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Künstliche Harnblase

Medizin. - In Deutschland erkranken jährlich rund 28.000 Menschen an Blasenkrebs. Bei über 1000 davon muss die Blase komplett entfernt werden - sie erhalten eine Ersatzblase aus eigenen Darmabschnitten. 2002 kündigte ein Münchner Professor an, ein mechanisches Implantat zu konstruieren, das Abhilfe schaffen sollte.

Von Ralf Krauter | 07.04.2009
    Für den Zukunftspreis hat es 2002 dann doch nicht gereicht. Dafür bekamen die Erfinder der künstlichen Harnblase einen Innovationspreis für Medizintechnik: 200.000 Euro vom Bundesforschungsministerium. In einer Pressemitteilung der Fachhochschule München hieß es damals: Bis 2005 wolle man ein serienreifes Implantat entwickeln, das Inkontinenten ermöglicht, ihren Harndrang zu kontrollieren. Viele Betroffene schöpften Hoffnung - und warten bislang vergeblich. Klinische Tests am Menschen gab es bis heute nicht, räumt Professor Helmut Wassermann vom Institut für Sensorik und Medizintechnik der FH München ein, einer der beiden ausgezeichneten Erfinder.

    "Wir hatten sehr viel Glück mit unseren Laborversuchen. Vielleicht waren wir dadurch verwöhnt im Projizieren auf zukünftige Zeiten. Die Tierversuche sind noch nicht abgeschlossen. Also insofern hat sich das doch hingezögert."

    Die Kunst-Blase aus dem Münchner Mikromechanik-Labor soll im Beckenbereich implantiert werden: Eine Plastikkapsel vom Format zweier Fäuste, die neben dem Harnreservoir eine elektrische Pumpe samt Steuerungsmodul beherbergt. Ist das Reservoir voll, gibt ein Füllstandsmelder Vibrationsalarm. Per Fernbedienung aktiviert der Betroffene dann die Pumpe, die seine Kunst-Blase durch die Harnröhre entleert. Um die Batterien des Implantats aufzuladen, legt er sich eine Induktionsspule auf den Bauch, die drahtlos Strom überträgt. Ein paar Dutzend Schweinen wurden inzwischen Testversionen der künstlichen Harnblase implantiert: An der Lübecker Universitätsklinik für Urologie, deren Direktor Dieter Jocham nicht nur Miterfinder ist, sondern auch ein langjähriger Freund Helmut Wassermanns. Leider verliefen die Experimente nicht allzu viel versprechend. Die Verbindung der Plastik-Blase mit den Harnröhren entpuppte sich als Schwachstelle.

    "Da sind bisher Verfahren des Annähens und Überstülpens mit resorbierbaren und nicht-resorbierbaren Fäden versucht worden. Ich denke, das Problem lag darin, dass es doch immer noch zu starre Materialien waren."

    Wodurch die Anschlüsse entweder schnell verstopften oder abrissen.

    "Es war absehbar, dass es Probleme geben könnte, insofern dass an diesen Ureteren, also Harnleitern, eine Peristaltik wirkt, ähnlich wie wir sie vom Darm kennen. Nicht ganz so intensiv. Aber bezogen auf die Wandstärken und Durchmesser doch sehr intensiv. Das haben wohl alle doch unterschätzt."

    Mit einer neuartigen Zugentlastung hoffen die Forscher bei den in einigen Monaten geplanten Folge-Experimenten auf bessere Ergebnisse. Doch es gibt noch eine zweite Herausforderung: Um in Notfällen schnell Harnröhren und Nieren untersuchen zu können, muss die implantierte Kapsel Endoskope passieren lassen.

    "Natürlich machen diese Forderungen das Produkt auch teurer. Und damit lässt sich auch erklären, warum wir etwas länger bisher gebraucht haben."

    Mancher Betroffene reagiert ungehalten auf die Verzögerungen und fragt sich, ob das Projekt überhaupt Zukunft hat. Auf der Webseite einer Blasenkrebs-Selbsthilfegruppe beklagte User Thomas im Januar 2007:

    "Für 50.000 Euro baue ich auch einen Plastikeimer mit zwei Anschlüssen, einer Wasserstandsanzeige und einem Hebel zur Entleerung. Frechheit. Mein Steuergeld – und nach ein paar Jahren ist es in der Mottenkiste, das Plastikding."

    Helmut Wassermann versichert allerdings, er bekomme ständig Anfragen von Betroffenen, die sofort bereit wären, bei einer klinischen Studie mitzumachen.

    "Die sind derart verzweifelt, dass sie im Grunde sagen: Bitte, auf der Warteliste möchte ich ganz vorne stehen."

    Mit 2,5 Millionen Euro vom Patentfonds der Deutschen Bank will der FH-Professor jetzt einen Prototypen bauen, der für eine erste klinische Studie taugt. Die wachsende Konkurrenz durch Gewebezüchter, die mittlerweile in den USA schon ganze Blasen in der Retorte wachsen ließen und erfolgreich inkontinenten Kindern implantierten, macht ihm keine Angst.

    "Ich würde diesen Weg gerne beschritten sehen, aber ich denke, wir brauchen da 20, 30 Jahre, bis wir in diese Richtung perfektioniert sind. Und für diese Zeit ist sicherlich dieses Implantationsprojekt der beste Übergang."

    Weblinks:

    http://idw-online.de/pages/de/news91685

    http://www.welt.de/wissenschaft/article1693644/Erstmals_Harnblase_in_der_Retorte_gezuechtet.html