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Künstlergenie vor der Ablösung

Der junge Assistent Ken dringt in die dunkle Welt des New Yorker Malers Mark Rothko ein und stellt immer wieder den elitären Kunstbegriff des Älteren infrage. Doch Regisseur Michael Grandage gelingt es, vor allem das Malen selbst zu inszenieren.

Von Andreas Robertz | 27.04.2010
    Es riecht nach frischer Farbe, wenn man das Golden Theatre in Manhattans 45th Street nahe dem Time Square betritt. Auf der spärlich beleuchteten Bühne sitzt Alfred Molina alias Mark Rothko während des Einlasses in einem Sessel und starrt mit dem Rücken zum Publikum auf ein großformatiges Bild in dramatischen Rot-Schwarz-Kontrast. Das Licht erlischt im Zuschauerraum und das Bild fängt im Halblicht der Bühne an zu leuchten. Dann steht Rothko auf und streicht mit seiner Hand zärtlich über die Leinwand.

    Plötzlich dringt wie ein Fremdkörper der junge Ken in diese düstere Welt ein, um sich auf eine Anzeige hin als neuer Assistent vorzustellen. Und Rothkos erste Frage in einer Mischung aus Neugier und innerer Not ist: "What do you see?" Was siehst du? Diese Grundfrage des ästhetischen Diskurses durchzieht immer wieder John Logans neues Stück "Red" über den New Yorker Maler in seiner letzten großen Schaffensphase. Rothko, nach Jahren der Armut endlich bekannt geworden und von der New Yorker Kunstszene in das Pantheon der abstrakten Kunst zu den Zeitgenossen Franz Kline, Jackson Pollock und Willem de Kooning aufgenommen, fühlt sich mit dem Label "abstrakter Expressionismus" und als "angesagter" Maler zunehmend missverstanden. Für ihn selbst drücken seine immer düsterer werdenden Bilder eine weitaus tiefere, fast mystische Dimension der conditio humana aus – sie sind lebendige, atmende Wesen, mit denen man in Kommunikation treten muss.

    Als er eine Auftragsarbeit für das luxuriöse Four Season Restaurant im neu erbauten Seagram Building annimmt, hofft er einen Ort gefunden zu haben, der seinen Gemälden den geeigneten Raum und Rahmen gibt. Hier beginnt das Stück. Rothko stellt Ken als Assistenten ein, was ihm die Gelegenheit gibt, diesen in intensiven Debatten über Kunst, Literatur und Kultur zu belehren. Doch Ken, der die wilde Lebendigkeit Pollocks und die Leichtigkeit der neuen Generation aufkommender Pop-Art Künstler wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol bewundert, stellt immer wieder den elitären und tragischen Kunstbegriff des Älteren infrage.

    Rothko, der gemäß Freuds Ödipustheorie an die Notwendigkeit der Ermordung unserer "geistigen" Väter glaubt, wird sich zunehmend seiner eigenen Rolle als geistiger "Vater" bewusst, der von der nächsten Generation abgelöst werden muss.

    Das Aufbegehren Kens verleiht "Red" die notwendige Dynamik, um nicht in einer viel zu intellektuellen Debatte zwischen Nietzsches Geburt der Tragödie, Freuds Theorie des Unbewussten und Schopenhauers Geniebegriff zu versinken. Alfred Molina umgibt Mark Rothko sehr überzeugend mit der Aura des zornigen, fast gewalttätigen Künstlergenies, der eigentlich nur mit seinen Bildern in eine Art zärtlichen Kontakt treten kann und Eddie Redmayne als Ken kann in seiner jugendlichen Klarheit und warmen Zerbrechlichkeit Molina durchaus Paroli bieten. Er verkörpert eine neue Generation von Künstlern, deren Werk das Leichte und Verspielte der menschlichen Erfahrung sucht und nicht die ständige Suche nach Vollendung, die immer schon zum Scheitern verurteilt ist.

    Regisseur Michael Grandage, der schon in der vergangenen Saison mit seinem minimalistischen Hamlet mit Jude Law in der Titelrolle überzeugen konnte, inszeniert vor allem das Malen selbst als die eigentlich treibende Kraft des Abends. Das beginnt mit der geradezu akribischen Detailgenauigkeit des Bühnenbildners Christopher Oram im Nachempfinden von Rothkos Studio in Manhattans Bowery der späten 60er: die großen abgedunkelten Fenster der früheren Gymnastikhalle, der farbverschmierte Holzboden, der mit Farben, Eimern und Schnapsflaschen völlig überladene Trolley, die Thermoskannen voller Pinsel und Bürsten, die spezielle Hängevorrichtung für die übergroßen Leinwände, der altmodische Plattenspieler mit den herumliegenden Schallplatten.

    Im Laufe des Abends wird man Zeuge der Erschaffung der Bilder, von der Herstellung des Lattenrahmens für die Leinwand bis hin zum Erhitzen der Farbe und der Grundierung der riesigen Leinwand. In einer einzigen großen Kraftanstrengung malen Rothko und sein Assistent schweigend die Leinwand rot, bis sie fast erschöpft zusammenbrechen. Dieser Moment der physischen Arbeit und seine emotionale Intensität ist einer der Höhepunkte des sonst sehr redseligen Stückes und sagt mehr über das Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk aus als all die Debatten davor.