines besonderen Mythos, ohne unterzugehen. Georg Danzers ironischer Song vom Nackerten Flitzer im Hawelka machte ihn berühmt und das Hawelka noch berühmter, aber im touristischen Gewoge blieben die Einheimischen nie ganz fern. Nicht einmal seine Lage in einem Hotspot der heute auf Hochglanz polierten inneren Stadt machte dem Café den Garaus. Leopold Hawelkas Erben folgten seiner Devise: nur nichts wegrenovieren.

    "Es war wichtig, das Café so zu lassen, wie es ist."

    Es war jahrzehntelange harte Arbeit, die das Hawelka ausmachte. Zu einer Zeit, als Kaffeehäuser spätestens um zehn Uhr schlossen, brachte hier die Chefin noch um Mitternacht ihre frisch gebackenen Buchteln an die Tische. Wer sie zurückgehen ließ, machte einen großen Fehler. Einmal, weil Frau Hawelka dann grantelte. Und zum Zweiten wegen der Buchteln. Die schmeckten himmlisch. Die Chefin buk sie jeden Tag; nur dienstags hatte sie frei. Und an einem Dienstag ist sie gestorben: am 22. März 2005.