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Künstlerin Shirin Neshat
Der Körper als Zeichenträger

"Frauen in Gesellschaft" heißt die neue Ausstellung von Shirin Neshat. Ihr Thema: die Situation von Frauen in der muslimischen Welt, besonders im Iran. Mit Fotoserien und Filminstallationen schafft sie einen ganz eigenen Kosmos - mit leichtem Hang zum Kitsch.

Von Christian Gampert | 01.07.2017
    Shirin Neshat in ihrer Ausstellung "Written on the body" im Rahmen des PhotoEspana Festival in Madrid 2013.
    In den Werken der iranischen Künstlerin Shirin Neshat ist der Gegensatz zwischen Männern und Frauen ein zentrales Thema. (EFE/EPA/Chema Moya )
    Im größten Saal der Tübinger Kunsthalle hängt eine Vielzahl von düsteren Porträts: Menschen sehen dich an. Große "Massen" auf der einen Längs-Wand, gewöhnliche, moderne, meist junge Bürger; wenige "Patrioten" auf der gegenüberliegenden Wand, Menschen, die sich angeblich politisch engagieren und kämpfen; dann noch drei "Schurken", tätowierte Krieger, in der Sicht von Shirin Neshat die Herrscherkaste. So teilt Neshat die Gesellschaft zunächst in drei Lager.
    Denken in Dichotomien
    Erst später wird klar, dass der Gegensatz zwischen Männern und Frauen die Hauptrolle in ihrem Werk spielt, dass Neshat überhaupt in Dichotomien denkt: Natur und Kultur, Hell und Dunkel, Realität und Traum.
    In einigen ihrer Video-Installationen stehen sich zwei Leinwände gegenüber: Auf der einen agieren nur Männer, auf der anderen nur Frauen - Geschlechtertrennung, wie sie auch der Islam praktiziert. Meist haben aber die unterdrückten Frauen die bessere Perspektive: Während die Männer Mauern und Burgen einnehmen, bewegen sich die Frauen in Richtung Meer und ins Freie.
    Neshat scheint auf merkwürdige Weise gleichzeitig abgestoßen und fasziniert zu sein von ihrer Heimat, der islamischen Welt, und von der Art, wie die herrschende Religion mit den Frauen umgeht. Holger Kube Ventura, der künstlerische Direktor der Tübinger Kunsthalle, sieht Neshat nicht nur als - in der Formensprache - innovative Künstlerin, sondern auch als Vorkämpferin für eine neue Rolle der Frau im Iran.
    "Aus meiner Sicht ist Shirin Neshat schon so etwas wie die Pionierin des iranischen Feminismus in der bildenden Kunst. Ihre Arbeit hat das Tor geöffnet für viele nachfolgende bildende Künstlerinnen, sich zu positionieren, die Stimme zu erheben, ihren Körper zu zeigen, auf die Bühne zu gehen. Das ist das große Verdienst von Shirin Neshat."
    Leichter Hang zum Kitsch
    Die ungeheuer aufwendig inszenierte Tübinger Schau bietet mehrere Foto-Räume, einen ganzen Spielfilm und viele geheimnisvoll eingerichtete Kabinette mit den Video-Installationen. Die Frauenporträts sind überzogen von Schriftzeichen in Farsi, Werke ausgegrenzter, verbotener iranischer Schriftsteller, die der deutsche Betrachter leider nicht verstehen kann. Der Körper als Zeichenträger.
    In den Filmen werden politische Konflikte auf eine fast mythologische Weise versinnbildlicht, manchmal mit einem leichten Hang zum Kitsch, aber immer mit jenem schönen Ernst, der den Menschen als ein fremdes, fast surreales Wesen zeigt. Oft werden die Bilder unscharf - wie im Traum. Oft geht eine Frau in ein verlassenes Haus - und findet dort etwas aus ihrer Vergangenheit. Oft sucht die Frau ihre alte Mutter, die sich dann in ein Monster verwandelt. Und meist finden die Begegnungen in einer wüsten, leeren Landschaft statt.
    Spürbare Zerrissenheit
    Es ist klar, dass hier jemand erzählt, der in der Diaspora lebt, der sich im Fremdsein einzurichten versucht. Die Basis dieser Erzählungen ist. Holger Kube Ventura:
    "Ein durch die Migration ausgelöstes traumatisches Erlebnis, das einen dann durchs Leben begleitet und das einen Menschen auch fürs ganze Leben zerreißt. Dass man an einem Ort ist, wo man sich nie ganz zugehörig fühlt, und von einem Ort kommt, zu dem man nie zurück kann oder vielleicht auch nicht mehr will. Also jedenfalls ein zerrissenes Verhältnis, ein diasporisches Verhältnis, das spielt eine wesentliche Rolle in den jüngeren Arbeiten."
    Ständig liegen dunkle Sounds oder ausgeklügelte Musiken unter Shirin Neshats Filmen. Das Bizarre verschleierter Frauen, die schweigend und in Massen auftreten, wird konterkariert mit Bildern wehrhafter Männer, die nicht wissen wohin. "Women without Men", Neshats erster Spielfilm, erzählt die Geschichte des Putschs gegen den iranischen Präsidenten Mossadegh 1953 - aber in der Perspektive von vier Frauen, die sich im Garten vor der Stadt treffen. Der magische Realismus, die märchenhafte Sakralität der Filme sind manchmal sehr gedehnt. Aber wer sich Zeit nimmt und auf die Langsamkeit der Filme einlässt, der wird merken, dass die verschleierten Frauen Irans etwas anderes wollen als die Männer. Was es ist, wird uns Shirin Neshat nicht verraten. Sarah, eine ihrer Protagonistinnen, läuft durch einen dunklen Wald und versinkt dann im Wasser.