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Künstler und die Bibel

Das dicke, schwere Kunstbuch "Die Bibel" ist ein Prachtband, eine sinnfällige Unterweisung und ein Lexikon ohne den Hauch lexikalischer Sprödigkeit. Wir nennen die Bibel "das Buch der Bücher", doch kennen wir ihre Geschichten? Für die Maler von der Renaissance bis zur Aufklärung und wiederbelebt durch die Deutschrömer war die Bibel das wichtigste Repertoire. Das war für die Künstler durchaus kein Anlass für Langeweile, denn die hemmungslose Dramatik göttlichen und menschlichen Lebens kannte keine Tabus: Sexuelle Hörigkeit, Eifersucht, Ehebruch, Inzest, Mord, Vertreibung, Krankheit und Tod.

Von Verena Auffermann | 20.12.2005
    Dennoch zieht an den Bildern biblischer Darstellung die Kunstkarawane in den Museen desinteressiert vorbei, vorbei zu den Prominenten, der "Mona Lisa", oder zur "Perlstickerin". Bilder haben jedes Recht, über Gebühr angeschaut oder nicht beachtet zu werden. Sie reagieren darauf und öffnen ihre Oberfläche, wenn der Betrachter will. Und Kenntnis hilft.

    "Die Bibel. Die Erzählung des Alten und Neuen Testaments in den Meisterwerken der Malerei" ist mit seinen zweihundert Abbildungen keine kunsthistorische Unterweisung, sondern ein lustvoller Unterricht. Erklärt werden Gemälde von der Erschaffung der Welt bis zur Apokalypse. Eine Bildersammlung vom 14. Jahrhundert bis zu den Nazarenern des 19. Jahrhunderts. Bilder aus Museen und Kirchen, Bilder bekannter und wenig bekannter Künstler. Die Erläuterungen sind knapp, präzise, die Geschichten werden einfach erzählt, Stellen aus der Genesis, Zitate aus der Bibel und den Evangelien eingeschoben, keine Beschreibung ist länger als eine Seite, angeordnet nach dem zeitlichen Ablauf. Régis Debray beschreibt die Bilder, die sich mit dem Alten Testament beschäftigen, François Lebrette hat die erklärenden Texte zu den Bildern des Neuen Testaments geschrieben.

    Da das Museum das letzte Heiligtum der Agnostiker, ist und sich die Kirchen im gleichen Maße leeren, wie sich die Museen füllen, ist ein solches fast lexikalisches und in hoher Qualität gedrucktes Werk ebenso hilfreich wie nützlich. Das relativ starre Repertoire setzt sich aus dem hohem und niedrigem Personal zusammen: Diejenigen, die zum Himmel auffahren und jene, die in die Finsternis gestoßen werden. Starres Repertoire, weil Gottvater, der eigentlich keine Gestalt besitzt, und wenn er erscheint, dann als konturlose Flamme, als brennender Dornbusch entweder nicht vorkommt oder in starrer Maske und weil allem eine Urgeschichte und Urfamilie vorausgeht.

    Das dicke mit 68 ,-- Euro äußerst preiswerte Kunstbuch mit den Erzählungen des Alten und Neuen Testaments zeigt, wie die Maler die Bibel als ihr schöpferisches Alphabet nutzten und die bekannten Geschichten im Geist ihrer Zeit immer wieder umformulierten. 200 Meisterwerke von Lucas Cranach’s "Paradies" bis zu Hans Memlings "Jüngstem Gericht" erklären die bekanntesten Historien des Alten und Neuen Testaments. Es geht in diesem Buch nicht um die Kunstgeschichte, verhandelt wird der Text. Jede Szene ein Drehbuch, jede Szene wurde viele Male von vielen unterschiedlichen Künstlern variiert. Unabhängig von den religiösen Überzeugungen erlauben die in der Bibel angebotenen Themen menschliche Grundmuster zu analysieren. Das Neue Testament fasst das Alte Testament zusammen und erschließt es. Dem Phantasiereichtum der Künstler ist zu verdanken, dass die Geschichten der Bibel Farbe, Form und Ausdruck haben. Die Moden des Glaubens, der Andacht, der Architektur, Kleidung, der Zustand des Handwerks, die Ausprägung von Pathos und Sentiment lassen sich an den Bildern studieren. Das "Heilige", schreibt Régis Debray, "hat noch das Zeug zu mehr als einer Wiederkehr, die Grand Tour durch die Evangelien aber kann sich niemand ersparen, der auf dieser Seite des Planeten lebt." Auch wer mit diesem Satz nicht einverstanden ist, - die "Bibel" so erklärt, ist eine Entdeckung für sich.