Freitag, 19. April 2024

Archiv


Künstliche Befruchtung, PID und der Wunsch nach Leben

Das Dritte Reich und die Shoah prägen den Umgang mit der Reproduktionsmedizin bis heute. In Deutschland genauso wie in Israel. Nur, dass die Israelis ganz andere Schlüsse daraus ziehen.

Eine Sendung von: Marieke Degen und Sebastian Engelbrecht | 08.11.2010
    Vor fünf Jahren saß ein verzweifeltes Ehepaar in der Praxis von Matthias Bloechle. Das Paar wünschte sich ein Kind. Einer der beiden Partner aber trägt einen Defekt im Erbgut. Damit ist die Gefahr groß, dass das Kind schon im Mutterleib stirbt. Deshalb wenden sich die beiden an Matthias Bloechle, in seiner Kinderwunschpraxis wollen sie eine künstliche Befruchtung machen lassen - mit anschließender Präimplantationsdiagnostik. Das heißt: Das Erbgut der Embryonen soll schon in der Petrischale darauf untersucht werden, ob es den Gendefekt trägt oder nicht:

    "Und dann kann man auswählen, welche gesunden Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt werden und die kranken Embroynen, die kann man dann in der Kulturschale absterben lassen, sodass sie eben nicht in die Gebärmutter eingepflanzt werden."
    Die Präimplantationsdiagnostik gilt in Deutschland eigentlich als verboten. Oder besser gesagt: Im Embryonenschutzgesetz findet sich dazu keine eindeutige Regelung. Matthias Bloechle willigt trotzdem ein. Von 2005 bis 2006 wendet er die Methode bei drei Paaren an. Dann zeigt er sich selbst an. Er will endlich Klarheit, ob er und seine Kollegen die PID einsetzen dürfen oder nicht:

    "Naja viele haben mich wahrscheinlich für verrückt gehalten, manche haben es auch so erklärt, dass ich wohl im Knast enden werde."

    Anfang Juli spricht der Bundesgerichtshof den Berliner Frauenarzt frei. Die PID verstoße nicht gegen das Embryonenschutzgesetz, entscheiden die Richter. Sie dürfe bei schwersten genetischen Erkrankungen in der Familie angewendet werden.
    Der BGH hat eine eindeutige Entscheidung getroffen. Und doch will die Politik das Thema noch einmal zur Diskussion stellen. Allen voran die Kanzlerin hat sich dafür ausgesprochen, die PID in Deutschland ganz zu verbieten. Ein Richtungswechsel: Denn noch vor einigen Jahren plädierte Angela Merkel dafür, die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen zuzulassen – eben so, wie es der Bundesgerichtshof entschieden hat.

    Prominente Kritiker an Merkels Position gibt es in der eigenen Partei: Der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Peter Hintze gehört zu ihnen, genauso wie die beiden Ministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder. Auf dem Parteitag der CDU, der am nächsten Wochenende in Karlsruhe beginnt, wird daher auch die Präimplantationsdiagnostik diskutiert werden müssen.
    Für die Kritiker der PID ist die Methode nichts anderes als eine Selektion menschlichen Lebens: Heute mag es um schwerste Erbkrankheiten gehen, aber morgen – so die Befürchtungen – gehe es dann vielleicht schon um Intelligenz oder Aussehen. Es sind alte Debatten. So oder so ähnlich wurden sie schon vor 30 Jahren geführt, kurz nach der Geburt von Louise Brown, dem ersten Baby, das künstlich im Reagenzglas gezeugt worden war.

    "Die Angst vor der Eugenik, die gab es ja auch damals, bevor das Embryonenschutzgesetz kam."
    Klaus Diedrich ist Reproduktionsmediziner, er leitet die Universitätsfrauenklinik in Lübeck. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie ihm und seinen Kollegen in den 80er-Jahren Skepsis entgegenschlug:

    "Damals waren wir ja noch in eine einsame Ecke gedrängt, durch die Gesellschaft, weil wir ja ganz schlimme Sachen im Labor gemacht haben, Genmanipulation und so weiter, alles Dinge, die nicht zutrafen."
    Künstlich erzeugte Embryonen genetisch zu manipulieren - das ist bis heute Science-Fiction. Trotzdem: Mit der In-Vitro-Fertilisation ist eine Grenze überschritten, sagt der SPD-Politiker Wolf-Michael Catenhusen:

    "Schon mit der Präsentation des ersten durch Retortenbefruchtung gezeugten Babys war allen Beteiligten eigentlich auch in Deutschland klar, damit war ein gewisser Dammbruch passiert, es war eine technische Verfügbarkeit über die Herstellung und Entwicklung menschlichen Lebens gegeben."
    Wolf-Michael Catenhusen ist Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sein ganzes Politikerleben hat er sich mit der Bio- und Gentechnik beschäftigt:
    "Und das erzwang quasi die Befassung mit der Frage, welche Rahmenbedingungen setzen wir für den Schutz des menschlichen Lebens, wenn der Embryo menschlichen Interessen zugänglich wird."
    Wann beginnt menschliches Leben, und wer bestimmt, was mit ihm geschieht?
    Jahrhundertelang ist die katholische Kirche davon ausgegangen, dass ein Embryo schrittweise beseelt wird. Erst nach 40 Tagen, so die Vorstellung, werde er zu menschlichem Leben. Das Judentum geht noch heute von dieser sukzessiven Menschwerdung aus, die katholische Kirche dagegen hat sich von diesem Konzept schon im 19. Jahrhundert verabschiedet:

    "Weil man im 19. Jahrhundert den Vorgang der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle wissenschaftlich analysierte, und daraus leitete dann vorrangig die katholische Kirche ab, dass es hier der Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle gegeben sei."
    Das christliche Weltbild dominiert den Umgang mit werdendem Leben bis heute. Jeder Mensch ist Gott willkommen. Niemand hat das Recht, in die Schöpfung einzugreifen.
    Geprägt waren die bioethischen Debatten in Deutschland aber immer auch von den Erfahrungen aus dem Dritten Reich.

    "Wir haben den Missbrauch menschlichen Lebens zu Forschungszwecken wiederholt erlebt, und wir sind in diesen Fragen besonders sensibel geworden, und haben deshalb interessanterweise auch eine gesellschaftliche Allianz zur Beschränkung der Retortenbefruchtung und zum Verbot der Embryonenforschung in Deutschland erlebt, bei dem Frauenverbände wie katholische Kirche, evangelische Kirche wie Sozialverbände an einem Strang gezogen haben."

    Die Möglichkeit, Embryonen im Labor herzustellen, rief Erinnerungen an die Eugenik wach, jener pseudowissenschaftlichen Bewegung mit dem Ziel, schädliche Einflüsse aus dem Genpool der Bevölkerung zu entfernen. Die Eugenik war keine deutsche Erfindung. Doch nirgendwo wurde sie so gnadenlos praktiziert wie im Dritten Reich. Hunderttausende Menschen wurden zwangssterilisiert oder umgebracht; Epileptiker waren darunter, Behinderte und psychisch Kranke. Grauenvoller Höhepunkt war die Vernichtung von sechs Millionen Juden: Für die Nazis war ihr Erbgut minderwertig.

    Catenhusen: "Wir haben in Deutschland nach 45 bestimmte eugenische Praktiken geächtet, die zum Beispiel in Schweden bis Anfang der 70er-Jahre noch praktiziert wurden. Darauf bin ich stolz, dass wir hier unsere Lektion aus der Geschichte gelernt haben."
    Das deutsche Embryonenschutzgesetz trat 1991 in Kraft. Vor diesem Gesetz sind Mensch und Embryo gleich. Embryonen dürfen ausschließlich zu Fortpflanzungszwecken erzeugt werden. Sie dürfen nicht vernichtet werden. Es ist verboten, an ihnen zu forschen. Ebenso ist es verboten, Eizellen zu spenden, oder Embryonen in eine Leihmutter einzusetzen. Die Präimplantationsdiagnostik selbst wird im Gesetz nicht thematisiert, die Methode war damals noch nicht ausgereift.

    Diedrich: "Dieses Gesetz ist sehr streng. Wir haben anfangs gedacht, gut, dass wirs haben, weil es schon zu einer allgemeinen Beruhigung kam in der Gesellschaft, die Angst vor der Reproduktionsmedizin hatten, und dadurch war dann ein klarer gesetzlicher Rahmen gegeben, an den wir uns auch halten mussten, es war ja ein Strafgesetz."
    Doch die Reproduktionsmedizin habe sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten rasant weiterentwickelt, sagt Klaus Diedrich. Viele der neuen Methoden dürften die Ärzte in Deutschland aber nicht anwenden.

    "Warum darf man nicht eine Eizelle spenden an eine Frau, die eine Chemotherapie gehabt hat, keine eigenen Eizellen mehr produziert, wir wollen nicht die 60-jährige Schwangere mit der Eizellspende produzieren, sondern wir wollen Frauen helfen, die in jungen Jahren aus verschiedenen Gründen ihre Eierstockfunktion verloren haben."
    Auch die sogenannte Dreier-Regel hält der Mediziner für überholt: In Deutschland dürfen Ärzte maximal drei Embryonen in der Petrischale erzeugen. Alle Embryonen müssen in die Gebärmutter zurückgesetzt werden. Das wiederum führt häufig zu Mehrlingsschwangerschaften, die Mutter und Kinder gefährden können. In anderen Ländern sind die Ärzte längst dazu übergegangen, nur noch einen Embryo in die Gebärmutter zu setzen – und zwar denjenigen Embryo, der rein äußerlich am besten entwickelt ist. Alle anderen werden eingefroren oder sterben ab.

    Diedrich: "So ist es zum Beispiel in Finnland schon Gesetz, dass man nur in den ersten beiden Versuchen einen ausgewählten Embryo aus drei oder fünf Embryonen in die Gebärmutter zurücksetzen kann, und dadurch erreicht, dass man zum einen zufriedenstellende Schwangerschaftsraten hat, und zum andern aber auch die Mehrlingsgeburten verhindert."
    Inzwischen fordern viele Reproduktionsmediziner ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz, in dem nicht nur die PID, sondern auch die Embryonenauswahl und die Eizellspende erlaubt und geregelt werden. Wolf-Michael Catenhusen möchte am Embryonenschutzgesetz festhalten. Er hält es für richtig. Nach wie vor:

    "Doch ich nehme auch eins wahr: In der jüngeren Generation ist die Prägung und die historische Lernerfahrung aus dem Dritten Reich in weitere Ferne gerückt, und man stellt sich eher pragmatischeren Fragen, wie sie eher in unseren Nachbarländern üblich sind."
    Auch wenn die Erfahrungen in weitere Ferne gerückt sind: Das Dritte Reich, die Schoah, prägen den Umgang mit der Reproduktionsmedizin bis heute. In Deutschland genauso wie in Israel. Nur, dass die Israelis ganz andere Schlüsse daraus ziehen. "Wir haben doch schon so viele verloren", heißt es dort häufig und das heißt auch: Das Leben muss weitergehen. Familie ist das Wichtigste überhaupt.
    Selig ist, wer Kinder hat, und deshalb ist beim Kinderkriegen fast alles erlaubt. Ein Beispiel: Rachel Cohen, die Mutter eines Soldaten, der im Gaza-Streifen getötet wurde, ließ der Leiche ihres Sohnes Stunden nach dem Tod Sperma entnehmen. Die Mutter fand eine Frau, die seither versucht, dem toten Sohn ein Kind zu gebären. Bei diesem Versuch hilft den beiden Frauen Irit Rosenblum von der Organisation "Die neue Familie". Sie erstritt vor Gericht die Erlaubnis für die Zeugung.

    "Es gibt ein Recht auf die Gründung einer Familie. Das ist ein grundlegendes Menschenrecht. Alle wollen nicht alleine sein, wollen eine Familie. Und sie machen das entweder über eine Partnerschaft oder durch Elternschaft. Dieses Recht ist ein prinzipielles, das über die Grenzen des Staates, die Grenzen der Zeit, über die Grenzen des Lebens hinausreicht."
    Irit Rosenblum ist eine Pionierin. Sie kämpft dafür, alle Möglichkeiten zu nutzen, die das Kinderkriegen möglich machen:

    "Durch die Entwicklung der Technologie und die unglaublichen Möglichkeiten im Bereich der Fruchtbarkeit – von in-vitro-Befruchtungen, künstlicher Besamung, Einfrieren von Sperma und Eizellen und sogar Embryonen bis hin zu Leihmüttern – hat die Welt eines der größten Probleme gelöst – das Weiterleben."
    Wenn es um Nachwuchs geht, gibt es in Israel selbst in Grenzfällen eine breite Koalition von säkularen Juden wie Irit Rosenblum und Religiösen. Auch die Gläubigen fördern fast alles, was der Fruchtbarkeit dient. Avraham Steinberg ist einer von ihnen. Der weißbärtige Mann ist Professor für Kinderneurologie am orthodoxen Sha'arei-Tzedek-Krankenhaus in Jerusalem:

    "Das erste Gesetz in der Thorah lautet: 'Seid fruchtbar und mehret Euch.' Das ist das erste Gebot. Und das ist die Basis für alles weitere. Wenn es keine Fortpflanzung gibt, dann gibt es auch keine Thorah und nichts weiter, nicht wahr? Die Existenz der ganzen Welt beruht darauf, dass es weitergeht. Ich denke, dass darüber hinaus die Juden die Schoah durchgemacht haben und in Kriegen umgekommen sind. Und wir befinden uns ja immer noch in einer schwierigen Lage und sind nur sehr wenige in der Welt. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass es mehr Kinder gibt, dann werden wir aussterben."
    Es ist nicht nur der demografische Wettbewerb zwischen Juden und Arabern, der die Israelis zum Kinderkriegen motiviert. Orthodoxe Juden sehen darin ein göttliches Gebot. Der Jerusalemer Rabbiner Avraham Froilich von der ultraorthodoxen Vereinigung "Eda Charedit" sieht den Sinn der Fortpflanzung darin, den Nachkommen die Thorah, die Weisung Gottes, weiterzugeben.

    "Schma' beni musar 'avicha, we'al titosch thorat 'imecha. Das heißt: 'Hör zu, mein Sohn, was Dein Vater Dir übergibt, verlasse es nicht, gehe nicht weg von dem Weg, den Deine Mutter Dir zeigt und Dich lehrt."
    Der Vater braucht einen Sohn, der Lehrer braucht einen Schüler. Um den Sohn und Schüler – auch Tochter und Schülerin – zu zeugen, sind die Ultraorthodoxen bereit, den modernsten medizinischen Methoden zuzustimmen. Die Zeugung im Reagenzglas und die Methode der Präimplantationsdiagnostik sind erlaubt – nicht nur aus praktischen Erwägungen, sondern auch aus uralten Einsichten des Talmuds, des ungebrochen gültigen Gesetzeswerkes des orthodoxen Judentums.
    Danach ist es den Eltern eines Kindes bis zum 40. Tag nach der Befruchtung erlaubt, für das Geschlecht des Kindes zu beten. Rabbiner Avraham Froilich erklärt, warum am 40. Tag der Schwangerschaft für den Betenden und mithin für die Medizin eine Grenze erreicht ist.

    "Nach 40 Tagen ist schon alles geschlossen, alles ist schon fertig, die Form steht schon fest. Aber bis 40 Tage ist noch die Möglichkeit da. Das heißt, dass der Mensch, der in der Frau liegt, noch nicht auf diesem Niveau fertig ist, dass man sagen könnte, dass er ein Mann oder eine Frau ist. Aber das Leben hat schon angefangen."
    Mit der 40-Tage-Regelung lässt das orthodoxe Judentum den Fortpflanzungsmedizinern in ihren Labors freie Hand – bei der In-vitro-Fertilisation, der Befruchtung einer weiblichen Eizelle mit männlichem Samen im Reagenzglas, und auch bei der Präimplantationsdiagnostik. Für Professor Avraham Steinberg ist die befruchtete Eizelle und der Embryo bis zum 40. Tag noch kein menschliches Leben:

    "Das wird als potenzielles Leben definiert, aber nicht als Leben. Warum ist das so? Weil – wenn wir die mit dem Samen befruchtete Eizelle im Kühlschrank lassen oder in der Petrischale – dann wird daraus niemals ein Mensch. Das kann nur ein Mensch werden, wenn jemand kommt und etwas tut, die befruchtete Eizelle nimmt und sie in eine Gebärmutter einpflanzt."
    Die liberalen Regelungen des Judentums erleichtern dem Staat Israel eine ebenso liberale Praxis. Der Staat finanziert Paaren, die auf natürlichem Wege kein Kind bekommen können, die Zeugung eines Kindes im Reagenzglas. Bis auf einen symbolischen Eigenanteil bezahlen die Krankenkassen, indirekt der Staat, alle Versuche, auf diese Weise schwanger zu werden – bis zum zweiten Kind. Die Mutter kann sogar bis zu 52 Jahre alt sein. Jeder Versuch kostet den Staat Israel etwa 3000 Euro.
    Und auch die Kosten für die Präimplantationsdiagnostik übernehmen die Krankenkassen. Wenn ein Paar ein Kind mit einer schweren genetisch bedingten Krankheit bekommen hat, kann es sich zum Beispiel an Professor Steinberg vom Sha'arei-Tzedek-Krankenhaus wenden:

    "Wenn es sich um eine ernsthafte Krankheit handelt – wie Down-Syndrom, das Tay-Sachs-Syndrom oder Mukoviszidose – dann behandeln wir das hier im Sha'arei-Tzedek-Krankenhaus. Wir haben die Methode schon auf mehr als 50 schwere genetische Krankheiten angewandt - wenn es in der Familie schon ein krankes Kind gibt und das ist ein schreckliches Leid, wenn Kinder sterben oder nicht gestorben sind, aber leiden. Wir verhindern, dass weitere kranke Kinder geboren werden."
    Jede Bitte um eine Behandlung mithilfe der Präimplantationsdiagnostik kommt vor die Ethikkommission des Krankenhauses, zu der auch Steinberg gehört. Wenn sich ein Paar ein besonders großes Kind wünscht oder eines mit blauen Augen, dann lehnt die Kommission das Gesuch ab. Denn die Methode wird nur in Fällen genetisch bedingter schwerer Krankheiten angewendet. In dem religiösen Krankenhaus wurden in den vergangenen fünf Jahren fast 130 gesunde Kinder mithilfe der PID geboren.
    Ein Beispiel: Die Eltern haben das "Tay-Sachs-Gen". Wenn beide es haben, kann beim Baby das "Tay-Sachs-Syndrom" auftreten. Das Kind verliert Augenlicht und Gehör im ersten halben Jahr nach der Geburt. Die meisten Kinder sterben im Alter von drei Jahren.

    "Wir wenden also die Methode der In-vitro-Fertilisation an, entnehmen Samen und Eizelle, sagen wir mal 20 davon. Wenn wir 20 im Reagenzglas haben, dann untersuchen wir alle 20 befruchteten Eizellen, um zu sehen, welche das Tay-Sachs-Gen haben und welche nicht. Dann pflanzen wir der Mutter nur die wieder ein, die das Gen nicht haben. Und dann können wir der Mutter versprechen, dass ein Kind ohne Tay-Sachs auf die Welt kommen wird. Und so retten wir eine Familie."
    Die PID stößt sogar bei dem ultraorthodoxen Rabbiner Avraham Froilich auf keinen Widerstand:

    "Nein, das ist kein Problem. Weil auch die Medizin ist ein Teil der Natur, die Gott geschaffen hat. Das heißt, man hat sich nicht eingemischt in die Natur. Die Natur geht da weiter, nur auf anderen Wegen."
    Bei der In-vitro-Befruchtung und bei der PID gibt es in Israel eine breite Koalition aus Gläubigen und Säkularen. Das Bündnis hört erst da auf, wo die Ehe nicht mehr die selbstverständliche Grundlage fürs Kinderkriegen ist.

    Froilich: "Die Thorah kennt nur die Möglichkeit, dass ein Ehepaar Kinder auf die Welt bringt. Es gibt so etwas nicht nach der Thorah, dass eine alleinstehende Frau oder eine andere Möglichkeit Kinder auf die Welt bringt."
    Hier ist für Rabbiner Avraham Froilich aus Jerusalem eine Grenze erreicht: Wenn alleinstehende Frauen sich bei der Samenbank einen anonymen Vater für ihre künftigen Kinder aussuchen. Auch die Praxis homosexuell männlicher Paare, die mithilfe einer Leihmutter zu Vätern werden, lehnt der Rabbiner kategorisch ab. Dennoch gehört auch das zur Realität in Israel. Denn: Nichts ist hier wichtiger als Familie.