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Künstlerstipendium für Politiker

Ein Stipendium ermöglicht es dem 39-jährigen Guido Brendgens, an den Projekten des Instituts für Raumexperimente teilzunehmen. Eigentlich kümmert sich der promovierte Ingenieur als Referent für die Linksfraktion um die Bereiche Stadtentwicklung, Umwelt, Bauen und Wohnen.

Von Claudia van Laak | 07.06.2012
    Olafur Eliasson, das ist der mit den Wasserfällen. Vor ein paar Jahren hat er an der Südspitze Manhattens vier künstliche Wasserfälle installiert, 20 Meter hoch – ganz New York war entzückt. Heute steht der 45-Jährige in einer alten Hinterhof-Fabrik in Berlin-Mitte. Hier befinden sich sein Atelier und das Institut für Raumexperimente, das Eliasson leitet.

    "Mein Gefühl ist, besonders von einer größeren europäischen Perspektive aus gesehen, dass Künstler zunehmend marginalisiert werden. Die Sprache, die Künstler benutzen, wird von der Sprache des Geldes weggeschoben. Es gibt aber eine großartige Idee, die lautet: Kunst ist in Wirklichkeit Politik. Wir müssen stärkere Verbindungen knüpfen zwischen der Sprache der Kunst und der Sprache der Politik."

    Hier in der Fabrikhalle treffen sich die Studenten von Olafur Eliasson, arbeiten an ihren Werken, denken sich Performances aus. Irgendjemand hat auf einer runden Holzplatte Kartoffeln drapiert, die anfangen zu keimen – auch ein Raumexperiment. Man sitzt auf improvisierten Bänken – vier Getränkekisten, ein Brett drüber, fertig – und trinkt Leitungswasser mit Zitrone. Wir wollen zeigen, dass wir der Politik etwas zu bieten haben, sagt Eliasson.

    "Meistens wird der Künstler erst dazugeholt, wenn es gilt, misslungene Architektur, misslungene Planungen zu verschönern. Natürlich sind wir da super-skeptisch, wenn der Künstler unabhängig vom gesamten Planungsprozess erst am Schluss wie ein Objekt dazugeholt wird."

    Auf der harten unbequemen Getränkekisten-Bank neben Olafur Eliasson sitzt ein etwas bieder wirkender Mann. Kurzärmliges karierten Hemd, schmale Metallbrille, die Knie gegeneinander gepresst. Der Stipendiat.

    "Guido Brendgens, 39 Jahre. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus von Berlin."

    Im Grunde genommen ist Guido Brendgens kein Politiker, allenfalls Politikberater. Viel beschäftigte Entscheider, hauptamtliche Parlamentarier, Bürgermeister oder Staatssekretäre, sie alle hatten offensichtlich keine Zeit oder kein Interesse an diesem Stipendium, das eigentlich ein unbezahltes Praktikum ist. Guido Brendgens ist gerade Vater geworden, er nutzt seine Elternzeit für den Ausflug in die Welt der Kunst.

    "Also ich hab mich beworben, weil, das ist natürlich das Institut für Raumexperimente, und Berlin ist natürlich ein einzigartiger Ort auch für Raumexperimente."

    Als Referent für die Linksfraktion kümmert sich der promovierte Ingenieur um die Bereiche Stadtentwicklung, Umwelt, Bauen und Wohnen. Was ihn in den nächsten Monaten hier erwartet, weiß Guido Brendgens nicht. Ich hoffe auf viele kreative Ideen, sagt der Stipendiat.

    "Vielleicht gibt es aber auch Vorstellungen, wie man irgendwie politisch anders arbeiten kann als in den bisherigen Strukturen, die wir in der Fraktion und im Abgeordnetenhaus haben, die vielleicht sehr eingespielt sind."

    Vier Wochen, ein paar Diskussionsrunden und eine Ausstellungseröffnung später. Standort: der stillgelegte Flughafen Tempelhof. Früher ein abgesichertes Gelände, jetzt die Berliner Freiheit. Eine riesige Grünfläche mitten in der Hauptstadt, ideal für die Künstler vom Institut für Raumexperimente.

    An diesem regnerischen Abend eröffnet die "Große Weltausstellung" – natürlich in Anführungszeichen. Auf dem Gelände verteilt bizarre Pavillons in rot-weiß, die Studenten von Olafur Eliasson bespielen eine kleine Wellblech-Halle, in der früher die Wetterballons untergebracht waren.

    "Heute Abend werden wir sicherlich ein paar Kunst-Acts sehen."

    Sagt Stipendiat Brendgens und stapft munteren Schrittes über die nasse Wiese. Der Referent der Links-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist wie immer pünktlich, die Künstler nicht. Die vollbärtigen jungen Männer mit den großen Hornbrillen, den Röhrenhosen und Strickmützen auf dem Kopf beachten den Politiker Brendgens kaum. Hier und da ein kurzes Hallo, das war´s. Viel hat man sich nicht zu sagen. Dann die Performance.

    "Two tails and one head you get this line, two heads und one tail you get ...".

    Ein Mitarbeiter des Instituts für Raumexperimente hält drei kupferne Zwei-Cent-Münzen in der Hand, wirft sie in die Höhe. Ein chinesisches Orakel. Alle sollen mitmachen, sich eine Frage stellen, die man beantwortet haben will, nach dem Münzwurf die entsprechenden Striche aufmalen.

    "Ich habe mich gefragt, wie es mit unserer Tochter weitergeht."

    Die Erklärung aus dem I Ching, dem uralten chinesischen Buch der Wandlungen, hilft Guido Brendgens nicht weiter. Auch die Besuche der anderen Pavillons geben Rätsel auf. Auf einem großen Schwarz-Weiß-Gemälde versammeln sich berühmte Bauten von vergangenen Weltausstellungen. Nebenan ein Film über die Entwicklung von Computerspielgrafiken. "Was um Himmels willen soll das eigentlich hier?" – scheint sich Stipendiat Brendgens zu fragen.

    "Kunst kann einen manchmal auch ein bisschen ratlos zurücklassen."

    Was Kunst der Politik, was Politik der Kunst zu bieten hat – bislang haben Olafur Eliasson und Guido Brendgens noch keine wirklichen Antworten gefunden – ein paar Monate Zeit haben sie noch.