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Künstlerkolonie im dänischen Skagen
"Jede Menge Sand in unseren Gemälden"

Sommer vor der Staffelei - in einem Meer von strahlenden Farben. Freiluft-Künstler machten Dänemarks abgelegene Nordspitze Skagen in den Jahren 1870 bis 1930 berühmt. Ihre Werke fanden den Weg vom Strand ins Skagen-Museum, das im vergangenen Jahr wieder eröffnet wurde.

Von Eva Firzlaff | 21.05.2017
    Königin Margrethe von Dänemark bei der Eröffnung des renovierten Skagen Museum Of Art im Februar 2016
    Königin Margrethe von Dänemark bei der Eröffnung des renovierten Skagen Museum Of Art im Februar 2016 (picture alliance / dpa)
    Eine lange schmale Land-Nase ragt nach Nordosten. An deren Spitze klatschen die Wellen von Nordsee und Kattegat gegeneinander. Und die Spitze wächst, 18 Meter jedes Jahr, in Richtung Schweden. Das zeigen auch die drei Leuchtfeuer, die im Abstand von jeweils 100 Jahren gebaut wurden, immer an der Spitze. Und alle liegen nun ein gutes Stück landeinwärts.
    In den frühen 1870er-Jahren kamen junge Künstler in das abgelegene Fischerdorf Skagen und logierten in Bröndums Gasthof, jetzt Bröndums Hotel. Einer der Ersten war Mikel Ancher, verliebte sich in Anne, die Tochter des Wirtes, und blieb. Andere, die sich von der königlichen Kunstakademie in Kopenhagen kannten, kamen dazu. Regelmäßig oder seltener.
    "Sehr viele Künstlerkolonien damals lagen an der Küste, denn dort ist das Licht ja immer stärker. Was sie nicht im Voraus gewusst haben: Hier ist das Licht noch stärker. Weil wir an zwei Küsten liegen. Das haben sie nicht gewusst, aber das haben sie natürlich wunderschön gefunden, denn die Künstler lieben Licht."
    Sie suchten nicht nur das besondere Licht, auch neue Motive, erzählt Hanne Aavang im Skagen-Museum. Sie wollten weg vom akademischen Malstil.
    Gewöhnliche Leute in werktäglichen Kleidern
    "Dass man so wunderschön aussehende göttliche Menschen malt und in wunderschön göttlich aussehender Umgebung. Also sehr schöne Gemälde. Davon waren sie satt. Und jetzt wollten sie, wie wir hier sehen, gewöhnliche Leute in werktäglichen Kleidern und Situationen malen. Damals hat das sehr viele Leute tief entsetzt. Sie wussten doch, dass gewöhnliche Menschen existierten, doch sie hatten keinen Wunsch, diese in einer Malerei zu beobachten. Sie wollten viel lieber noch schöne Menschen in schöner Kleidung anschauen. Also das war eigentlich ein bisschen provozierend."
    Wie Mikel Anchers Bild der Fischersfrauen in den Dünen.
    "Dass sie so nackte und schmutzige Füße hat, die in der Mitte. Und eine Höhle, ein Loch im Kleid. Also das geht nicht. Das war wirklich entsetzlich für viele Leute."
    Ja, es entstanden auch schöne Gemälde, wie das Mittsommerfest von Peder Severin Kröyer, wie Spaziergänger am Strand, Wellen und Lichtspiele. Häufiger jedoch Menschen bei der Arbeit. Fischer, die ein Boot ins Wasser schieben, Netze einholen, die einen ertrunkenen Kollegen durch die Brandung an Land tragen. Bauern auf dem Acker, Frauen und Kinder am Strand. Und, auch das war neu, sie malten draußen.
    "Früher, wenn man so eine Landschaft malen wollte, dann stand man draußen und nahm eine Skizze, und hat dann vielleicht in der linken Ecke geschrieben: hellblau oder so was. Und dann ist man ins Studio gegangen und hat gemalt, dann war es wirklich schwierig zu erinnern, ob es dieses oder dieses Hellblau war. Und es war auch unmöglich, Licht und Luft hinein zu kriegen, wenn man sich nicht mehr in Licht und Luft befand."
    Hanne Aavang schwört: Sogar die großformatigen Gemälde sind am Strand entstanden: "Wir wissen es, denn wir haben jede Menge Sand in unseren Gemälden."
    Fertige Farben in Tuben machten es möglich, draußen zu malen
    Möglich wurde das durch neue Farben. Musste vordem der Maler im Atelier das Farbpulver selbst anrühren, verschafften ihm nun Tuben mit fertigen Farben Bewegungsfreiheit.
    "Die konnte man einfach in die Tasche stecken. Und dann konnte man vor Ort das genau richtige Hellblau, das genau richtige Dunkelgrün machen."
    Das Skagen-Museum zeigt Werke jener Zeit. Gegründet wurde es von den Skagen-Malern selbst. Der Hotel-Besitzer schenkte ihnen seinen großen Garten und 1928 wurde der rote Backsteinbau eröffnet.
    "Die Maler, die sich hier versammelt hatten, haben sich dafür entschieden, ein Museum für ihre Kunst zu machen. Der Gedanke: Wir haben sowas Spezielles gemacht, es muss ein Museum dafür geben. Und sie haben alle einige ihrer Hauptwerke zur Verfügung gestellt."
    Neben den vielen Gemälden ist auch der Salon des Hotels zu sehen, in dem die Maler gegessen haben, getrunken, gefeiert und diskutiert.
    "Dieses Zimmer war ursprünglich das Esszimmer in Bröndums Hotel, das ist unser Nachbar. Chrestendal Bröndum, wie er hieß, er wurde wirklich wichtig für die jungen Künstler, die sich ab den 1870er-Jahren hier versammelt haben. Denn er hat ihnen hier eine Stelle gegeben, wo sie sich treffen konnten, und er hat ihnen auch manchmal Kredit gegeben."
    Ein großer Tisch mit geschnitzten Stühlen. Die Wandtäfelung reicht bis zur Decke. Kleine Gemälde an den Wänden, manch einer hat seine Zeche eben mit Kunst bezahlt. Und in langer Reihe hängen die Porträts der Maler.
    "Ein Zimmer wie dieses, wo die Paneele dekoriert sind, wo die Möbel passen, das wird überall auf der Welt mit dem deutschen Wort Gesamtkunstwerk bezeichnet. Es gibt sehr wenige solche Zimmer auf der Welt. Und dieses ist das schönste."
    Im Ort sind auch zwei frühere Wohnhäuser für Besucher offen. Des Malers und Schriftstellers Holger Drachmann und des Künstler-Ehepaars Ancher. Beide Häuser wirken, als seien ihre Bewohner gerade mal rausgegangen. Kleine Zimmer, die Original-Möbel, Fotos an den Wänden, eigene Gemälde und Werke befreundeter Maler.
    Die versandete Kirche St. Laurentius ist eine Sehenswürdigkeit südwestlich von Skagen im nördlichen Jütland. Den Wanderdünen von Skagen verdankt die Kirche St. Laurentius aus dem 14. Jahrhundert ihren berühmten Beinamen "Die versandete Kirche".
    Den Wanderdünen von Skagen verdankt die Kirche St. Laurentius ihren berühmten Beinamen "Die versandete Kirche". (picture alliance / ZB)
    Ständig ändert sich die Nordspitze Dänemarks. Sand lässt sie nicht nur wachsen, Sand hat Felder, Dörfer, sogar eine Kirche gefressen. Am Südwest-Rand von Skagen zeigt Rita Eeg die versandete Kirche, gebaut vor 1300.
    "Dann war diese Katastrophe eingetroffen um 1550, das begann eigentlich als eine kleine Eiszeit. Mit der Eiszeit kam auch Flugsand. Orkanartige Stürme und dann war dieser Flugsand überall. Und nach 200 Jahren war alles begraben unter fünf Metern Sand. Also hier unten sind Häuser, alles - wie in Pompei."
    Eine dicke Sandschicht bedeckt den Ackerboden, unter der hügeligen Düne liegen die Reste des Dorfes. Das Kirchenschiff wurde abgerissen, nur der Kirchturm guckt 17 Meter aus der Düne.
    Weiter südlich an der Westküste bei Lönstrup ist der Leuchtturm Rubjerg Knude berühmtes Symbol für die Küstenerosion. Er steht auf der Steilküste hart am Abgrund, von riesigen Sanddünen umgeben. Der Leuchtturm wurde 1900 gebaut, erzählt Jakob Kofoed, 200 Meter von der Klippe entfernt auf dem höchsten Punkt. Sein Licht reichte 42 Kilometer weit aufs Meer. Jakob zeigt ein altes Foto, damals war hier kein Sand. Doch schon nach zwei Jahrzehnten häufte der Wind kleine Sandberge um den Leuchtturm, die wurden höher und höher, bis sie das Leuchtfeuer um 20 Meter überragten.
    1967, als das Licht vom Meer aus nicht mehr zu sehen war, hat man es abgeschaltet. Jedes Jahr brechen zwei Meter Klippe ab, in fünf oder zehn Jahren wird der Leuchtturm weg sein. Wie jetzt schon die Wohnhäuser, die an seinem Fuß standen. Die Dünen sind weitergewandert und wandern immer noch, nach Osten, jedes Jahr um zehn Meter. Und von der Spitze des Leuchtturms kann man wieder in die Welt gucken.
    Vor 7.000 oder 8.000 Jahren war Hirthals der nördlichste Punkt, Skagen gab es nicht. Jetzt liegen 40 Kilometer zwischen beiden. Weil sich nach der letzten Eiszeit das Land gehoben hat, und weil Wellen und Wind den Sand hier abtragen und nach Norden schleppen. Es ist beeindruckend: Woanders rechnet der Geologe in Jahrmillionen oder Milliarden, in Dänemarks Norden kann man zugucken, wie er sich verändert.
    Die Reportage wurde mit zwei Hotel-Übernachtungen durch den Tourismus-Verband Nordjütland unterstützt.