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Kultur in Gefahr III: USA

Die Wirtschaftskrise der vergangenen zwei Jahre hat dem Kulturleben überall auf der Welt zugesetzt. Das zeigt sich auch in den USA. Doch die prekäre Lage vieler Institutionen in den Vereinigten Staaten hat tiefer liegende Gründe.

Von Sascha Verna | 28.08.2011
    Das waren der Reihe nach: Anna Netrebko in Donizettis "Don Pasquale" an der Metropolitan Opera, eine Freilichtaufführung von Shakespeares "Othello" in San Antonio, Texas sowie der Soundtrack zum Film "Edward Scissorhands" von Tim Burton in einer Ausstellung im Los Angeles Museum of Contemporary Art über das Werk des Regisseurs. Der Kultur in Amerika geht es prächtig. Ob für Hip-Hop-Kollektive in Chicagos Vororten oder für einen Dampfer voller Performancekünstler auf dem Mississippi - stets scheint Geld für Kulturelles vorhanden zu sein.

    Oder doch nicht? Was ist mit dem renommierten Philadelphia Orchestra, das vor einigen Monaten Bankrott ging? Was ist mit dem Folk Art Museum in New York, dem die Schließung droht? Die Wirtschaftskrise der vergangenen zwei Jahre hat dem Kulturleben überall auf der Welt zugesetzt. Die prekäre Lage vieler Institutionen in den Vereinigten Staaten hat jedoch tiefer liegende Gründe.

    Ein paar Zahlen: 31 der 50 Bundesstaaten haben ihr Kulturbudget für 2012 massiv gekürzt. Kansas hat das seine ganz gestrichen. 155 Millionen Dollar für die Künste stellt der Staat zur Verfügung – im Vergleich dazu: 259 Millionen Dollar braucht das Museum of Modern Art pro Jahr allein, um betriebsfähig zu bleiben. Deshalb ist die Kultur in den USA zu neunzig Prozent privat finanziert. Deshalb sponsern Individuen, Stiftungen und Firmen, die auf geschmackvolle Werbung aus sind, schöngeistige Unternehmen nach Kräften, wenn ihnen der Sinn danach steht. Schwinden ihnen die Kräfte und die Sinne, ist es allerdings aus mit der Großzügigkeit.

    Die USA haben kein Kulturministerium und keinen Minister, der die Sache der Kultur an höchster Stelle vertritt und ihr zugleich in den Augen der Öffentlichkeit Gewicht verleiht.

    "Wenn Kultur als etwas betrachtet wird, das in der Freizeit, eine halbe Stunde lang am Samstag stattfindet, wenn man gerade genug Geld in der Tasche hat, dann braucht man keinen Kulturminister"

    , sagt Will Maitland Weiss vom Arts and Business Council of New York, einer Abteilung der Lobby-Gruppe Americans for the Arts. Kultur, so Weiss, werde als Privatvergnügen betrachtet. Edwin Torres von der Rockefeller Foundation doppelt nach:

    "Wir sind ein relativ junges Land und identifizieren unsere nationale Identität nicht mit der Geschichte kulturellen Schaffens oder kultureller Formen."

    Die Rockefeller Foundation ist einer von Amerikas größten Geldgebern im Kulturbereich. Eine jener Finanzquellen also, die sich immer einem Vielfachen von Bewerbern gegenübersieht, als Ressourcen zur Verfügung stehen. Interessanterweise pocht gerade Edwin Torres nicht auf die Wichtigkeit des Marktes und den gesunden Stress des Wettbewerbes, wie es zwei Vertreter der Kultur tun, die vor Kurzem ein Stipendium der Rockefeller Foundation erhalten haben: die Brooklyn Academy of Music, kurz BAM, und ihr Vizepräsident Matt Bregman, sowie Chris Elam, der Leiter des New Yorker Misnomer Dance Theater. BAM beschäftigt rund tausend Mitarbeiter. Das Misonmer Dance Theater zehn. BAM verfügt über ein Jahresbudget von 41 Millionen Dollar, das Misnomer Dance Theater über eine halbe Million. Matt Bregman:

    "Wir beklagen uns manchmal darüber, wie hart es ist, Geld aufzutreiben. Doch auf lange Sicht halte ich diesen für den besten Weg. Wir sind gezwungen, ständig darüber nachzudenken, woher wir die Unterstützung für unsere Programme kriegen und wie wir sie so spannend wie möglich für unser Publikum machen können. Man wird nicht bequem, wenn man weiß, dass man nie genügend Geld haben wird, wenn man sich nicht darum bemüht."

    Chris Elam räumt zwar ein, dass das Aufbringen des Geldes eine Menge Zeit und Energie in Anspruch nimmt, die Leute wie er lieber im Studio verbringen würden. Doch ist der Kampfwille seiner Ansicht nach gleichsam in der DNA amerikanischer Künstler angelegt.

    Damit klingt Chris Elam beinahe wie Rocco Landesman, der in seiner Funktion als Vorsitzender des National Endowment for the Arts einem Kulturminister noch am nächsten kommt. Landesman verficht eine Art Kulturdarwinismus, wonach die besten Künstler überleben werden.

    Ausweichend antworten sowohl Matt Bregman als auch Chris Elam auf die Frage, inwieweit Gönner Einfluss auf das kreative Tun ihrer Schützlinge ausüben. Dabei zuckt etwa in der amerikanischen Kunstwelt inzwischen kaum jemand mehr mit der Wimper, wenn besonders zahlungskräftige Vorstandsmitglieder Museen als Tapete für ihre eigenen Sammlungen benutzen.

    Wer der Kultur in Amerika Respekt verschaffen will, muss mit Dollars argumentieren. Will Maitland Weiss vom Arts and Business Council tut das jeden Tag: Der Kultursektor sei für über zehn Millionen Arbeitsplätze verantwortlich, zitiert Weiss eine Statistik. 278 Milliarden Dollar bringe die Kultur in die Kassen, sowohl in die der Restaurants in der Nähe von Veranstaltungsorten als auch in Form von Steuereinnahmen in die des Staates. Kein Zweifel: Die Kultur in den USA verbindet weit mehr mit dem Kapitalismus als der Anfangsbuchstabe.