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Küstenschutz
Halligen überfluten statt abschotten

Eineinhalb Fahrtstunden von der nordfriesischen Küste ragt der Warfthügel der Hallig Süderoog aus dem Wasser. Zwei Bewohner kümmern sich hier das ganze Jahr über um Haus und Hof - und natürlich auch um die Hallig selbst, die für den Schutz der nordfriesischen Küste vor dem "Blanken Hans", den gefürchteten Nordsee-Sturmfluten unverzichtbar ist.

Von Dietrich Mohaupt | 14.08.2014
    Die Luftaufnahme vom 27.05.2014 zeigt die Halligen Gröde-Apelland (oben) und Habel (unten) im Wattenmeer vor der Nordseeküste von Schleswig-Holstein.
    Dem "Blanken Hans" ausgeliefert: die Halligen Gröde-Apelland (oben) und Habel (unten) im Wattenmeer vor der Nordseeküste von Schleswig-Holstein. (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Leise tuckernd verstummt der Dieselmotor des kleinen Bootes am Anleger der Hallig Süderoog. Stille erfasst den Besucher – nur unterbrochen vom Geschrei tausender Seevögel, die gerade auf den Salzwiesen brüten. Seit etwa einem Jahr leben hier draußen Holger Spreer und seine Partnerin Neele Wree als Angestellte des Landesbetriebs Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz - kurz LKN - und Pächter der Hallig Süderoog.
    "Man hat ja gewisse Aufgaben, die auch in der Stellenausschreibung so drin stehen - da gehört der Küstenschutz mit dazu, den Erhalt der Hallig zu gewährleisten, weil die Halligen ein wichtiger Aspekt des Küstenschutzes in Schleswig-Holstein darstellen, weil sie als Wellenbrecher für die nordfriesische Küste dienen - das ist sehr, sehr wichtig."
    Tierische Rasenmäher
    Neele Wree kümmert sich um den Naturschutz. Sie zählt Brut- und Rastvögel, sucht den Spülsaum ab und entfernt Treibgut, meldet Störungen, beispielsweise durch tieffliegende Flugzeuge oder Sportbootfahrer – und sie führt Besuchergruppen über die Hallig. Holger Spreer ist für den Küstenschutz zuständig - Süderoog ist Teil eines gestaffelten Systems: Inseln und Halligen, das Watt und die Vorländer bis hin zu den Deichen schützen das Festland gegen Sturmfluten. Für den Erhalt der Halligen als Wellenbrecher ist die landwirtschaftliche Nutzung unverzichtbar. Auf Süderoog tummeln sich deshalb Gänse, Enten und Hühner – und, als tierische Rasenmäher, auch ein paar Schafe.
    "Wir sind ja eben verpflichtet, das alles halligtypisch zu bewirtschaften - das bedeutet auch, die Beweidung der Salzwiesen zu gewährleisten, um die Grasnarbe eben konstant zu halten und in der Substanz resistent gegen die ganzen Stürme, die wir ja zum Herbst/Winter wieder erwarten - und Frühjahr. Schafe lassen wir hier weiden, wir haben uns für die Coburger Fuchsschafe entschieden, die werden wir jetzt weiter aufbauen bis auf 25 Muttertiere - weil 64 Hektar sind nicht wenig."
    Tiere versorgen, Arbeiten an Haus und Hof - es gibt immer genug zu tun für Holger Spreer. Und ab Ende August/Anfang September - nach Abschluss der Brutzeit der vielen Seevögel - muss er dann auch wieder die Lahnungen ausbessern, das sind Uferschutzanlagen aus doppelten Holzpflockreihen.
    "Die sind ja aufgebaut, dass da zwei Pfahlreihen sind, die im Abstand von 50 Zentimetern ca. gesetzt werden, dazwischen werden Reisigbündel reingepackt - Faschinen sagt man dazu - und dann wird das stark gebunden, sodass Wasser durchsickern kann, aber nicht in einer extremen Geschwindigkeit, sodass wirklich die Sedimente Zeit haben, sich in den Lahnungsfeldern abzusetzen."
    Das ist ein ganz wichtiger Effekt, betont der für den Küstenschutz zuständige Minister Robert Habeck. Seine Fachleute in der Landeshauptstadt Kiel gehen davon aus, dass der Anstieg des Meeresspiegels und, damit verbunden, höher auflaufende Sturmfluten, die bewohnten Warften immer stärker bedrohen werden. Dagegen helfe auf Dauer nur mehr "Land unter" auf den Halligen, erläutert Robert Habeck.
    "Das heißt, sie müssen überspült werden, die Schwebstoffe, die dann eingetragen werden, müssen auf den Halligen bleiben, sodass die Halligen parallel zum Meeresspiegelanstieg mitwachsen. Und das ist erst einmal eine scheinbar paradoxe Intervention: Die Halligen müssen überspült werden, damit sie nicht mehr im Meer absaufen."
    Experten raten von Deichverstärkungen ab
    Bisher reicht das Höhenwachstum der Halligen nicht aus - weite Teile von Langeness und Hooge zum Beispiel liegen mittlerweile so tief, dass beide Halligen bereits bei mittlerem Hochwasser überflutet würden, gäbe es keine Uferschutzbauwerke. Trotzdem - oder gerade deshalb - raten Experten von weiteren Deichverstärkungen ab. Minister Habeck:
    "Wenn man den Deich erhöht und das Hinterland gegenüber dem steigenden Meeresspiegel quasi tiefer wird, dann wohnen die Leute nachher in der Badewanne. Und das kann, da die Deiche nicht auf zehn Meter oder zwölf Meter anwachsen können, nachher nicht mehr funktionieren. Irgendwann werden die überspült werden, dann geht das Wasser nicht mehr raus."
    Land unter statt Deiche verstärken: Das hören die sturmerprobten Küsten- und Halligbewohner in Schleswig-Holstein gar nicht gerne. In etwa einem Jahr sollen das neue Hallig-Schutzkonzept und die Kostenplanung stehen, ein Prozess, in den die Halligbewohner eingebunden werden sollen. Keine ganz leichte Aufgabe, weiß der grüne Küstenschutzminister Robert Habeck:
    "Wenn man das hinbekommen hat, wenn wir das als gemeinsames Projekt, die Halligleute und wir, gemeinsam in Angriff nehmen, dann hat man es gewonnen. Das Machen ist nachher das Geringste - in der Tat ist, so wie die Westküste tickt, das Schwierigste, den Menschen klar zu machen, dass neue Ansätze vielversprechender sind."