Freitag, 29. März 2024

Archiv

Kulinarischer Wandel
Schweinebraten contra Sojagulasch in Tschechien

Schweinebraten, Rinderbraten, Wildschweingulasch, dazu Knödel und Kraut - Die böhmische Küche ist für Deftiges bekannt. Doch jetzt geht ein Ruck durchs Land: Vegetarische und vegane Restaurants liegen plötzlich im Trend und spalten das Land in zwei kulinarische Lager.

Von Martin Becker | 28.08.2014
    Veganes Essen aus Linsen, Kürbis, Zwiebeln und Tomaten auf einem Teller
    Veganes Essen (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    "Montags gibt es Enchilada und Taco-Polevka, Suppe. Dienstag gibt es Linsenroulade mit Nüssen und Salat, und dann Erbsensuppe..."
    Wir sitzen im "Café Moment" im coolen Prager Stadtteil Vinohrady. Meine Freundin Klára liest die Wochenkarte des alternativen Lokals vor. Klára ist jung, Klára ist schlau, Klára ist Veganerin. Seit einem halben Jahr.
    "Das Fleisch hier sind wir. Und das ist das einzige Fleisch, was gebraucht wird."
    Salat ist Anti-Essen
    So weit, so unkompliziert. Aber: Klára ist auch Tschechin. Und in diesem Tschechien regierte jahrelang ein ebenso konservativer wie skurriler Präsident namens Václav Klaus, und der sagte Sachen wie: Salat ist eine linke Abweichung. Salat ist Anti-Essen. Nicht nur deshalb hat Klára so rein ernährungsmäßig eine historische Last zu tragen - denn die tschechische Seele, das war doch immer: Knödel, Schnitzel, Bier, Fleisch und Fleisch. Noch vor einigen Jahren hätte die Karte unseres Lokals also anders ausgesehen:
    "Es wäre so, wenn ich mal vorlesen darf, quasi vorlesen, wäre das: Schweinebraten mit Knödeln und Sauerkraut. Und Biersalat mit Hackfleisch"
    Mandelmilch, Koriander und Erdnussbutter
    Klára hingegen liebt Mandelmilch, Koriander und Erdnussbutter. Und das trotz ihres tschechischen Passes. Ihr Opa kocht ihr heute Reis mit Gemüse, ohne zu meckern. Nur ihr Vater tut sich schwer mit Sojagulasch - das musste er nämlich zu sozialistischen Zeiten essen, wenn Fleischmangel herrschte. Klára gehört zur Prager Avantgarde - und sie ist nicht allein damit: Von der veganen Restaurantkette "Loving Hut" gibt es in der tschechischen Hauptstadt mittlerweile mehr Filialen als in New York City. Aber ob das wirklich damit zu tun hat, dass die tschechische Seele vegan wird?
    "Es ist deswegen, dass Prag cool geworden ist. Also, vor einigen Jahren war Berlin die Top-Stadt in Europa und jetzt fahren all die Amerikaner und all die Touristen mehr nach Prag und weiter in den Osten."
    Prag ist cool geworden
    Wechseln wir das Lokal, wechseln wir die Front. Ich treffe meinen Freund Jaroslav Rudiš in der Bierkneipe "U Medvídků". Da regnet es noch die panierten Fleischlappen vom Himmel. Da werden die Würste noch mit einem lachenden Gesicht auf den Tisch geworfen.
    "Ich meine, eigentlich ... Ich kann mir das nicht vorstellen, Veganer zu sein. Ich dachte kurz, das sei eine Krankheit!"
    Jara ist Tscheche. Nicht nur das, Jara ist einer der bekanntesten Schriftsteller seines Landes. Ein moralisches Vorbild, gewissermaßen. Und dann so was:
    "Diese Vorstellung macht mich krank, dass ich in eine vegane Kneipe kommen würde. Dann lieber sofort tot."
    Jaras Tagesprogramm bis unserem Treffen: Morgens Brot mit Käse, mittags Käseschnitzel, nachmittags hundert Gramm Salami bei seinem Prager Lieblingsmetzger, jetzt Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Was auch sonst? Jaroslav nimmt es mit český humor:
    "Ja, es gibt auch Leute, die alkoholfreies Bier trinken, ne!?"
    Was Jaroslav zu seiner Verteidigung zu sagen hat, beispielsweise gegenüber Klára, die auch mit am Kneipentisch sitzt? Nicht viel, stattdessen schiebt er alles auf die arme tschechische Großmutter.
    Fleisch wird weiterhin konsumiert
    "Also ich bin ein Enkelkind der Kriegsgeneration in Böhmen. Und meine Oma, die hat immer gesagt: Jara, iss schön, denn wenn der nächste Krieg kommt, dann werden die Dicken schlank und die Schlanken kalt."
    So sitze ich also da mit meinen Freunden Jára und Klára, die mir zuliebe so tun, als wäre die Welt noch in Ordnung. Aber zum Glück verschwimmen die Unterschiede spätestens beim fünften Bier und ich denke plötzlich: Zwei Seelen wohnen, ach, in deiner Brust, du schönes Tschechien. Bleib nur so, wie du bist. Mit Fleisch oder ohne Fleisch. Ganz und gar vegan, das packst du doch eh nicht, das wäre dir doch auch viel zu anstrengend:
    "Die meisten Tschechen würden wahrscheinlich sagen: Ich kann mir das nicht leisten. Was aber nicht stimmt. Es ist einfach eine bewusste Gemütlichkeit, würde ich sagen. Und das sind die Tschechen halt, ne!? Alle denken, dass wir ein großer Schwejk sind, der ständig Würstchen und Hamburger isst."