Samstag, 20. April 2024

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Künstler und Krieg
"Wie sieht der Feind aus?"

Für ihre Ausstellung "Targets" hat die Fotografin Herlinde Koelbl Truppenübungsplätze in fast 30 Ländern besucht, um landestypische Zielscheiben zu dokumentieren. Diese Objekte seien von ihr bewusst gewählt worden, um zu zeigen, wie Krieg aussehe, dass Krieg immer wieder stattfinde, sagte sie im DLF.

Herlinde Koelbl im Gespräch mit Friedbert Meurer | 30.10.2014
    Die Fotografin Herlinde Koelbl
    Die Fotografin Herlinde Koelbl (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Sechs Jahre lang hat eine der bekanntesten Fotokünstlerinnen Deutschlands an der Ausstellung "Targets" gearbeitet, die ab Freitag in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. Sie habe viele Gespräch mit Soldaten über ihre Erlebnisse und Erfahrungen geführt. Wenn man die Schießziele sehe mit den Einschusslöchern werde einem bewusst, dass es wirklich ernst werde, wenn Soldaten vor Ort seien. Der Tod sei immer dabei in diesen Jobs, sagte Herlinde Koelbl.
    Wie sieht der Feind aus, womit sind die Soldaten konditioniert worden? Die Schießziele sagten etwas darüber aus. Man müsse sich bewusst sein, was Krieg bedeute. Eine Armee sei ein Instrument der Politik.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Wir leben in kriegerischen Zeiten: Ostukraine, Syrien. Alles scheint aber relativ weit weg zu sein. "Nie wieder Krieg!" Das ist nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs fest in unsere DNA eingebaut. Aber der Krieg ist halt nicht vom Erdball verschwunden. Die Fotografin Herlinde Koelbl hat sich dieses Themas angenommen. Sie ist preisgekrönt, bekannt geworden einem breiten Publikum zum Beispiel durch ihre Fotos, welche Spuren die Macht in den Gesichtern deutscher Politiker über Jahre hinweg hinterlassen hat. Jetzt ist ihre neueste Ausstellung auch in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen, ab morgen. Der Titel lautet "Targets", "Ziele". Das sind die Zielscheiben mit menschlichem Umriss, wie sie auf Übungsplätzen stehen. Herlinde Koelbl hat sie international bereist und ich habe sie gefragt, was genau diese Fotos zeigen.
    Herlinde Koelbl: Die Fotos zeigen natürlich auch weltweit, an was die Soldaten trainiert werden, sprich konditioniert werden: zum Schießen, zum Treffen und im Ernstfall natürlich auch zum Töten. Aber vor allem auch: Wie sieht der Feind aus, wie wird der Feind dargestellt und wer ist denn der Feind? Ich glaube, das ist ein wesentliches Thema, gerade auch in der heutigen Situation. Ein ganz elementares Beispiel: In Amerika, wie ich auf den Trainingsfeldern war, sagte mir der Colonel damals, na ja, der Feind war die Sowjetunion, und der Iwan, wie diese grünen Trainingsmännchen heißen, hatte den roten Stern am Helm - das sieht man auch in einem Bild -, weil der Feind die Sowjetunion war, und inzwischen sind die Bilder mehr aber orientalisch aussehende Menschen. Jetzt ist es aber so inzwischen, dass schon wieder die Sowjetunion eventuell doch wieder ein Feind ist. Wie sich so was ganz schnell verändern kann!
    Meurer: Also auch diese Pappkameraden, wie man früher gesagt hat, unterliegen sozusagen dem Wandel der Zeit und der Politik. - Ein Foto, Frau Koelbl, in Ihrer Ausstellung zeigt ja eine attraktive Frau im Stil Andy Warhols mit Einschusslöchern in Nase und Wange, sonst aber ziemlich intakt, attraktiv. Das ist nicht die US-Version, oder doch?
    Koelbl: Nein, das ist Libanon und das sind die Special Forces, und das ist natürlich so, dass die Special Forces immer eine Einheit ist, die speziell trainiert werden ...
    Meurer: Also eine US-Einheit oder eine libanesische Einheit?
    Koelbl: Eine libanesische Einheit. Wo immer Special Forces sind, in allen verschiedenen Ländern - ich war in verschiedenen Ländern bei den Special Forces -, die werden natürlich immer auch unter anderem trainiert für Geiselbefreiung, und die Geiselbefreiung ist natürlich so, dass man möglichst dem Geiselnehmer zwischen die Augen schießt, also in die Nasenwurzel, damit, wie mir gesagt wurde, die den Abzug nicht mehr ziehen können und somit auch die Geisel nicht mehr erschießen können. Das war der Libanon.
    Die deutsche Gesellschaft versucht solche Themen auszublenden
    Meurer: Was wollen Sie, Frau Koelbl, uns zeigen, wenn Sie in Ihrem Fokus der Kamera Einschusslöcher auf diesen Zielen darstellen? Was wollen Sie uns mitteilen?
    Koelbl: Es ist natürlich so: Die Gesellschaft, zumindest auch hier in Deutschland, versucht, solche Themen auszublenden wie Krieg, oder dass die deutschen Soldaten auch im Einsatz sind. Wir erinnern uns an Afghanistan. Da wurde natürlich auch gesagt, dass die Soldaten dort sind hauptsächlich zum Brunnen bohren und soziale Projekte zu machen. Aber es sind natürlich auch welche in Zinksärgen zurückgekommen. Das heißt also auch, dass wir uns immer wieder bewusst sein sollten, dass Krieg heute immer wieder stattfindet und es wird immer wieder Krieg geben, aber auch, wie die Soldaten ausgebildet werden und an was die Soldaten ausgebildet werden, wie sieht der Feind aus. Das ist, glaube ich, ein wesentliches Thema, dass wir in der Gesellschaft gerne auch gar nicht sehen wollen.
    Meurer: Auf den Fotos wird ja quasi nur geübt. Es fließt kein Blut. Es ist ein Übungsplatz, eine Übungsscheibe. Waren Sie der Meinung, das dem deutschen Betrachter nur sozusagen als Übung, als behutsame Andeutung vermitteln zu können?
    Keine Action, ganz sachlich
    Koelbl: Nein. Ich habe ganz bewusst immer gewählt, die Schießziele zu fotografieren, ganz bewusst und in einer ganz strengen sachlichen Fotografie. Es gibt keine Action, es gibt nicht das, was gerne gesehen wird, auch von Reportern, dass was passiert. In dem Sinne passiert bei mir nichts, keine Action. Aber ich denke, wenn man die Schießziele sieht, mit den Einschusslöchern und manchmal auch in der menschlichen Form oder auch mit einem Gesicht, dann wird einem bewusst - und ich denke, das ist wichtig -, dass dann, wenn die Soldaten vor Ort sind, es wirklich ernst ist, wie einer auch sagte, "to kill und to be killed is part of the job ....". Das heißt, dass der Tod immer auch dabei ist.
    Meurer: Was geht in Ihnen selbst vor, wenn Sie diese Schießscheiben und die Einschusslöcher fotografiert haben? Was haben Sie da empfunden?
    Koelbl: Na ja, das ist natürlich ein Thema, was man nicht einfach nur so fotografieren kann. Ich habe sehr viel dazu gelesen. Das finde ich immer ganz wichtig, sich mit einzulesen, zu befassen, tieferzugehen, und ich habe deshalb auch viele Gespräche mit Soldaten geführt. Es gibt durch die ganze Ausstellung und auch im Buch natürlich sehr viele Zitate über das, was die Soldaten denken, was sie erfahren, wie es ihnen geht. Zugleich gibt es in der Ausstellung ganz viele Ebenen. Es gibt eine richtige Hörstation, wo die Soldaten erzählen über töten oder getötet werden, über die Angst, Kameradschaft, auch über Führung. Und es gibt eine Videoinstallation, wo man dann wirklich an vier Wänden sieht, wie geschossen wird, dass man etwas davon erlebt und eine Ahnung kriegt, wie es sein könnte, wenn Krieg wäre.
    Meurer: Liege ich richtig, Frau Koelbl, Sie sind keine Pazifistin?
    Koelbl: Wissen Sie, das sind solche Fragen. Man will immer jemanden festlegen. Das Thema ist natürlich komplizierter, würde ich so sagen. Ich würde es so formulieren: Wie ich begonnen habe, war das Thema schwarz-weiß, weil man ja von außen kommt. Dann ist man dort und befasst sich damit, und die Frage ist natürlich: In dem Moment, wo ein Staat eine Armee hat und auch finanziert, so wie auch Deutschland - wir zahlen ja auch mit Steuergeldern unsere Armee -, also was tut eine Armee? Die Frage muss man sich stellen. Das heißt, ich habe mich natürlich bei dem Projekt immer mehr mit dem Thema befasst: Krieg, nicht Krieg und was das bedeutet.
    Herlinde Koelbl steht am 08.05.2014 vor einem Bild ihrer neuen Foto-Ausstellung "Targets" in Berlin. In ihrem international angelegten Kunstprojekt hat Koelbl sechs Jahre lang in fast 30 Ländern die landestypischen Schießziele untersucht.
    Herlinde Koelbl zeigt mit ihrer Foto-Ausstellung Targets landestypische Schießziele. (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    "Die Armee ist ein Instrument der Politik"
    Meurer: Sie haben Ihr Projekt vermutlich angefangen, bevor der Bundespräsident und die Bundesverteidigungsministerin gesagt haben, die Deutschen sollen mehr militärische Verantwortung übernehmen. Aber es passt jetzt schon ein bisschen zusammen. Sind die Bilder da in dem Kontext zu sehen?
    Koelbl: Nein, absolut nicht. Ich habe vor sechs Jahren, vor sechs Jahren habe ich begonnen, an diesem Thema international zu arbeiten, weil ich einfach aufzeigen wollte, wie wird heute trainiert, wie gesagt, wie sieht der Feind aus, mit was werden die Soldaten konditioniert, und das war mir wichtig. Und ich war überrascht, dass dann der Bundespräsident und auch die Verteidigungsministerin und so weiter, dass die alle gesagt haben, man muss mehr Verantwortung übernehmen.
    Meurer: Das klingt so, als würden Sie sich davon distanzieren und das anders sehen.
    Koelbl: Ich würde so sagen: Man muss sich sehr, sehr bewusst sein, was Krieg bedeutet, und es ist auch so: Die Politiker sind dafür verantwortlich. Die Armee ist ein Instrument der Politik. Und deshalb sind auch die Politiker dafür verantwortlich, wenn sie Soldaten in den Krieg schicken. Und sie sind verantwortlich auch für das Leben der Menschen, die sie in den Krieg schicken. Und ich kann nur immer sagen, hoffentlich sind sie sich dessen bewusst, was dann passiert.
    Meurer: Die Fotografin Herlinde Koelbl. Ab morgen wird ihre Ausstellung "Targets" auch in der Bundeskunsthalle in Bonn gezeigt, bis zum 11. Januar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.